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Corvus Kowenzl
Wir publizieren einen Fachaufsatz.
Zweiter Teil
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 11

Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.


Nachdem man ein Manuskript eingegeben hat. ist man erstmal für zwei oder drei Tage erleichtert, dann verfliegt diese Empfindung wieder über Emails beantworten, Emails schreiben, online-Administration erledigen und damit beschäftigt sein, Leute vielleicht doch noch am Telefon zu erreichen, die per Email wegen Überlastung nicht mehr erreichbar sind oder nie waren.

Die Wochen verstreichen. Da plötzlich fällt es einem zwischen zwei Emails wieder ein: Was ist eigentlich aus diesem Manuskript geworden? Man schaut auf der homepage des Verlages nach, auf der hoch und heilig beteuert wird, dass jedes Manuskript spätestens binnen sechs Wochen nach Einreichung begutachtet ist. Man schaut am Kalender nach: nun ist Woche fünf, man war also zu ungeduldig. Also noch ein bisschen warten.

Ich möchte die Wartezeit nutzen, um die nicht-forschende Leserschaft mit einer Eigenheit des wissenschaftlichen Veröffentlichungswesens vertraut zu machen, nämlich der Begutachtung der Fachaufsätze durch mehrere Fachkollegen oder -kolleginnen oder beides.

Der geneigte Leser wird sich nun denken: Schon wieder diese Kontrolle innerhalb der Institution! Schon wieder dieses Gutachter-Wesen! Und es stimmt. Aber wer sonst soll wissenschaftliche Aufsätze bewerten, wenn nicht die lieben FachkollegInnen?

Man könnte durchaus einmal versuchen, über wissenschaftliche Artikel durch Fernsehpublikum abstimmen zu lassen. Ich fände das sehr demokratisch. Denn wenn die Forschung schon von den Steuergeldern genau dieser Fernsehzuschauer finanziert wird, dann sollten diese auch ein gottverdammtes Mitspracherecht haben, was publiziert wird und was nicht. Und was geforscht wird und was nicht. Oder?

Na, vielleicht ein anderes Mal. . . inzwischen fassen wir zusammen: nicht nur die Anträge zu Forschungsprojekten, sondern auch die Fachaufsätze, die daraus erstehen, sollen Gnade in den Augen des Gutachter-Wesens finden. Wobei es bei Fachaufsätzen, wenigstens was Sprache und Gliederung anlangt, einfacher ist als bei einem Projektantrag.

Die Sprache von Fachaufsätzen ist so technisch und so festgelegt, dass praktisch kein Raum für Kreativität bleibt, und gleiches gilt für die Gliederung. Bemerkenswerterweise zeigen sich bei der Beurteilung von Fachaufsätzen durchaus unterschiedliche Charaktere auf Seiten des Gutachtens, sprich, es tritt ein wenig mehr aus dem Dunkel hervor, in dem er üblicherweise wohnt, und bei ganz Wagemutigen ist fast schon eine Silhouette erkennbar. Denn auch das Gutachten von Fachaufsätzen hat das Recht, gegenüber den Autoren anonym zu bleiben.

Das englische Wort für ein bei einem Verlag eingereichtes Manuskript lautet submission. Es bedeutet in diesem Zusammenhang sinngemäß übersetzt Einreichung, wörtlich übersetzt aber Unterwerfung. Man unterwirft sein Manuskript also einer Begutachtung, und das wird umso spürbarer, weil man so gut wie nie erfährt, wer als Gutachter das Urteil gesprochen hat.

Es gibt verschiedene Typen von Gutachtern mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Beginnen wir mit dem Leichtesten: der Wiederholer.

Er hakt sich an irgendetwas im Manuskript fest – sei es eine angewendete Methode oder ein Aspekt der Deutung der Daten – das vielleicht (bitte sehr: vielleicht!) durchaus noch diskutierbar wäre, und wiederholt diesen Kritikpunkt in sprachlich abgewandelter Form immer wieder, dazwischen eingestreut ein paar kleinere Änderungswünsche. Ein Wiederholer-Gutachten sieht erstmal recht bedrohlich aus, auch, weil Wiederholer zu einer sprachlich drastischen Ausdruckweise neigen.

Beim zweiten Hinschauen aber sieht man, dass es zumeist recht harmlos ist. Spätestens dem Herausgeber wird das ebenfalls klar, wenn man in der schriftlichen Stellungnahme zur Korrektur des Fachaufsatzes immer wieder schreibt: „Dieser Einwand ist derselbe wie zu Zeile 42-44, siehe oben“; „Dieser Einwand ist derselbe wie zu Zeile 42-44, siehe oben“; „Dieser Einwand ist derselbe wie zu Zeile 42-44, siehe oben“.

Nun zum zweiten Gutachter-Typ: der Detailversessene. Er liefert einen sehr langen Begutachtungs-Text, in dem zahllose Kleinigkeiten und weitere Klarstellungen moniert und als zu korrigieren oder nach seinem Willen zu ändern oder zu ergänzen wären.

Zudem sind einem Detailversessenen die Untersuchungs-Methoden immer viel zu kurz und viel zu schlampig beschrieben, egal, wie allseits bekannt und bereits hunderttausendefach schon durchgeführt diese auch sein mögen, bis hin zur Frage, welche Verkehrsmittel man benutzte, um ins Untersuchungsgebiet zu gelangen (Bus, Bahn, PKW, Flugzeug, Fahrrad, Roller?).

Eine detailversessene Begutachtung schaut auf den ersten Blick schrecklich aus. Man scrollt die Seiten des Gutachter-Texts hinunter und denkt sich „Ja nimmt das denn kein Ende?“ Doch je genauer man hinschaut, desto mehr erkennt man, dass die meisten der beanstandeten Stellen nur einen Mausklick oder das Wechseln eines Wortes oder ähnlich kleine Aktionen benötigen. Geduld ist gefragt.

Also klickt und klackt man sich wochen- oder monatelang durch den Wust des Gutachtens und des Manuskriptes durch (denn man hat ja schließlich noch ein paar andere Sachen zu tun, wie etwa Emails schreiben, Emails beantworten, online Administration erledigen. . .), bis alles oder wenigstens das Meiste nach dem Willen des Detailversessenen geändert ist.

Nun zu den eher schwierigen Gutachtern. In dieser Riege wäre zuerst Der Schnelle Vernichter zu nennen. Er begnügt sich mit einem knappen Satz, wie etwa „Das Manuskript enthält Deutungen der Daten, die fragwürdig sind.“ oder: „Das Manuskript entspricht nicht einem akademischen Fachaufsatz.“ oder „Das Manuskript sollte in zwei Manuskripte geteilt werden.“ Basta.

Kein Wort, was da gemeint und welche Deutung fragwürdig war, wie denn seiner Ansicht nach der akademische Fachaufsatz aussehen sollte oder wo und wie das Manuskript in zwei geteilt werden sollte. Immerhin: man muss nicht lange leiden, der Schlag wurde mit voller Wucht geführt, man ist sofort tot.

Das führt zum schwierigsten aller Gutachter: Der Sadist. Ein sadistisches Gutachten ist ein wenig ausführlicher als das eines Schnellen Vernichters und quält vermittels der Hoffnung, dass das Manuskript irgendwann doch Gnade finden könnte, wenn so manche tiefgreifende Änderung daran vorgenommen wird.

Oh ja – aber welche nur? Genau hier setzt der Sadismus an, denn darüber bleibt der Sadist sehr allgemein. Das liest sich in etwa so: „Das Manuskript behandelt eine lange zu wenig beachtete Erscheinung und ist von daher durchaus publikationswürdig; allerdings benötigt die Darstellung der Daten und ihre Deutung eine tiefgreifende Reorganisation.“ Hier Punkt.

Genau da, wo man sich wünschen würde, wenigstens ein paar kleine Hinweise zu bekommen, wie denn die Daten anders dargestellt und die Deutung reorganisiert werden sollten. Denn der Sadist weiss: jetzt beginnt das große Kopfzerbrechen, Diskussion in der Gruppe, Grübeln über dem Text, Versuch eines Neuanfangs, schlaflose Nächte usw. usw., ohne dass man weiss, ob das neue und profund geänderte Manuskript am Ende doch willkommen oder wenigstens willkommener ist als das erste.

Die oben beschriebenen Gutachter sind lediglich Eckpunkte in einem weiten Spektrum, das sich aus mehr oder weniger freien Mischungen aller vier Typen ergibt. Eine häufige Verbindung ist zum Beispiel die eines Wiederholers mit einem Detailversessenen (die Manuskript-Korrektur braucht dann entsprechend noch mehr Geduld), oder die eines Sadisten mit einem Wiederholer.

Man mag sich nun wundern, weshalb sich Wissenschaftler so viel mit der Korrektur ihrer Manuskripte herumschlagen. Die Antwort ist einfach: der Herausgeber als (meist) neutraler Vermittler zwischen Autor und Gutachter achtet darauf, dass die Autoren auch brav ihre Beachtung aller Änderungswünsche und Launen des Gutachters in einer schriftlichen Stellungnahme (zusätzlich zum Manuskript zu liefern) dokumentieren.

Daraufhin geht das überarbeitete Manuskript erneut zu denselben Gutachtern, aber zusammen mit den Stellungnahmen. Wenn dann Gutachter A zornentbrannt sieht, dass sein so heftig monierter Änderungsvorschlag wegen eines anderslautenden Wunsches von Gutachter B und C nicht eingearbeitet wurde, dann kann er zumindest die Autoren nicht mehr dafür verantwortlich machen. Und wenn Gutachter A, B und C alle etwas anderes wollen – was durchaus nicht selten ist – dann sieht man meistens ein, dass die Lösung nur ein schlechter Kompromiss sein konnte.

In vielen Fällen geht das neue Manuskript dann mit neuen, aber zumeist viel weniger und leichter zu bewältigenden Anmerkungen der Gutachter zurück zu den Autoren, und das Spiel beginnt aufs Neue. Das ganze kann sich bis zu drei Mal, seltener auch vier Mal wiederholen.

Sind die Gutachter schließlich zufriedengestellt und sagen „OK zum Publizieren“, dann mischt sich oft noch der Herausgeber ein. Dabei geht es fast immer nur noch um formale oder sprachliche Kleinigkeiten, die aber immerhin auch korrigiert werden müssen, und nach geltendem Recht darf nichts (auch kein Beistrich) an einem Text ohne die Zustimmung der Autoren geändert werden.

Und dann kommt das lange Ersehnte: der Herausgeber schreibt „Das Manuskript ist zum Druck angenommen“. Ab dieser schriftlichen Zusage, die mit dem lateinischen Imprimatur bezeichnet wird, ist das Manuskript gewissermaßen aus dem Verantwortungsbereich der Autoren genommen und es liegt nun am Verlag, dafür zu sorgen, dass es so bald als möglich veröffentlicht wird.

Erst ab dem Imprimatur darf ein Autor ein Manuskript zitieren. Soweit das klassische Prozedere von Einreichung eines Manuskripts bis zum Druck. Der Vollständigkeit halber sollte ich hier vielleicht noch anfügen, dass es längst schon wissenschaftliche Arbeiten gibt, die nachweisen, dass die Qualität von Manuskripten durch den Begutachtungs-Prozess meistens schlechter wird, oft aber auch gleich bleibt, und eher selten wirklich besser wird.

Intransparent, das Ganze? Selbstverständlich!

Vor allem die Asymmetrie der Begutachtungs-Situation führt immer wieder zu Missbrauch. Zwar haben sich die Verlage bemüht, durch ethische Richtlinien, die der Gutachter als gelesen anklicken muss, den schlimmsten Auswüchsen vorzubeugen.

Inzwischen jedoch verfiel man auf eine andere Lösung: das sogenannte Open-Access Publizieren. Man stellt ein Manuskript für alle sichtbar auf eine Internet-Plattform, dann kann jeder vom Fach zwei Monate lang seine Kommentare dazu abgeben.

Der Vorteil: Man sieht, WER kommentiert hat. Wer also Schwachsinn schreibt oder offensichtlich kritiksüchtig oder sonst wie destruktiv ist, der wird namentlich bekannt, und man kann ihn oder sie sich gleich für spätere Racheakte vormerken.

Nach den zwei Monaten haben die Autoren Zeit, auf die Kommentare zu reagieren und natürlich auch das Manuskript zu ändern. Der Herausgeber (den es auch bei solchen Plattformen noch gibt) entscheidet dann, ob das Manuskript abschließend veröffentlicht wird. Bei den meisten open-access Plattformen bleiben die Kommentare anderer auch nach der Publikation sichtbar. Das macht vorsichtiger, zumindest für den Anfang. Die Erfahrung wird zeigen, ob nicht auch hier zunehmende Unverschämtheit und Aggressivität zur façon werden.

Oh, die Zeit ist schon um! Unser Manuskript sollte nun begutachtet sein. Ich klicke meine mails an. Und richtig, da steht eine mail mit dem Subject: Your submission.

Jetzt wirds spannend. Soll ich noch vor oder erst nach dem Mittagessen reinschauen? Ach was, ich tu’s jetzt gleich . . .

. . . schon acht Monate später wurde das Manuskript zum Druck angenommen. Ich war so erleichtert! Um ein Haar hätte ich den ganzen Datenkrempel mühselig selbst entsorgen müssen! So aber habe ich meine Daten und meine Ideen nun akademisch korrekt dem Vergessen anheim gegeben, immerhin erscheinen derzeit pro Jahr etwa 2 000 000 (in Worten: Zwei Millionen) wissenschaftliche Artikel, Tendenz weiterhin steigend.

Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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