Corvus Kowenzl
Protestieren ja!
Aber bitte konstruktiv!
Eine Anleitung

Wir haben nichts gegen Proteste. Die gehören in einer Demokratie dazu. Aber sie sollten schon konstruktiv sein. Wurde etwa sichergestellt, dass durch den Protest der Verkehrsfluss nicht behindert wird? Am besten hält man konstruktive Proteste am Sonntag oder an einem Feiertag ab, da ist die Beeinträchtigung der Wirtschaft geringer.

Sollte der konstruktive Protest dennoch an einem Arbeitstag stattfinden: ist die Beteiligung des/der Einzelnen am Protest rechtlich korrekt abgesichert, also etwa durch eine nachweisliche Funktionärstätigkeit oder einen Urlaubstag? Wurde rechtzeitig im Vorfeld auf entsprechenden Internet-Plattformen informiert, um Verkehrsstaus vorzubeugen? Wurden Alternativangebote der Verkehrsleitung erarbeitet und mit den Behörden akkordiert?

Für den Fall, dass Schüler unter den konstruktiv Protestierenden sein sollten: habt ihr schon eure Hausaufgaben gemacht? Und seid ihr euch bewusst, dass, falls ihr euch zwischen Montag bis Freitag an einem Protest beteiligt, dies als Schulschwänzen ausgelegt werden und Folgen nach sich ziehen könnte, so konstruktiv dieser Protest ansonsten auch sein mag? Protestieren ist nämlich eine für Schüler nicht vorgesehene Verhaltensweise.

Könnte man den konstruktiven Protest bitte in eine Gegend verlegen, in der niemand durch Sprechchöre, Trommeln oder ähnliche akustische Äußerungen gestört wird? Etwa aufs Land? Wäre es des Weiteren möglich, die Lärmbelästigung insgesamt herabzusetzen, indem man Textbotschaften an die Demonstrierenden nicht mit voller Boxen-Lautstärke verlautbart?

Es wird ferner angeraten, die Wortwahl in den verlesenen Texten konstruktiven Protests möglichst gemäßigt zu halten, also etwa Dürre durch Tiefe Grundwasserspiegel, Aussterben durch Stark reduzierte Häufigkeit, Massensterben durch Biologische Landschaftsbereinigung und Schmelzende Polkappen durch Anpassung des Eisbestands zu ersetzen. Sinngemäß Gleiches gilt auch für die Aufschriften auf Transparenten und Schildern.

Es wäre in Hinkunft im Sinne eines konstruktiven Zusammenwirkens insgesamt wünschenswert, wenn etwa Protestnoten und Bittschriften – in entsprechend zivilisierter Sprache verfasst – vorher auf einem Datenträger aufgezeichnet und dann durch eine kleine Delegation überreicht würden. Es wird darauf hingewiesen, dass Veranstalter oder veranstaltende Körperschaften nach Rechtslage nicht verpflichtet sind, diese Texte dann auch abzuspielen, sowie dass Art und Rahmen der Vorführung dem Veranstalter/der veranstaltenden Körperschaft überlassen bleiben. Diese digitale Vorgangsweise, die für die Zukunft derzeit nur empfohlen wird, bietet den Vorteil, dass sich damit größere Ansammlungen realer Menschen vermeiden lassen und die in der so eingesparten Zeit ihre Arbeitskraft einsetzen können.

Sinngemäß ist daher auch die Besetzung von Hörsälen auf Universitäten, Fachhochschulen und dergleichen Institutionen unerwünscht, stört dies doch den Lehrbetrieb und damit auch das strategische Ziel der Herstellung von einigermaßen normierten Arbeitskräften mit einigermaßen normierter Ausbildung. Man stellt sich mit solchen Aktionen in letzter Konsequenz gegen die Wirtschaft!

Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Ankleben auf Fahrbahnen, Sitzblockaden, Anschütten von Bildern mit Erdöl und dergleichen Aktionen nicht zum Repertoire konstruktiven Protests gehören. Dies gilt auch für den Fall, dass die Fahrbahn nach dem Ankleben wieder für den Verkehr nutzbar ist und das mit Öl angeschüttete Bild vorsorglich als eines von jenen ausgesucht wurde, die durch Verglasung geschützt sind.

Derartige Aktionen stören sowohl den Straßenverkehr als auch die öffentliche Ordnung ganz allgemein sowie die ästhetische Verzückung des Museumsbesuchers im Besonderen und erzeugen eine durchaus unerwünschte Aufmerksamkeit, die möglicherweise bei manchen älteren BürgernInnen die Erinnerung wachrufen könnte, dass bereits seit etwa 30 Jahren konstruktiv protestiert wird, ohne dass irgend etwas Durchgreifendes geschehen wäre.

Dass zumindest manche Untersuchungs- und Amtsrichter solche Tatbestände als nicht zwingend strafbar bewerten, haben wir uns vorgemerkt zum Zwecke der Korrektur im Verlauf der nächsten Justizreform. Die Unabhängigkeit der Gerichte gehört nun mal auch zu dieser Demokratie. Lediglich gewaltfrei zu sein sollte jedenfalls kein Kriterium mehr für die Unterscheidung von konstruktivem im Verhältnis zu störendem Protest sein.

Das Durchschneiden eines Maschendrahtzaunes, der ein Flughafenzaun-Areal begrenzt, ist zweifelsohne eine Sachbeschädigung. Und eine unangekündigte Störung des Flugverkehrs ist ebenfalls ein Eingriff mit potentiell weitreichenden Folgen, dessen strafrechtliche Relevanz zu prüfen ist.

Was allerdings verwundert, ist, dass sich eine ganze Nation über ein Loch in einem Drahtzaun und die Unterbrechung des Flugverkehrs eines Flughafens dermaßen aufzuregen vermag. Vermutlich ist schlechtes Gewissen der Antreiber all der überspannten Reaktionen: Endlich hat man etwas gefunden, das man auch der Gegenseite vorwerfen kann! Welche Erleichterung!

In Hinblick auf Verhältnismäßigkeit verwundert weiters, wo die Klagen gegen einige Großkonzerne und den Klüngel von Politikern bleiben, die sich aktiv gegen Klimaschutz stellen oder sich (in sehr wohlwollender Deutung) als zumindest unfähig erweisen, für dieses Ziel etwas Nennenswertes zu erreichen – und das, obwohl ihre Taten beziehungsweise Unterlassungen von viel zerstörerischer Wirkung sind als eine Drahtschere.

Wo bleibt da die Entrüstung der Politiker? Wo bleibt da der heilige Zorn der Nation? Wenn schon ein durchgeschnittener Drahtzaun ein empörenswertes Delikt darstellt, dann sollten die chronischen Nicht-Ergebnisse all der Konferenzen und der sonstigen Staffage ums Klima mindestens doch für eine Revolution ausreichen. . . und man weiß das im Grunde auch selbst. Wobei wir wieder beim schlechten Gewissen wären.

. . . so wird also auch weiterhin alles dafür getan, dass konstruktiv demonstriert wird, während der Moloch, den wir in infantiler Verblendung erschaffen haben, fast ungehindert weiterhin alles in seinen Rachen schlingt und die Welt dem Abgrund näherbringt. . .

. . . oh, entschuldigen Sie bitte diese für jede/n ehrbare/n BürgerIn höchst beunruhigende Wortwahl! Soll es doch heißen: Die Welt in einen etwas tiefergelegten Zustand versetzen.

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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