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Corvus Kowenzl
Ruhende Türme
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 2

Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.


Hinter jedem großen Mann steht eine große Frau. So sagt man jedenfalls. Aber wer oder was steht hinter einem Institutsleiter? Die Institutsangehörigen oder euphemistischer: Die Mitarbeiter? – Mitnichten!

Für die ist man im besten Fall ein zur Gewohnheit gewordenes Hindernis, das man – wiederum im besten Fall – so sportlich als möglich zu umgehen, zu täuschen, auszutricksen oder zu umschmeicheln versucht.

Besondere Vorsicht ist geboten, wenn ein Mitarbeiter plötzlich besonders kollaborativ, um nicht zu sagen, gehorsam wird. Man kann die Tage am Kalender abhaken, bevor dann ein entsprechendes, mehr oder weniger angemessenes bis unverschämtes Anliegen bei einem deponiert wird.

So gesehen wäre Luzifer der optimale Institutsleiter, ist er doch mit den Schlichen, Tücken und dunklen Winkeln des menschlichen Herzens bestens vertraut. Aber der hat schon so viel anderes um seine spitzen Ohren. So bleibt dem vereinsamten Leiter der Organisationseinheit nur, sich anderweitig nach jemandem umzusehen, der hinter einem steht.

In meinem Falle ist dies Fredl. Fredl, ostalpenländisch für Alfred, ist Teil des Zentralapparats, einer undefinierten und undefinierbaren Gruppe von Verwaltungseinheiten und darin befindlichen natürlichen Personen, ohne die in der Uni schlichtweg gar nichts geht. Sie halten sich diskret im Hintergrund. Wenige kennen ihre Namen. Sie wissen um ihre Macht. Und sie kennen den Unterschied zwischen Symbolen — einem Institutsleiter zum Beispiel — und echter institutioneller Macht.

Sie sehen völlig normal aus, geben sich normal und sind rein biologisch gesehen Menschen wie du und ich. Auf der Straße kennt man keinen Unterschied.


Fredl zum Beispiel

Er ist ausgesprochen sportlich und sieht immer noch sehr gut aus für sein Alter. Wann immer sich die Gelegenheit ergibt, treibt er Sport. In seinem Fall ist das in erster Linie Mountainbiken.

Morgens bikt er mit dem Rad zur Arbeit, schlappe 25 Kilometer mal, abends wieder zurück, mit Bergstrecken, macht 50 Kilometer und insgesamt 600 Höhenmeter Aufstieg. Jeden Tag, außer, es hagelt gerade.

Selbst wenn er im Büro vor dem Computer sitzt, macht er irgendwie immer den Eindruck, als säße er auf seinem Radl. Ich habe bisweilen darüber gerätselt, ob seine unerschütterliche Ruhe und Zuversicht auf den vielen Sport zurückzuführen ist — sie wissen schon, Katharsis und so — oder ob sie sich aus der Gewissheit der faktischen Unangreifbarkeit nähren, die dem definitivgestellten höherrangingen Verwaltungs-Beamten gleichermaßen von Amts wegen eigen sind.

Oder ist es einfach die Abgeklärtheit langer Erfahrung? – Was hat dieser Mensch nicht schon alles gesehen: verschiedene Universitäts-Organisationsgesetze, die im Minutentakt novelliert werden; und auch das Gegenteil dazu, über Jahre fortlaufende, grundlegende rechtliche Unsicherheiten, die von den zuständigen Regierungen (die gibt’s auch noch) sehenden Auges frei nach dem Motto ‚Nein meine Suppe ess ich nicht‘ einfach ungeregelt bleiben; Studienpläne, die einander so rasch abwechseln, dass manchmal in einem Semester gleich drei oder vier Pläne parallel gültig sind; drohende finanzielle Generalkollapse, die dann in letzter Sekunde doch noch abgewendet wurden; offene Briefe, Aufrufe, heilige Entrüstung und Petitionen, ja sogar Streiks, was hier zu Ostalpenlande die höchste vorstellbare Form von Insubordination darstellt; und natürlich eine lange Reihe von Rektoren, Dekanen und Institutsleitern, sie alle Wachs in seinen Händen. . .

Fredl ist der letzte geheime Trumpf in meinem Ärmel, mein Rechtsanwalt, mein Notfalls-Psychologe und meine Klagemauer. Er weiß das natürlich nur zu gut, doch im Gegenzug versorge ich ihn mit lebenswichtigen frischen Informationen von der Basis. Und, ach ja, alte Schulfreunde sind wir auch.

Mein Rückhalt bei Fredl wird flankiert von einer weiteren unverzichtbaren Koalition, und zwar die mit dem Dekanats-Sekretariat. Den inzwischen wenigen noch verbliebenen Nicht-Akademikern, sowie denen, die zwar bis zu irgendeinem Titel studiert aber bis heute keine Ahnung haben, was diese Universität, die ihnen ihren Betschla, Masta oder Piäitschdii ermöglichte, eigentlich war, sei erklärt: das Dekanat ist die Organisations-Einheit, die mehrere, mal mehr mal weniger sinnverwandte Institute administriert, die zu einer sogenannten Fakultät zusammengefasst sind. Der Leiter der Fakultät ist der Dekan, anzusprechen mit spectabilis.

Hier sei die Aufmerksamkeit auf das Sekretariat des Dekanats gelenkt, das fast immer von einer Frau geleitet wird.

Die Sekretärin des auch für mein Institut zuständigen Dekanats heißt mit Kurznamen Mari. Es wird wie Mari und nicht wie Mary ausgesprochen, weil das Mari von Marina kommt. Soviel zur korrekten Aussprache.

Mari teilt mit Fredl die Charaktereigenschaft der unerschütterlichen Ruhe. Selbst angesichts allerletzter Stichtage, cutoff deadlines oder sonstigen bedrohlichen Abgabe- oder Eingabeterminen bleibt sie immer ruhig, auch wenn genervte Institutsleiter in ihrem Büro stehen und Ihre Spektabilität der Herr Dekan grade mal wieder im Ausland zu wirken geruhen.

Dass der Fredl immer irgendwie am Radl sitzt, habe ich bereits erwähnt. Bei Mari dagegen treten andere Eigenschaften hervor, die den Umgang mit ihr selbst im Antlitz dräuender administrativer Götterdämmerungen stets angenehm machen: Sie ist eine ausgesprochen fröhliche und ein wenig mütterlich wirkende Frau.

Ich vermute, die Fröhlichkeit ist so etwas wie ein sublimierter, permanenter Lachkrampf über all den administrativen Wust, der tagtäglich durch ihr Büro geschleust wird, ein Zustand ähnlich dem der großen Yogins, die in unausgesetzter Verzückung leben.

Und das Mütterliche hat sie wahrscheinlich vom langjährigen Umgang mit ratlosen Institutsleitern. Ratlose Männer haben ja immer etwas liebenswert Jungenhaftes an sich. Oder sie werden rabiat. Aber letzteres hilft in diesem Falle wenig, das ist der intellektuellen Elite des Landes durchaus bewusst.

So bleibt also nur Mari: Tja, die netten Jungs – die Welt wollen sie erforschen und erklären, aber bei einem einfachen Personalbedarfs-Strategieplanungs-Formular wissen sie nicht, dass Senior Researchers, die nach dem Stichtag 13.7.2008 angestellt wurden und die in der Kollektivvertragsstufe III3b/05 stehen nicht in die Kategorie der Allgemeinen Verwendungsgruppe 4c fallen, weil das nämlich schon seit Jahren in der 28. Novelle vom 17.10.2011 zum Universitären Kollektivvertragsgesetz…

…aber lassen wir diese Spitzfindigkeiten, helfen wir ihm einfach, sagen wir so nebenbei ‚Das steht da falsch drin‚ und bessern es gleich selber aus, denn das nächste Mal, wenn in drei Jahren dieselbe Liste wieder auszufüllen sein wird, wird er es eh schon wieder nicht mehr wissen, und die zwischenzeitlich erfolgten Novellierungen wird er wahrscheinlich auch nicht studiert haben, der Schlingel. . .

Muss ich noch weiter erklären, weshalb auch Mari überlebenswichtig ist? Außerdem hat sie unerklärlicherweise in ihrem Büro immer von irgendwoher einen kleinen Vorrat an Süßigkeiten, sodass man sie nicht nur mit korrekt ausgefüllten Formularen, sondern meist auch mit einer Mozartkugel oder etwas Ähnlichem im Mund verlässt.

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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