Corvus Kowenzl
Einmal Wahnsinn und zurück
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 1
Der Geologe Corvus Kowenzl ist am Zenit seiner Universitäts-Karriere angelangt und wird Institutsleiter. Was ihm dort in der Ausübung der täglichen Pflichten an Skurrilem sowie an Monotonie, größeren Missgeschicken und kleineren Erfolgen begegnet, bestärkt ihn im Eindruck, dass auch Universitäten – so fremd sie dem Außenstehenden vielleicht erscheinen mögen – im Kern ihres Wesens lediglich „Betriebe“ vorstellen, mit allen Stärken und Schwächen, wie sie Betrieben eben zu eigen sind.
„Einmal Wahnsinn und zurück“ ist der Versuch, die Blase Universität vorsichtig mit dem anthropologischen Interesse eines Feldforschers zu öffnen und das Ergebnis der Erkundung mit Ironie und dem Wissen des Insiders vor dem Publikum auszubreiten. Satire verzerrt, Satire übertreibt. Das macht ihr Wesen aus. Trotzdem sind im Folgenden entfernte Ähnlichkeiten mit realen Institutionen und Personen unvermeidlich.
Kurze Vorrede
Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.
Weshalb aber als Satire? Hätte dafür nicht ein nettes kleines Büchlein im Karlheinz-Waggerl-Stil gereicht, das diese Erinnerungen ebenso gezähmt wie betulich wiedergibt? Ein dezidiertes Nein!
Satire war im gegebenen Fall eine zwingende methodische Notwendigkeit. Denn ich erfahre, dass Humor und vor allem Ironie immer mehr zu bedrohten Spezies werden. Die Lippen werden immer schmäler und verkniffener.
Überhaupt nimmt dieses alles gleich todernst nehmen und dieses legistische alles sofort genau definiert und kategorisiert haben wollen immer mehr in geistigen Habitaten überhand, in denen diese Haltung nur in homöopathischen Dosen herumgeistern sollte.
Welche Empfindungen mögen wohl hinter dieser immer offener manifesten Sehnsucht nach allzeitlicher Gewissheit und Sicherheit stecken? – Was auch immer es ist: Die folgenden Geschichten hat tatsächlich das Leben geschrieben, aber sie wurden verkocht und vergärt im Topf der Satire, auf dass aus manchem allzu ernst Genommenen vielleicht doch noch ein wenig Spaß herausdestilliert wurde.
Am Ziel
Wer wahlweise Clavell oder Goethe gelesen hat, der weiß, dass man seine wahren Absichten niemals niemandem bekanntgeben darf, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Dann schaut alles aus wie eine glückliche Fügung des Schicksals, an der man als zufällig Beteiligter dabei war. In meinem Falle war das Ziel: Institutsleiter zu werden. . .
. . . seit drei Stunden schon zieht sich die Sitzung hin. Neben einigen anderen Kleinigkeiten der Tagesordnung kauen wir alle gemeinsam, das heißt, die Mitarbeiter des Instituts, am Problem, einen neuen Institutsleiter zu finden. Der letzte Leiter war gerade einmal vier Jahre im Amt, und ich war noch nicht ausreichend gut positioniert gewesen. Über Jahre hatte ich daher konsequent das Image aufgebaut, dass ich alles, was mit Administration und Organisation zu tun hat, also auch Ämter wie Institutsleiter, inständig verabscheue.
Und da die lieben Kollegen im allgemeinen nichts lieber sehen, als wenn ein anderer Kollege, der vielleicht etwas Originelles publizieren könnte, am Forschen möglichst gehindert wird, standen meine Chancen sehr gut. Im Laufe der Zeit war mir das Forschen – also das Motiv, weshalb es Wissenschaftler eigentlich auf die Uni verschlägt – nämlich immer schwerer gefallen.
Der ständige, immer ungleichere Kampf um Zeit für echte, reale Forschungsarbeit wurde immer mehr und ausschließlich eine Angelegenheit der Abende, Wochenenden, Feiertage und Urlaube. Selbst wenn ich krank war, saß ich vor dem Computer, denn da hat man schließlich endlich Zeit und Ru- Ru- Ruhe! Forschung am Institut verkam nur noch zu Direktiven an Studenten, die meist brav Daten produzierten, aber immer gerade nur so viel, dass es zum Publizieren sicher nicht reichte. Ich habe mich manchmal gefragt, woher sie die methodische Präzision nehmen, jeden Nagel nur so weit einzuschlagen, dass er zwar im Brett steckt, das Brett aber sicher an keiner Wand halten kann. Die Ausnahmen davon bekommen einen Doktortitel.
Und irgendwann bemerkte ich, dass ich nicht mehr die Kraft hatte, mehrere Monate hintereinander jeden Tag zu arbeiten, weil ich fast jedes Wochenende und jeden Feiertag durcharbeitete, da vor allem die Publikationen als sichtbares Zeichen von Forschung anders nicht mehr herzukriegen waren.
An diesem Punkt angelangt, gibt es mehrere probate Auswege. Man kann einfach aufhören zu forschen und sich auf die Lehre beschränken. Irgendwann wird das den Kollegen auffallen, aber die sind sowieso recht glücklich damit, dass ein potentieller Konkurrent nichts mehr produziert, also herrscht von dieser Seite hämisches Stillschweigen.
Irgendwann würde das völlige Ausbleiben von sichtbarer Forschung aber auch den zuständigen Stellen von der Universitätsverwaltung auffallen, und die wiederum wünschen sich nichts sehnlicher, als dass ihre Mitarbeiter fleißig publizieren. Somit könnte es zumindest theoretisch passieren, dass einen die Uni wegen fehlender Forschungsleistung tatsächlich rauswirft.
Dieser Ausweg ist somit zwar etwas radikal, aber für ritterliche Bekenner-Naturen gut geeignet. Vom Spaß, den man hat, und von den vielen Wochenenden, wenn man die Forscherei endlich gelassen hat, einmal ganz zu schweigen! Zumindest vermute ich das von den Beispielen, die ich kenne.
Weniger starke Naturen, die meisten also, wählen einen anderen Weg. Sie tun so, als wären sie noch wunder wie forschungsaktiv, machen tatsächlich aber immer das Gleiche mit minimalen Abwandlungen. Stetigkeit oder Gründlichkeit heißt das im Forscherjargon.
Darüber hinaus gibt es eine ganze Palette weiterer Tricks, um Forschungsaktivität vorzutäuschen, wo wenig ist. Selbst das Personal universitärer Administrations-Stellen fällt darauf rein, denn man muss schon ein Fachstudierter sein und genau hinschauen, um zu sehen, wo der Hund in gewissen Homepages und Referenzlisten begraben liegt. Mehr verrate ich jetzt aber nicht, ich will ja schließlich ein netter Kollege sein.
Wer aber weder zum Bekenner noch zum Wiederholer taugt, der stürzt sich lustvoll auf den riesigen weichen Divan des universitären Managements. Hier lässt sich nach Herzenslust zwischen Treffen, Meetings, Besprechungen, Konferenzen, breakout sessions, Sitzungen, jour fixes und dergleichen rumbalgen, ohne dass einem die Forschung allzu nahe tritt, und gleichzeitig kann man noch mit besorgter Amtsmiene von einer Session zur nächsten Sitzung eilen und verbreiten, wie sehr man sich doch aufreibt. . . und jetzt verstehen sie hoffentlich, lieber Leser, weshalb ich die Exit-Strategie Institutsleiter gewählt habe.
. . . so dümpelte die Sitzung dahin, und ich begann zu ahnen, dass diesmal meine Chancen wirklich gut standen. Der einzige mögliche Konkurrent und Nachfolge-Kandidat hatte soeben erklärt, er wolle es auf keinen Fall machen, neineinein, ich mache es nicht, neinein! Nein!
Jetzt nur nicht gleich damit rausplatzen, dass ich es machen würde, sondern harmlos vor sich hinschauen. Da endlich sagte es jemand, ein konspirativer Kollege, der schon lange darauf aus war, meiner Karriere so einen richtigen Schub zu verpassen: „Du könntest es doch machen. Warum nicht du?“ redete er mich an.
Volltreffer!
Ich schwankte ein wenig hin und her und murrte: „Na ja, begeistert wär ich nicht!“ Ich spürte die Erleichterung der ganzen Institutsversammlung, denn das war natürlich unmissverständlich die Einleitung zu ausreichend widerstrebender Zustimmung, wie es sich denn geziemet. Sind nicht viele Päpste des Mittelalters, wenn sie gewählt wurden, vor Amtsantritt erstmal in die Waldschluchten des Apennins geflüchtet?
Dann fuhr ich fort: „Ich hab befürchtet, dass das so kommen wird. . . aufmunterndes Brummeln in der Versammlung. . . „aber wenn ihr versprecht, dass ihr mich liebt und braucht, dann mach ich es.“
„Klar lieben und brauchen wir dich“, so tönte es mir entgegen, und wir schritten zur Wahl. Ich wurde einstimmig gewählt. Wie ein Diktator, der felsenfest im Sattel sitzt. Har har! Ab jetzt bin ich hier der Chef und die anderen sind meine Mitarbeiter!
Etwas später fragte mich einer dieser Mitarbeiter, der vordem als Institutsleiter einmal mein dienstlicher Vorgesetzter gewesen war, was ich mir vom Amt des Institutsleiters erwarte: Einen gratis Vertiefungskurs in allgemeinem und angewandtem Wahnsinn, was denn sonst?
Er klopfte mir wortlos anerkennend auf die Schulter und ging beruhigt in sein Büro zurück.
Fortsetzung jeweils Mittwoch nächster Woche
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