Print Friendly, PDF & Email

Diethard Sanders
Apropos Lützerath
Notizen

Der Lärm, wie er derzeit die Räumung Lützeraths begleitet, wird vorübergehen. Die Intervalle zwischen derartigen Lärmen werden kürzer und die Lärme werden heftiger werden, aber auch die Abstumpfung dagegen wird zunehmen. Hat man sich anfangs noch mit aufgeregt, bleibt man nunmehr cool und geht in die Bibliothek hinüber. Vielleicht ist ja dort was Interessanteres zu finden.

Und es findet sich, reichlich. Man frisst sich durch üppige Geschichte hindurch und landet schließlich, leicht überfressen, mit einem Bauchfleck auf Oswald Spengler’s Der Untergang des Abendlands. Um Himmels Willen – so viele Seiten und so viel schwer zu entschlüsselndes verbales Ahnen für eine ganz einfache Beobachtung!

Aber langsam: Lassen wir vorerst jene Zivilisationen weg, die gewissermaßen unschuldig infolge von – im Übrigen völlig normalen – Naturereignissen zugrunde gingen, wie zum Beispiel der Ausbruch des Santorin, der die minoische Kultur vernichtend getroffen hat. Oder Super-El Ninos mit vieljährigen extremen Dürren, die die Reiche der Moche in Südamerika bis jenseits der Grenzen politischer Belastbarkeit gestresst haben. Oder den toltekisch-aztekischen Kultur-Komplex, der durch die Ankunft der Spanier und der von ihnen mitgebrachten Krankheitserreger schlicht und einfach durch Mangel an Überlebenden zum Erliegen kam.

Reden wir lieber von dem, das im spätkapitalistischen Leistungs-Sprech als Herausforderungen bezeichnet wird. Das Janus-Gesicht dieses Worts wird deutlich, wenn man sich seine Anwendungen vergegenwärtigt. Ich liebe Herausforderungen, das ist Balsam in die Risse der rastlos suchenden Herzen von Personalmanagern und Headhuntern. Wer das gesagt hat oder sagt, der will bedeuten: ich will einer von den ganz Wichtigen sein. Und natürlich macht sich dieser Satz auch heute noch in medialen Selbstdarstellungen gut, wenngleich auffällt, dass er nicht mehr ganz so häufig und bedenkenlos in den Äther gestreut wird wie in den nicht allzu fernen Zeiten des ständigen Juhu, Tschinbumm und Hurra.

Das war das erste Gesicht. Das zweite Gesicht des Worts Herausforderungen dagegen bezeichnet einen Nexus von Bedrohungen und Problemen, die gefälligst gelöst werden sollten, und zwar gefälligst möglichst schnell. Wer Lust hat, ein wenig vertieft zu erfahren, welche selbstgemachten Bedrohungen ausser Der Klima-Erwärmung uns sonst noch belagern, dem und der wird geraten, world scientists warning‘ zu googeln.

Diese zweite Anwendung des Worts Herausforderungen erscheint selbstverständlich nicht in Selbstdarstellungen, sondern wird stets von Rednerpulten verkündigt.

Wir bleiben im Folgenden bei der zweiten Bedeutung von Herausforderungen, wenngleich nicht wenige Leute, die besonders heftig die Herausforderungen in der ersten Bedeutung meinten und meinen, sehr viel zu den Herausforderungen in der zweiten Bedeutung beigetragen hatten und haben. Wir wollen hier aber keine ökologischen Verbrecher-Laufbahnen von Einzelpersonen nachzeichnen, das werden künftige Biographen tun.

Hier geht es nur um die einfache Frage, ob wir, also die Menschheit, jemals mit Herausforderungen in der zweiten Bedeutung fertig geworden sind. Nun lohnt es sich doch, sich den Bauch mit Geschichte vollgefressen zu haben, denn es zeigt sich, dass uns das noch nie gelungen ist. Herausforderungen im oben gemeinten, umfassenden (zweiten) Sinn zu meistern, übersteigt nicht unsere mentalen Kapazitäten, sondern es übersteigt unsere charakterlichen und ethischen Fähigkeiten.

Das ist natürlich eine schwere Beleidigung all jener, die den Menschen auch heute noch als die Krone der Schöpfung ansehen wollen, aus welchen vorder- und hintergründigen Motiven auch immer. Man kann den Menschen – etwas naturwissenschaftlicher – aber auch als einen neotenen Affen deuten, der sicherlich über enorme Kapazitäten im Großhirn verfügt (zumindest, wenn er sich mit dem Rest der bekannten Lebewesen vergleicht), der aber gewisse Vernetzungs-Defizite zwischen eben jenem Großhirn und archaischeren Hirnarealen einfach nie los wurde.

So setzt er seine Schläue, wie bereits der HERR des Alten Testaments enttäuscht feststellen musste, dazu ein, um egozentrisch und boshaft zu sein, und schon der alte Salomo bekannte, dass nur die Einhaltung ethischer Gebote den Menschen vom Vieh trennt.

Ich kann von meinem lieben Hundchen nicht verlangen, dass er mir eine einfache lineare Gleichung löst. Das übersteigt seine Fähigkeiten, dafür ist er nicht gemacht. Die Geschichte zeigt rein empirisch, dass der Mensch ebenfalls nicht dazu gemacht ist, jenseits der Kunst des Überlebens in Savannen, Herausforderungen im zweiten Sinn des Wortes gut und vor allem rechtzeitig zu bewältigen. Geht nicht. Kann er nicht.

Das Modell Homo sapiens ist gut geeignet für kleine Gruppen in Savanne bis Wald und Sumpf und Gebirge, aber Nachhaltigkeit und vorausschauendes Handeln in großen, komplexen Kollektiven kann es nicht. . . da hilft nur weiterblättern im Katalog, aber leider ist man schon auf der letzten Seite, jenseits davon gibt es keine Kreatur mehr.

Sagen wir es also mal ganz offen und ruhig: Dies ist die Sterbende Welt, und dieses Sterben und Aussterben hat in einem sehr realen Sinn längst eingesetzt. Um das reine Überleben der Menschheit braucht man sich dennoch keine Sorgen zu machen. Wenn’s drauf ankommt, sind wir noch zäher als die Ratten. Es ist nur die Frage, wie wir das Kommende überleben werden.

Dazu folgender Vorschlag:

(1) Nahe dem Subsistenz-Minimum dahin vegetierende, verarmte, traurige Menschen, die die goldenen Zeiten nur noch von den Erzählungen der Alten und von einigen Büchern kennen; die es sich (durchaus menschlich) einfach nicht vorstellen können, wie so etwas passieren konnte, und deren ganze Aufmerksamkeit und Kraft auf das bloße Überleben gerichtet ist; und

 (2) inmitten dieser Elenden die Optimisten, die schreien Juhu, es gibt uns, es gibt uns noch, wir haben es geschafft, wir sind noch da, wir sind immer noch da, das haben wir doch gut gemacht, sogar exzellent haben wir alle die Herausforderungen gemeistert . . .

und das Unheil geht in die nächste Runde, denn die Zuversicht ist vielleicht der schlimmste Feind des Menschen.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

Schreibe einen Kommentar