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Corvus Kowenzl
Von 8 bis 80
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 28

Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.


Im Gegensatz zum Westälpler ist der durchschnittliche Ostälpler notorisch wissenschaftsfeindlich. Wissenschaftler, vor allem solche, die an ostalpenländischen Unis Wissenschaft zu machen versuchen, gelten ihm grundsätzlich als verdächtige Existenzen.

Was machen die eigentlich den lieben langen Tag? Was erforschen die und wozu? Und stimmt es, dass die Kerle noch viel längere Sommerferien als die Lehrer haben? Was tun sie die ganze Zeit? Brauchen wir die wirklich? Ist meine Tochter dort auch sicher? – schließlich ist ja allgemein bekannt, dass alle Professoren mit allen Studentinnen ein Verhältnis haben, und dass die Studenten in diesen sogenannten Wohngemeinschaften alle miteinander kreuz und quer schlafen.

Solche und ähnliche Fragen treiben den Ostälpler in seinen geistigen Schluchten um und rauben so manchem Vater, dessen Tochter trotz allen gegenteiligen Zuredens doch in die Stadt zum Studieren gegangen ist, den Schlaf. So ging es viele Jahre, und es ging eigentlich ganz gut so, denn die nach-kaiserzeitlichen Ostalpen warfen eine im Vergleich zu den eingesetzten finanziellen Mitteln überdurchschnittlich hohe Zahl guter Wissenschaftler ab, vermutlich eine Art Reizklima-Effekt.

Es ging erst los, als die Universitäts-Administrationen dies als ein Image-Problem erkannten, das sie ändern wollten. Denn nach einer Gesetzesänderung wurden die Universitäten wie Unternehmen behandelt, die untereinander in Konkurrenz stehen sollten, nach dem Schema: Wer mehr Studenten hat, der ist besser; oder wichtiger; oder sonst etwas, keiner weiss das wirklich so genau. Viel klingt gut, mehr klingt toller.

Unter den Maßnahmen, mit denen sich die universitäre Forschung dem Kleinen Mann auf der Straße verständlich machen will, stehen EVENTS an oberster Stelle, die nach dem Schema von 8 bis 80 ausgelegt sind. Der Elfenbeinturm, in dem sich die Wissenschaften angeblich befinden (unser Institut ist jedenfalls nur in einem Betonplattengebäude), wurde zum meistzitierten Bauwerk der Welt und die Zerstörung oder wenigstens das Verlassen desselben zum Ideal schlechthin erklärt.

Trivialisieren ist also angesagt. Können sie das einfacher sagen? Das war schon recht gut, aber können sie es noch einfacher sagen? Gut, und nun nochmals einfacher! – Ist ja egal, wenn’s dann nicht mehr ganz so richtig ist, Hauptsache, die Leute haben das Gefühl, sie würden es verstehen.

Hinter dem steht die irrige Auffassung, dass etwas, was ich auf Anhieb zu verstehen glaube, auch intellektuell attraktiv wirkt. Wer sich allerdings von Dingen, die er sofort versteht oder zu verstehen glaubt, angezogen fühlt, taugt nicht zum Forscher. Übrigens spüren viele der Leute von 8 bis 80, die auf den diversen Schaustellungs-Events von Station zu Station herumgelotst oder bespielt werden, ohnehin, dass ihnen etwas vorgemacht wird. Doch das ist egal, hier geht es im Grunde ja auch nicht um Wissenschaft, es geht um ein Erlebnis in einem ungewohnten, anderen Rahmen mit Leuten, die ähnlich geheimnisvoll sind wie Freimaurer oder die chinesischen Triaden.

Das sind ja richtige Menschen, diese Uni-Leute, nette Leut‘ sind das, und so umgänglich, das hätt I gar nit dacht: akademischer Streichelzoo mit wissenschaftlichem Personal zum Anfassen und Liebhaben.

Glaube niemand, dass nicht auch die Uni-Leute keinen Gefallen an diesen Lustbarkeiten fänden. Im Gegenteil. Manche sind regelrechte Spezialisten für bestimmte Events geworden, haben vielleicht die Rolle ihres Lebens gefunden. Andere sind Switcher, die eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit zeigen. Man munkelt, dass ein Komparatist nach ein paar solcher events sogar zum Film gegangen ist. Vielleicht spielt in Zukunft bei der Besetzung einer Planstelle auch eine Rolle, ob jemand eine Schauspiel-Ausbildung hat oder nicht. Eine Marktlücke: Schauspielschule für universitäre Wissenschaftler.

Ich persönlich habe auf den wichtigsten Unis bei allen events gespielt; und ich, mein Süßer, wurde mit dem renommierten science for dummies prize ausgezeichnet. Tja, lieber Kollege, das klingt ja wirklich, als hätten Sie sich gehörig angestrengt – gratuliere so ganz nebenbei – aber ich, ich, ich wurde dreimal hintereinander in Harvard für die Science-As-Porn Trophy nominiert, eine Auszeichnung, die neben bestem Aussehen und reichlich schauspielerischem Talent auch – na, sagen wir mal, eine spezielle körperliche fitness voraussetzt. . . aber strengen Sie sich ruhig weiter an, wir brauchen auch gute Leute in der zweiten Reihe. . .

Ungerecht fand ich immer, dass es Fachrichtungen gibt, die sich mit 8 bis 80 gleichsam von Haus aus leichter tun als andere. Physiker und Chemiker zum Beispiel: irgendwas knallt, summt, verfärbt sich, blubbert plötzlich oder beginnt zu blinken. Oder die Biologen: ein paar Tierchen zum Ekeln gibt’s immer und dazu das geschulte Personal, das diese Tierchen beforscht und weiß, wie man damit umgeht, ohne sofort gestochen, gebissen oder vergiftet zu werden, meistens wenigstens. Oder die Meteorologen: sie können auf ihren Bildschirmen verschiedene Wettersimulationen laufen lassen: Schaut, liebe Kinderchen, und wenn ich x statt 0.000003 auf 0.0000029 stelle, dann läuft das simulierte Wetter ganz anders ab und jetzt versteht ihr, wieso die Wettervorhersage nie stimmt, ha ha,ha!

Aber was machen die Geologen? Natürlich, wir zeigen einen Vulkanausbruch! Auf großer Leinwand sprüht und spuckt es Lava, glutflüssig-leuchtend ergießt es sich über Bergflanken und über Dörfer, ja ja, die Naturgewalten. Bis dann die unweigerliche Frage gepiepst kommt: Wo ist bei uns denn ein Vulkan? Kann man dem beim Feuerspucken zugucken? Äh – nein, bei uns steht kein Vulkan, zum Glück aber auch. Das stimmt, aber man spürt, dass es mit der Faszination jetzt doch irgendwie vorbei ist. Vulkane sind weit weg. Verloren.

Das nächste Mal also: Erdbeben. Kompressionswellen, Scherwellen, Rayleighwellen, Lovewellen – interessiert kein Schwein! Spannend wird’s erst, wenn ein Erdbebensimulator läuft mit Schwanken und Grollen eines mittelmäßigen Bebens. Kann sowas auch bei uns passieren? fragt dann eine Lehrerin. Ha, denkt der schauspielernde Wissenschaftler, diesmal hab ich die reality auf meiner Seite. Und er antwortet mit stolzgeschwellter Brust: Na klar, sogar viel stärkere Beben hat’s bei uns schon gegeben. Die Lehrerin, irritiert: Wirklich? Echt? Ja, so der Wissenschaftler, und es könnte wieder passieren. Ernüchterung macht sich breit.

Die Lehrerin blickt auf ihre Schüler, dritte Klasse Grundschule. Die Kinder sind still, schauen auf ihre Lehrerin. Sie meinen, so etwas könnte wieder passieren? fragt sie den Wissenschaftler nochmals mit erhobener Stimme (ja merkt denn der Trottel gar nichts?). Ja, durchaus, so des Wissenschaftlers schon wieder wahrheitsgemäße Antwort. Diese Wissenschaftler mit ihrer Sch. . . Wahrheit aber auch! Einige Augenblicke betretene Stille. Dann rettet die Lehrerin die Situation und ruft aus: Wie schön, ich würde mich total freuen, wenn’s mal so richtig schaukelt und wackelt! Jaaa! – die Kinderchen daraufhin. Eine Woche später bekommt der Wissenschaftler ein zorniges Email von der Lehrerin, dass viele der Kinder nicht mehr gut schlafen können; die einen, weil sie ständig auf ein Erdbeben warten, damit’s mal so richtig schaukelt, die anderen, weil sie sich davor fürchten.

Noch schwerer haben’s die Geisteswissenschaften, zum Beispiel Germanisten. Was, bitte sehr, soll man als Germanist interessantes und unterhaltsames einem Publikum von 8 bis 80 präsentieren?

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kinderchen, früher wurde den Schülern die richtige Beistrichsetzung mit dem Rohrstock beigebracht, und das wollen wir heute nachspielen. Ich schreibe einen Satz hin und jemand muss die Beistriche korrekt setzen, wer meldet sich?

Für distinkte Stimmung würde so was durchaus sorgen, insgesamt dürfte dieses Programm aber eher etwas für Spezialisten bleiben. Außerdem käme ein Germanist bei den heutigen Rechtschreibkenntnissen selbst der Studenten aus dem Prügeln nicht mehr heraus.

Fazit: das ideale 8 bis 80 event unterhält und belehrt, sollte gleichzeitig auf die Bevölkerung aber auch beruhigend wirken nach dem Motto: Wir arbeiten für euch, wir wachen über die Gefahren, wir besiegen alle Krankheiten.

Was bleibt also? – Richtig, noch mehr Trivialisierung! Vor meinem geistigen Auge sehe ich das Uni-Event der Zukunft. Alles ist wie auf einer Riesenparty geschmückt. Konfetti und popcorn liegen auf dem Boden. Thema der Veranstaltung: Gravitation ist Scheiße!

Das Motto wurde verbal bewusst sehr breit angelegt, um den einzelnen Fakultäten und Instituten entsprechenden Spielraum für ihre Interpretation zu ermöglichen, so stand es jedenfalls in der offiziellen Email-Aussendung der Stabsstelle für Öffentlichkeitsarbeit.

Ich habe die Verkleidung des Tyrannosaurus gewählt. Eine etwas konventionelle Wahl, zugegeben, aber immer wieder wirksam. Ich lauere in einem Winkel und springe dann auf den Brontosaurus zu, der im zivilen Leben Brigitte Scheibelmüller heißt, die sich mit Altersbestimmung von Gesteinsoberflächen beschäftigt; er – also der Brontosaurus – muss sich ein wenig wehren, aber nicht wirksam, natürlich muss der Tyrannosaurus die Oberhand behalten und dann seine grauenhaften Zähne in die Beute schlagen, Ende der Vorstellung. Ich will Brigitte ja nicht wirklich auffressen (obwohl. . .) und ziehe mich wieder für den nächsten Durchgang hinter den Winkel zurück.

Nach ein paar Überfällen wird mir aber langweilig, ich lasse den Brontosaurus brigitti hinter mir zurück und mache mich als freischaffender Tyranno auf den Weg. Ich lauere hinter Ecken und Winkeln und springe dann hervor. Hi hi, es wirkt immer wieder: Erwachsene zucken zurück und Kinder beginnen zu weinen, auch unseren Studiendekan, der sich als verrückter Tropenforscher verkleidet hat, konnte ich gehörig erschrecken. Was bin ich aber auch für ein Schlimmer!

Jetzt beginnt es mir so richtig Spaß zu machen, und ich steuere brüllend und zähnefletschend auf die Geisteswissenschaften zu, gefolgt von einem losen Schwarm von Kindern. Der tut nichts, der will nur spielen. Ein Tyrannosaurus bei den Philosophen, das wär doch mal etwas ordentlich Transdisziplinäres!

Unterwegs begegnet mir der Leiter des Instituts für Gender Studies. Er läuft in Stöckelschuhen und trägt ein sehr kurzes Baströckchen sowie einen gewollt sichtbar mit Watte ausgestopften BH. Ich hebe den Kopf und brülle grüßend, aber – he, Moment mal – hat der unter seinem Baströckchen überhaupt etwas an? Ich kann es nicht mehr erkennen, denn von irgendwoher geht plötzlich ein dichter Konfettiregen auf mich nieder.

Weiter also zu den Philosophen. Als ich zufällig nach links hinausschaue, sehe ich wie unser Rektor, angetan mit einem Superman-Kostüm, in hohem Bogen aus der Fensterfront der Aula springt. Zumindest der obere Teil seiner Flugbahn lässt mich sofort vermuten, dass die Gravitation zwar Scheiße sein mag, aber blöderweise immer noch wirkt; ich wende mich ab und verfolge weiter meinen Weg zu den Philosophen, the show must go on.

Da versperrt mir ein mannshohes Büschel Haare den Weg, umringt von einer schreienden Schar Kinder, die sofort auch mich umzingeln und sich mit meiner Kinderschar vereinen. Ich möchte ausweichen, aber das Büschel springt wieder vor mich hin. Ich versuche es nochmals, wieder springt das Büschel vor mich. Da besinne ich mich auf meine Qualitäten: ich hole Luft und brülle aus vollem Hals, wobei ich mein Maul mit den fürchterlichen Zähnen weit aufreiße. Einige der Kinder laufend schreiend davon. Hey, supeeer! – ruft dann das Büschel, na du bist aber ein toller Tyranno! Aus dem Büschel kommen zwei Arme hervor und fummeln mühsam die Haare weg. Ah du bist das Peter, rufe ich dann, jetzt hätt‘ ich dich doch glatt nicht erkannt.

Wo die Wilden Kerle wohnen, ruft Peter (Institut für Erziehungswissenschaften) den Titel eines beliebten Kinderbuches, und macht mir den Weg frei. Ich möchte den Aufzug nehmen, aber alle Lifte sind bis zur Decke voll mit Schaum. Bleibt nur die Treppe.

Ich habe erst ein paar Stufen genommen, da tritt er oben auf den Treppenabsatz. Ich erkenne ihn sofort: Robocop! Vermutlich vom Institut für Strafrecht! Unbewegt, bedrohlich schaut er auf mich herunter. Die Bewegungssensoren in seinem Kopfteil sirren leise; seine stählernen Arme stehen kraftvoll von seinem stählernen Brustkorb ab; überhaupt wirkt er ziemlich stählern. Ich schicke die Kinder weg. . . das wird der Kampf meines Lebens!

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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