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Corvus Kowenzl
44xyz-at80, ********
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 29

Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.


Guten Tag. . . äh, habe ich eigentlich schon erwähnt, dass mein Alltag als Leiter eines Instituts für Geologie einer ostalpenländischen Universität im Wesentlichen darin besteht, am Computer zu sitzen und Emails zu beantworten, Emails zu schreiben, online-Administration zu erledigen und weiters damit beschäftigt zu sein, Leute vielleicht doch noch am Telefon zu erreichen, die per Email wegen Überlastung nicht mehr erreichbar sind oder nie waren? – Nein? Dann bin ich froh, dass das jetzt endlich mal gesagt ist. Wobei einschränkend festzustellen ist, dass die Emailerei nichts mit der Tatsache zu tun hat, dass mein Institut an einer ostalpenländischen Universität beheimatet, sondern Teil des globalen Kommunikations-Wahnsinns ist.

Es gibt weniges, das mir mehr das Gefühl verleiht, so eine Art Dinosaurier zu sein, als die Erinnerung an jene fernen Zeiten, in denen es das Email noch nicht gab. Das Höchste der Gefühle war ein Festnetz-Telefon. Für meine jungen LeserInnen: das war ein etwa 20/20/12 cm (l/b/h) großer Apparat, der an einem festen Platz irgendwo in der Wohnung stand; vermutlich kommt von daher die Bezeichnung Festnetz.

Wenn jemand anrief, dann schrillte es in kurzen Abständen, so lange, bis der Anrufer oder die Anruferin aufgab, weil man grade nicht erreichbar war oder nicht erreichbar sein wollte. Und zumindest in meiner Jugend ist es das gewesen: es gab kein Tonband, auf das der Anrufer sprechen konnte, auch keine sonstige elektronische Benachrichtigung über den Anruf. Der Anrufer musste es einfach wieder probieren beziehungsweise musste der Angerufene einfach eine erneute Schrill-Tirade ignorieren.

Andererseits wusste der Angerufene nicht, wer ihn da aus seiner emaillosen Grabesruhe aufschrecken wollte. Es gab an den damaligen Festnetz-Telefonen kein Display, das anzeigte, wer angerufen hatte, es gab auch keine Möglichkeit, Benutzer zu sperren. So verblieben in machen Fällen wiederholten Schrillens nur ätzende Zweifel. War das schon wieder der aufdringliche Kunde, der seit einer Woche jeden Tag mehrmals anrief, um zu wissen, ob die Lieferung schon da war, oder hat sich vielleicht doch die kleine Blonde zurückgemeldet, die man vor ein paar Tagen kennengelernt hatte?

Also nahm man das nächste Mal den Hörer ab, und natürlich war es dann der nervige Kunde. Hatte man jemanden dann endlich mal an der Leitung, musste die Gelegenheit entsprechend ausgenutzt werden. Ich erinnere mich noch, wie das damals ging. Zumeist lag auf dem Tisch oder dem Tischchen, auf dem das Festnetz-Telefon thronte auch ein Kalender mit eingetragenen Terminen. Also verglich man angenehm plaudernd die Agenda, setzte einen Termin fest und verabschiedete sich dann. Ende der Prozedur. Und hielt sich dann ganz einfach daran.

Man wäre nie auf die Idee gekommen, jemanden einen Tag vorher nochmals am Telefon zu erreichen versuchen, mit dem man bereits einen Termin ausgemacht hatte. Denn man hatte diesen Termin ja immerhin interaktiv (wie man heute sagen würde) festgelegt, also sah man keinen Grund, dies erneut zu bekräftigen oder in Erinnerung zu rufen.

Nur in seltenen Ausnahmefällen, wenn man es mit ganz besonders Beschäftigten zu tun hatte, wurde ein Termin verschoben. Dazu wurde man meist von einer Sekretärin angerufen. Ich gebe zu, die Festnetz-Methode hatte also auch ihre kleinen Abgründe, aber verglichen mit den heutigen Gebräuchen waren sie harmlos.

Heute sieht das so aus: Ich möchte mich mit Mike (ostälplerisch für Michael) treffen, um einige psychologisch heikle Details des neuen Masterstudienplans persönlich zu besprechen und einen Plan zu entwerfen, wie wir die entsprechenden Stundenkürzungen den darauf allergisch reagierenden Personen im Lehrkörper beibringen können.

Ein grober Vorabvergleich per Email unserer Terminpläne zeigte, dass in zwei Wochen vermutlich zwei Zeitfenster offen wären, in denen wir dies abhandeln könnten. Wir vereinbaren, diese slots mal in unseren Kalendern zu blockieren. Zwei Tage später bekomme ich eine Email von Mike mit dem Inhalt, dass der erste der beiden slots gestrichen werden müsse, weil ihm da etwas anderes hereingeschneit sei (Teilnahme an einer Kommission, bei der eine doodle-Umfrage eine Mehrheit in genau dem ersten slot ergab).

Ok, auch gut, wir haben ja noch einen. Wieder zwei Tage später erneut eine Email vom guten Mike mit der Bitte: Ruf mich an! Was ich pflichtschuldig mache, allerdings mit einer Verspätung von etwa 1.5 Stunden, weil ich gerade mehrere Studenten in meinem Büro stehen habe, mit denen ich gemeinsam, aber vorerst vergeblich einen für möglichst viele geeigneten Termin für eine eintägige Pflichtexkursion finden sollte. Nachdem wir uns unverrichteter Dinge getrennt haben, rufe ich sofort Mike an, der aber nicht mehr erreichbar, vermutlich irgendwo in einem Praktikum ist.

Ich spreche ihm auf die Box. Am Abend gegen 22.30 h ruft er mich zurück. Da ich schon geschlafen und vom Email Schreiben geträumt habe, bin ich nicht ganz in Form. Das tut ihm leid, er verspricht, mir ein Email zu schreiben, das ich dann gleich beim Morgenkaffee lesen könne.

Was ich zwischen zwei Schlucken am folgenden Tag auch mache: Subject: Masterstudienplan; Text: Muss unsere Besprechung übernächste Woche um eine Stunde kürzer machen, ist das OK? Halb noch im Schlaf tippe ich ein: OK. zwei Stunden sollen raichen, wobei ich das t in ’sollten‘ übersah und den Tippfehler, denn es heißt natürlich reichen mit e. Dann in die Arbeit. . .

. . . inzwischen war es Freitag Mittag geworden, und so langsam wurde es gefährlich. Denn die Erfahrung zeigt, dass die meisten der widerlichen Emails am Freitagnachmittag verschickt werden, jene Emails also, die für einen Institutsleiter und nicht selten auch für seine MitarbeiterInnen Mehrarbeit bedeuten.

Natürlich pure Boshaftigkeit der entsprechenden Stellen in der Verwaltung. Denn die wissen nur zu gut, dass sich die Wissenschaftler und vor allem jene Institutsleiter, die partout nicht davon lassen wollen, auch weiterhin unter ferner liefen auch als Forscher tätig zu sein, allesamt auf den Freitag Nachmittag als den Auftakt zum Wochenende freuen, an dem man endlich einmal das tun kann, wozu man irgendwann vor Jahren ausgebildet wurde.

16.00 Uhr: der Email Verkehr dünnt langsam aus. Ein paar Spams, eine Frage einer Studentin zu einer Prüfung, ein paar Anfragen, bei irgendwelchen angeblichen Wissenschafts-Journalen als Herausgeber tätig zu werden, dann noch die übliche Aufforderung, die eigene Adresse, Telefonnummer und Kreditkartendaten so rasch als möglich bekanntzugeben, weil man die fünfzig Millionen Dollar sonst unmöglich korrekt überweisen könne, dann noch ein paar kleinere dienstliche Sachen.

16.45 Uhr, die inbox bleibt seit ganzen fünf Minuten leer, Friede kehrt ein. Was nun? Da fällt mein Blick auf ein Manuskript, das ich noch begutachten sollte (ja, auch ich mutiere fallweise zu einem Gutachter-Wesen). Zumindest könnte ich nun mal damit anfangen und am Wochenende daran weitermachen.

Ich öffne das pdf und lese erstmal die Zusammenfassung. So weit, so gut, klingt ja recht interessant. Dann bereite ich mir das Manuskript zum Korrekturlesen vor und dann geht’s richtig los. Bald habe ich mich in meine Aufgabe versenkt. Irgendwann komme ich wieder zu mir und beschließe, nun nach Hause zu gehen. Reflexartig checke ich nochmals meine Emails und da ist tatsächlich noch was reingekommen. Versendet um 17:45 Uhr. Es ist etwas dienstliches.

Ohne Details zu nennen, um was es sich handelte, sei nur so viel gesagt: nun kann ich meinerseits den letzten verbleibenden slot für die Besprechung mit Mike nicht mehr halten. Wir müssen einen neuen Termin finden.

Schnell schreibe ich ihm noch eine Email. Dann Computer runterfahren und raus. Am Heimweg säuselt mein Handy im Rucksack. Ich packe es aus. Es ist Mike. Er dachte, er ruft mich besser jetzt gleich an. Wie engagiert von ihm! Er zählt seine neuen möglichen Zeitfenster auf und fragt mich dann nach den meinen. Ich bin aber grade etwas unpässlich, es schneit wie verrückt und ich muss mir beim Gehen das Handy knapp ans immer kältere Ohr halten. Ich gehe nämlich zu Fuss zum Arbeitsplatz, wegen der Nachhaltigkeit. Weisst was? rufe ich hinein, schreib mir doch eine mail! OK? Ciao!

Zuhause dann sofort an die Mail. Benutzerkennung, password, schon bin ich wieder im Programm drin, wo ein ordentlicher Institutsleiter auch hingehört. Aber Mike hat noch nichts geschrieben, also werde ich morgen mal reinschauen. Doch auch am Samstag schweigt der Mike. Rasch beantworte ich einige andere Emails, wenn ich schon mal im Programm drin bin. Braucht ja nicht viel: Benutzerkennung 44xyz-at80, Password ********. Dann hat man am Montag nicht ganz so viel in seiner Inbox liegen.

Ich schicke nun meinerseits an Mike ein paar Vorschläge für Zeitfenster bis in den Herbst 2030 für unsere Besprechung. Nach nur zwei Stunden Emailen kann ich mich wieder meiner Wochenend-Arbeit hingeben. Am Sonntag morgen entdecke ich, dass Mike am Samstag um 23.00 Uhr noch geantwortet hat. Er ist eher ein Nachtmensch, so wie’s aussieht.

Das Ergebnis: wir haben nun ganze drei slots über die nächsten drei Wochen herausgefiltert! Am darauf folgenden Dienstag jedoch ruft mich Mike am Vormittag an, ob wir uns nicht einfach einmal zwischendurch treffen sollen, ganz spontan, dann wäre das erledigt. Ich sage, nichts dagegen, wir müssten es halt immer wieder per Telefon probieren, ob der jeweils andere gerade in seinem Büro ist und mindestens 1.5 Stunden Zeit hat, und momentan habe ich keine Zeit.

Ja, passt. Am Freitag jener Woche – geschätzte 15 Versuche am Telefon und etwa acht Emails später – haben wir es aber wieder aufgegeben und beschlossen, bei den am letzten Sonntag vereinbarten Zeitfenstern zu bleiben. . . ich möchte es kurz machen: Nach vier Wochen hatten wir unsere Besprechung geschafft. Sie war ein Durchbruch, oder wenigstens fast, denn es würde vermutlich nach den erfolgten Einzelgesprächen mit den erwähnten empfindlicheren Personen des Lehrkörpers nochmals einer Besprechung bedürfen.

Das Entnervendste an der unablässigen Emailerei ist aber nicht das mailen selbst, sondern die immer wieder ablaufenden Sitzungen oder, weniger fäkalerotisch ausgedrückt, den ablaufenden sessions.

Denn besonders einem Institutsleiter geschieht es recht oft, dass er zur Beantwortung oder Formulierung einer Email in anderen Quellen nachschauen muss: excel-Listen, Besprechungsprotokolle, pdfs von Verlautbarungen, Mitteilungsblätter, andere Emails, und so weiter. Inzwischen läuft die session ab.

Guten Morgen: 44xyz-at80, ********. Dann wieder: 44xyz-at80, ********. Und bald wieder: 44xyz-at80, ********. Erneut: 44xyz-at80, ********. Nochmals: 44xyz-at80, ********. Und wieder: 44xyz-at80, ********. Vor dem Mittagessen: 44xyz-at80, ********. Am frühen Nachmittag: 44xyz-at80, ********. Und weil’s so nett war: 44xyz-at80, ********. Und übrigens: 44xyz-at80, ********. Zum Tagesausklang: 44xyz-at80, ********.

Jetzt reichts:  Ich konsultiere einen Kollegen vom Institut für Notfall-Psychologie. Er diagnostiziert einen verdrängten Widerstand gegen meine Benutzerkennung und mein Password, vermutlich ein unausgetragener kindlicher Konflikt mit meiner Vaterfigur. Das Beste wäre, 44xyz-at80, ******** innerlich als Teil der eigenen Persönlichkeit anzunehmen, sich nicht ständig dagegen aufzulehnen, denn das würde die Konfliktsituation stets aufs Neue beleben. Ich bedankte mich, aber trotz der 44xyz-at80, ********hoffungsfrohen Worte meines lieben Kollegen verspürte ich erstmal nur Resignation. Ich bin zu 44xyz-at80, ******** verdammt.

Vor meinem geistigen Auge erscheint meine Todesstunde. Meine Seele steigt zum Himmel auf. Das ist so festgelegt. Wer acht Jahre lang Leiter eines Instituts einer ostalpenländischen Universität gewesen ist, hat verbüßt, was ein Mensch nur büßen kann, kommt also ohne weitere Umschweife am kurzen Dienstweg in den Himmel.

Da schwebe ich also so vor mich hin und habe schon seit einiger Zeit die Himmelspforte erreicht und warte. Doch nichts geschieht. Vielleicht muss ich ja doch noch irgendwo ein Formular unterschreiben, nur wo? Ich schaue mich um und schwebe näher an die Pforte heran. Da sehe ich ein Display, das in die Pforte eingelassen ist. Ich tippe darauf, es wird aktiv.

Ein Schriftzug erscheint: Herzlich willkommen im Himmel! Geben sie in die beiden Felder ihre Benutzerkennung und ihr Password ein!   44xyz-at80, Password *******

Na schön. Immerhin kann ich mir sicher sein: das ist nun wirklich das letzte Mal!



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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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