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Elias Schneitter
Ein gutes Pferd zieht noch einmal.
Fortsetzungsroman
Folge 14
Der Onkel bekommt eine Frau.

Zwei Menschen auf der Suche nach etwas Glück. Eine Geschichte, getragen von Elias Schneitters – bei aller kritischen Distanz – warmherziger Empathie für die sogenannten einfachen Leute, denen auch noch unter den schwierigsten Umständen die Möglichkeit eines zuletzt guten Lebens erhalten bleibt.

Hintergrund der Erzählung ist die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Krieg. Die Ehe der beiden Hauptpersonen steht unter keinem guten Stern. Trotzdem stellen sie sich den Fährnissen des Schicksals, getrieben von der Sehnsucht nach einem halbwegs menschenwürdigen Dasein, nach etwas Wohlstand, vor allem aber nach ein wenig Freundschaft und Liebe.


14. Kapitel

Oma mütterlicherseits war wegen der Trinkerei ihres Sohnes, meines Onkels, oft völlig verzweifelt. Manchmal geriet sie ganz außer sich und drohte, dass sie ihm Antabus in den Kaffee schütten werde, damit ihm beim ersten Schluck so übel und er nie wieder einen Tropfen anrühren würde. Den Tipp mit dem Antabus hatte sie von Frau Dr. Gerscha, die auf ihren Spaziergängen mit ihrem Labrador immer wieder bei uns vorbeischaute. 

Oft konnte man über meinen Onkel hören, dass ihm nur die richtige Frau an seiner Seite fehle. Sein jüngerer Bruder Stefan hatte eine fleißige Frau kennengelernt. Die sehr genau wusste, was sie wollte, sodass sein jugendlicher, etwas liederlicher Lebenswandel sehr bald der Vergangenheit angehörte.

Einmal hatte Onkel Albert eine feste Freundin. Diese Frau kam von einem kleinen, tristen Bergbauernhof, der im Hausgang sogar noch den blanken Erdboden aufwies. Die Frau war etwas behindert und hatte eine steife Hüfte und über Monate kam sie jeden Samstag zu uns und wir drei, Oma, sie und ich, verbrachten die Abende gemeinsam mit Fernsehen und nach dem Samstagabendwestern ging sie dann allein ins Bett, weil Onkel Albert erst ganz spät oder gar nicht nach Hause kam und wenn, dann immer betrunken. 

Seine Freundin verließ am nächsten Morgen das Haus und ging zur Sonntagsmesse, um am nächsten Samstag wieder mit ihrer Ledertasche von den Bergen herunterzukommen und auf ihren Albert zu warten. Dieses Zeremoniell ging zwei Jahre lang so, bis Regina,so hieß sie, dann nicht mehr zu uns kam.

Erst viel später sollte ich erfahren, dass sich mein Onkel als Jugendlicher – er stieg über einen Stacheldrahtzaun – mit den Spitzen die Hoden aufgerissen hatte und seither keine Kinder mehr zeugen konnte.

Bald nach Regina kam dann eine neue Frau zu uns nach Hause. Diesmal schien es für Albert eine ernstere Angelegenheit zu sein. An jenem Tag, einem Samstag, saßen meine Großmutter und ich einigermaßen gespannt vor dem Fernseher. Die beiden waren für den Nachmittag angesagt, aber sie tauchten erst während des Abendprogramms auf. 

Schon vom ersten Moment an fühlte sich meine Großmutter in ihren negativen Ahnungen, was diese neue Freundin anlangte, bestätigt. Großmutter und ich schauten gerade Einer wird gewinnen mit Hans-Joachim Kulenkampff, als die beiden hereinwankten, wobei Theresa ihr mitgebrachtes Gepäck im Hauseingang abstellte. 

Der Gesichtsausdruck von Oma sagte alles, als ihr Sohn Albert seine neue Freundin vorstellte, und als Theresa mir die Hand schüttelte, verdrehte Oma die Augen und atmete tief durch. Theresa holte die Einkaufstasche, in der sie Bananen, Schokolade und eine Flasche Fanta verstaut hatte, und bot mir alles an. Sie war mir auf Anhieb sympathisch, zumal meine neue Tante auf mich einen sehr schüchternen Eindruck machte, auch wenn sie laut lachte, aber ich bemerkte sofort, dass sie voller Angst auf der Ofenbank Platz genommen hatte.

Seit Wochen war ihr Name in den Gesprächen meiner Großmutter aufgetaucht, wobei ein abfälliger Unterton nicht zu überhören war. Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass Theresa als Küchenhilfe und Aushilfskellnerin im Gasthof Schlosshäusl arbeitete, nicht unbedingt die erste Adresse. Auch war ihr zu Ohren gekommen, dass Theresa an der gastronomischen Krankheit leide.

Theresa stammte von einem Bergbauernhof in Hopfgarten im Brixental im Unterland. Anscheinend hatte es mein Onkel Albert mit Bergbauernmädels. Theresa war eine schlanke, nicht ganz unattraktive Frau, auch wenn sie eine unreine, pockennarbige Gesichtshaut hatte. Ihre Familie war groß, mit vielen Kindern, und Theresa musste, wie es damals üblich war, mit vierzehn hinaus in die weite Welt, was in Tirol hieß, hinaus in den Tourismus, hinaus in verschiedene Gastwirtschaften, als Hilfsköchin und Hilfskellnerin und Zimmermädchen. 

Sie verfügte über keine Ausbildung, denn es hatte geheißen, so bald wie möglich für sich selbst zu sorgen. Eine Ausbildung hätte dieses Ziel um Jahre hinausgezögert, und das konnte man sich kaum leisten. Theresa war eine sehr gutmütige, offenherzige Frau, die in ihren jungen Jahren vom Leben hin- und hergestoßen wurde, die häufig ausgenützt wurde und sehr bald mit dem Alkohol in Kontakt kam.

Als bekannt wurde, dass Albert eine Frau mit nach Hause bringen würde, bemühte sich eine Schwägerin – die Frau seines älteren Bruders Josef –, das Zimmer von Albert etwas freundlicher zu gestalten. Der Bruder, von Beruf Tapezierer und Raumausstatter, spendierte neue Betten, neue Vorhänge, neue Bettwäsche und die Schwägerin putzte das Zimmer auf Hochglanz, damit Theresa freundlich empfangen werden konnte. Schließlich waren alle der Meinung, dass Onkel Albert nur die richtige Frau fehlen würde, damit er sein Leben entsprechend in den Griff bekam.

Ich hatte mit Theresa ein sehr gutes Einvernehmen. Über das Arbeitsamt erhielt sie eine Arbeit in der Stadt vermittelt, weil mein Onkel nicht mehr wollte, dass sie weiter in der Gastwirtschaft tätig war. Theresa bekam eine Stelle als Hilfsarbeiterin in einem großen Zeitungsvertrieb. Ihre Aufgabe bestand darin, die Retouren, alte Zeitungen, Zeitschriften und Illustrierte, die von den Kundschaften zurückgeschickt wurden, zu zählen, sie in Listen einzutragen, bevor sie zur Verrechnung ins Büro kamen. 

Theresa war eine brave Arbeiterin, die sich nie beklagte, die ihre Arbeit ohne Murren verrichtete, an ihrem stickigen Arbeitsplatz einige Verstecke hatte, um sich schluckweise etwas Freude zu gönnen, so wie es die anderen Hilfsarbeiter auch machten, um über die Runden zu kommen. 

In der Dienststelle gab es mit ihr nie größere Probleme, auch nicht, wenn sie manchmal zu häufig ihre Verstecke aufsuchte und ihre Augen noch glasiger und der Redefluss etwas holpriger wurde.

Jedenfalls, seit Theresa in diesem Zeitungsvertrieb tätig war, wirkte sich das auch vorteilhaft für uns aus, nicht nur, dass wir mit alten Illustrierten versorgt wurden, sondern auch, weil sich durch das regelmäßige Einkommen von Theresa bei uns auch etwas Wohlstand einnistete. 

Theresa war ein freigiebiges Wesen mit sehr wenig eigenen Ansprüchen. Bestimmt zählte sie nicht zu den Großverdienern, aber da sie fast ihr gesamtes Einkommen – mit Ausnahme für ihre geheimen Trostspender – in den Haushalt einfließen ließ, besserte sich unsere ökonomische Lage merklich. 

Mir brachte Theresa öfters kleine Geschenke mit, Schokolade oder andere Süßigkeiten wie eine Schaumrolle oder auch eine Flasche Coca-Cola oder eine Katze im Sack.

Damals landeten auch Einkaufskataloge vom Versandhaus Quelle bei uns, die ich stets mit großem Interesse studierte, zumindest jene Angebote, die mir besonders ins Auge stachen. Darunter waren zum Beispiel eine 8mm-Filmkamera und ein Projektor. Eine Bestellung wäre nie in Betracht gekommen, aber diese Filmausrüstung beflügelte meine Fantasie. 

Aus der Schulbücherei hatte ich mir mein Lieblingsbuch Die große Elf ausgeliehen, das ich mit großer Begeisterung las. Dabei stellte ich mir vor, zusammen mit meinen Freunden einen Fußballfilm nach dieser Vorlage zu drehen. Leider wurde daraus aber nie etwas. Trotzdem erfüllte mir die Tante einen ganz großen Wunsch. 

Sie spendierte mir das Geld für ein Paar gebrauchte Fußballschuhe. Ein Spieler der Ersten Liga beendete seine Karriere und verkaufte mir die Schuhe, die mir zwar um drei Nummern zu groß waren, aber mit guten Wollsocken ließ sich der Makel ohne Weiteres beheben. Außerdem würde ich ja in die Schuhe hineinwachsen. Bis dahin hatte ich nur Semperit Turnschuhe besessen, die natürlich keine Fußballschuhe ersetzen konnten.

So frei und so unbeaufsichtigt ich bei meiner Großmutter leben konnte, so hart und mit viel Angst behaftet war mein Dasein in der Schule, besonders in der Hauptschule. Heute wundere ich mich noch manchmal, wie ich es schaffte, ohne eine Klasse wiederholen zu müssen über die Runden zu kommen.

Als Klassenvorstand hatten wir einen sehr strengen Lehrer. Er unterrichtete uns in mehreren Schulfächern. Einige Male holte er mich hinaus zum Pult. Elias, komm heraus. Elias, nimm die Brille herunter, sagte er und ließ mich einige Zeit stehen, wo ich vor Schrecken am ganzen Körper zitterte, ehe er dann meinte: Elias, geh hinein, und mich so vor der ganzen Klasse brüskierte. 

Trotz meiner miesen Leistungen schaffte ich immer einen positiven Jahresabschluss. Heute vermute ich, dass er mich nie zu einer Ehrenrunde verdonnerte, weil er ein eng befreundeter Musikantenkollege meines Großvaters war. Einmal, so denke ich zumindest heute, hatte ich auch Glück im Unglück, weil ich mir bei einem Skiausflug – der Klassenvorstand war auch unser Turnlehrer – einen komplizierten Drehbruch zuzog und ich vier Wochen mit einem Liegegips zubringen musste. Das war in der dritten Hauptschulklasse und sicher ausschlaggebend dafür, dass ich in die letzte Klasse aufsteigen konnte. 

Damals sollte ich auch erfahren, was es bedeutet, wenn man über bestimmte Beziehungen verfügt. Mit meinem gebrochenen Bein wurde ich mit der Rettung in die Klinik gebracht und ich erfuhr eine ganz besondere Behandlung, weil dort Dr. Ravelli in der Radiologie in führender Stelle tätig war. Durch diesen Skiunfall konnte ich mehrere Wochen am Unterricht nicht teilnehmen, was sicher zur Folge hatte, dass beim Zeugnis ein Auge zugedrückt wurde.

Einmal war mein Vater wieder Tagesgespräch im ganzen Dorf. An einem frühen Nachmittag geriet er mit der Hand in die Holzfräsmaschine und drei Finger waren weg. Anfangs verspürte er keinen Schmerz, als bereits das Blut in die Holzspäne schoss. Geistesgegenwärtig stülpte er sich einen Plastiksack über die Hand und eilte zum Gasthaus Elisabeth, damit der Wirt Hilfe holen sollte. Als dieser meinen Vater und das Blut sah, fiel er in Ohnmacht. 

Die Frau telefonierte nach der Rettung und mein Vater wurde ins Krankenhaus gebracht. Ich ging damals noch in die Volksschule und begriff die Tragweite des Unfalles nicht. In meiner kindlichen Vorstellung glaubte ich, dass die Finger wieder nachwachsen würden wie die Milchzähne, und als mich Frau Frankford vom Lebensmittelgeschäft darauf ansprach, sagte ich ganz altklug, dass mein Vater einfach besser aufpassen hätte sollen. 

Frau Frankford stockte der Atem. Jedenfalls verbreitete sich diese Bemerkung im Dorf und kam in späterer Zeit auch meinem Vater zu Ohren, was ihn sehr traf.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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