Hannes Hofinger
Tagesreisen nach Tirol.
Fronleichnam oder Almabtrieb?
Satire
Redaktionssitzung bei „Norddeutsches Reisejournal“
„Wir brauchen einen zugkräftigen Event! Einig sind wir uns über die Route: über den Achensee mit Aufenthalt in Pertisau, Schifffahrt nach Bartholomä und zurück, dann mit dem Dampfzug nach Jenbach und von dort im Bus ins Unterland. Mein Vorschlag lautet: St. Johann! Besichtigung der barocken Kirche, dann Kaffee und Kuchen … das Übliche halt.“
„Und genau das stört mich: Das Übliche! Diesen Pensionisten-Schmarrn bietet ausnahmslos jedes Reisebüro an. Wir brauchen etwas Neues, Spannendes. Interessantes!“
„Und woran hast du dabei gedacht?“
„Zum Beispiel Fronleichnam. Da machen die Tiroler einen wirklich beeindruckenden Umzug mit Musikkappelle und Schützen und Pfarrer und jede Menge verkleidete Einheimische.“
„Verkleidete Einheimische?“
„Naja, nicht wirklich verkleidet, aber es schaut so aus. Wie eben alles in Tirol.“
„Und was hat es mit dem Leichnam auf sich?“
„Kein Leichnam. Fronleichnam ist eine mittelalterliche Bezeichnung und kommt von vrône lîcham für des Herrn Leib.“
„Entschuldige Kollege! Wie sollen wir unseren Kunden eine Reise zu einem Leichnam, der kein Leichnam, sondern der ein Leib des Herrn ist, schmackhaft machen? Wobei ich eben im Internet sehe, dass selbst von den Teilnehmern dieser Veranstaltung ein Großteil keine Ahnung hat, wo sie da mitlatschen. Ist nur leere Tradition. Nein. Da bin ich entschieden dagegen.“
„Gut. Anderer Vorschlag: Tagesreise nach Tirol zur Herz-Jesu-Prozession?“
„Was ist denn das?“
„Vom Ablauf her dasselbe wie Fronleichnam. Nur die Begründung ist anders. Sie geht auf ein Gelöbnis der Tiroler von 1796 zurück. Damals haben sie geschworen, dass sie, falls Napoleon sie in Ruhe lässt, jedes Jahr eine Prozession veranstalten mit Bergfeuern und allem Brimborium.“
„Das ist ja noch schräger. Die Alten Römer haben ihren Göttern auch allerhand versprochen, aber eben den Göttern und nicht dem Heiligen Herz eines Gottes. Irre!“
„Josef!!“
„Ja, tut mir leid, Götter in Tirol nichts verloren. Ich finde, wir sollten das machen. Unsere Almabtriebe sind ja wirklich schon ziemlich ausgelutscht. Wer will noch geschmückte Dirndl und aufgemaschelte Kühe fotografieren? Aber wir könnten aus diesen Almabtrieben lernen, wie wir es anstellen. Ihr wisst ja, dass wir in der Wildschönau einen idealen Partner haben. Ein Gasthaus mit riesiger Terrasse, direkt an der Dorfstraße. Da haben sie ihre zwanzig Kühe im Stundentakt ums Haus getrieben, und während die hinter dem Gasthof auf der Wiese gegrast haben, wurde der nächste Bus entleert. Alle waren zufrieden, jeder konnte tolle Fotos schießen. Vielleicht könnten wir dort den Pfarrer mit einer kleinen Spende überreden, dass er den Herz-Jesus-Umzug auch ein paarmal ums Gasthaus schickt? Statt um die Kirche.“
„Also heuer kein Almabtrieb, sondern einen Herz-Jesu-Event?“
„Warum nicht überhaupt kombinieren? Bunte Kühe, Ministranten, insdirndlgezwängte Jungfrauen, lederbehoste Jodler und ein Pfarrer mit Monstranz?“
„Das überlegen wir uns für nächstes Jahr. Heuer bleibt´s beim Herz Jesu!“
„Tschüüüüüüüüüüüüü miteinander.“
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