Corvus Kowenzl
Masterarbeit - Theorie und Praxis
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 16
Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.
Wer heutzutage im Ostalpenlande ein Doktorats-Studium beginnt, dem ist entweder langweilig, oder er möchte die Entscheidung, was er nun wirklich mit sich und seinem Leben zu machen gedenkt, noch ein wenig hinauszögern.
Ach ja, natürlich, und dann gibt es noch die Möglichkeit, weil er oder sie eine Karriere in der Forschung anstrebt; aber dazu könnte man ja auch gleich ins Ausland gehen. Immerhin führt die Kombination der drei angeführten Möglichkeiten dazu, dass DoktorandInnen meist hinlänglich engagiert an ihrem Thema arbeiten. Bakkalaureats-StudentInnen dagegen sind noch relativ niedrigsemestrig und schon von daher meist relativ folgsam. Außerdem wollen sie wenigstens diesen gottverdammten Titel haben. Bakk-Studierende absolvieren ihre Arbeit daher meist termingerecht.
Zur Masterarbeit
Zuerst die Theorie. Die hört sich in etwa folgendermaßen an: „Es empfiehlt sich eine einführende, etwa 1- bis 2-stündige Sitzung mit Heranführung an das Thema und die spezielle Problematik. Des Weiteren wird empfohlen, die angewandten Methoden, die zur Ausführung einer Arbeit vonnöten sind, zu besprechen, sowie ein ausdrücklich vorläufiges Inhaltsverzeichnis zur Orientierung anzulegen.
Der Leiter der Arbeit trifft sich in möglichst regelmäßigen Intervallen mit dem oder der Studierenden, um die bisherigen Resultate zu besprechen und den weiteren Arbeitsablauf festzulegen. Im Frühstadium einer Masterarbeit werden häufigere Besprechungen empfohlen, z. B. wöchentlich oder zweiwöchentlich. Bei Bedarf sind auch kürzere Intervalle durchaus anzuraten.
Der Leiter hat den Fortgang der Arbeiten zu überprüfen, im Bedarfsfall sind Änderungen oder Nachträge einzufordern. Vor dem Abschluss der Arbeit ist dem Leiter vonseiten des oder der Studierenden ein vollständiges Korrekturexemplar vorzulegen. Der Leiter sollte dieses so zeitnah als möglich durchlesen und konkrete Verbesserungsvorschläge machen.
Sollte das Korrekturexemplar in nicht annehmbarer Form vorgelegt werden, so sind die inhaltlichen und/oder formalen Mängel eingehend anzuführen. Das korrigierte Exemplar der Masterarbeit ist vom Leiter erneut möglichst zeitnah zu studieren und im Falle einer positiven Beurteilung und nach Überprüfung auf Plagiate freizugeben.“
Ich spüre förmlich, wie mich ein imaginärer Kravattenknoten drückt.
Und jetzt die Wirklichkeit
Es beginnt an einem ganz normalen Arbeitstag, sprich, ich sitze schon seit Stunden am Computer und bin mit Emails beantworten, Emails schreiben, online-Administration und damit beschäftigt, Leute vielleicht doch noch am Telefon zu erreichen, die per Email wegen Überlastung nicht mehr erreichbar sind oder nie waren.
Da klopft es, und ein Student steht in der Tür.
„S‘ Gott Herr Fessor, ich wollt ihnen nur sagen, also ich wollt‘ sagen, dass ich mich jetzt doch für ihr Thema entschieden hab.“
Ihr Thema. Es bleibt einige Augenblicke still, in denen ich fieberhaft versuche, mich an das Thema zu erinnern. Ehrlich, wie wir Wissenschaftler halt nun einmal sind, frage ich dann rundheraus:
„Was war das für ein Thema?“
„Ja, also, das war das mit diesen Ablagerungen im Hochreich-Gebirge, diese Eiszeit-Ablagerungen.“
Jetzt erst erinnere ich mich vage an eine Unterredung mit dem Studenten. Das war noch irgendwann im Winter irgendwann vor Weihnachten, inzwischen blüht der Flieder.
„Ah ja, die Eiszeit-Bildungen im Hochreich. Das ist ein sehr vielversprechendes Thema. Kommen sie rein. Ich muss zwar in einer Viertelstunde zu einer Besprechung, aber ich zeig ihnen mal schnell, worum es da geht.“
Das ist das Schöne an meinem Beruf. Man hat Kontakt zu jungen Menschen, die noch nicht so abgefeimt sind wie die lieben Kollegen, man weckt Interesse, vermittelt Begeisterung. Schon schweben wir per Satellit über den Bergen und ich erkläre rasch die wesentlichen Fragen der Arbeit.
„Klingt echt total interessant“, resümiert der Student anerkennend, und wir vereinbaren ein erstes Arbeitstreffen, bei dem logistische Details, die nötigen Kartenwerke, wissenschaftliche Literatur und alles Weitere nebst einer ersten Begehung besprochen wird. . .
. . . es ist ein sonniger Frühsommertag, ideal für eine Feldbegehung. Pickup vor der Uni und los geht’s. Man plaudert während der Fahrt, die Distanz vom Fessor zum Studenten wird kleiner. Irgendwann kommt die Rede auf Autos, und ich erzähle, dass ich mir für meine Masterarbeit, die damals noch Diplomarbeit hieß, einen alten Volkswagen kaufte, der Benzin soff wie ein Schiffsmotor und bei dem blöderweise auch die Benzinuhr kaputt war, sodass man nach Kilometerstand fahren musste – eine Kunst. Ich frage, welches Auto er, der Student besitze.
„Ich hab kein Auto“, die Antwort.
„Aber wie wollen sie dann in den Hochreich kommen?“
„Ich werd‘ mir eins ausleihen.“
„Äh, und von wem, wenn ich fragen darf?“
„Von meiner Freundin. Die arbeitet zwar unter der Woche, aber wir werden das schon hinbringen.“
„Das heißt, sie können nur an den Wochenenden Geländearbeit machen?“
Kurze Pause, dann:
„So wie’s derzeit aussieht, ja.“
Ich überlege: „Hm. Das ist im Prinzip schon machbar, verlangt aber einiges an Konsequenz von ihnen ab. Denn das heißt, dass sie – sagen wir mal: einige Wochenenden im Hochreich verbringen werden.“
„Ja also meiner Freundin macht das nix, die is eh gern am Berg.“
Die Unterhaltung stockt. Mir steigt eine nur allzu bekannte Ahnung auf. Ich könnte nun bei nächster Gelegenheit das Auto wenden und erklären, so wird das nichts, denn ohne ein Auto, das man nach Bedarf verwenden kann, braucht man im Hochreich gar nicht erst anzufangen. Aber ich will mich nicht von Vorurteilen leiten lassen: jedem die gleiche Chance, vielleicht ist der hier die Ausnahme.
Der Hochreich grüßt schon von der Ferne. Wir steigen hoch, bis zu einem Aussichtspunkt, wo ich das Thema der Arbeit unterstützt mit den Karten anschaulich erläutern will. Es stellt sich jedoch heraus, dass von zwei Karten, die der Student laut unserer ersten Besprechung dabeihaben sollte, nur eine dabei ist, weil er die andere noch nicht bestellt hat, vergessen. Zum Glück hab ich die andere Karte grade dabei, macht ja nichts. . . wir steigen weiter, ich erkläre. Wieder denke ich mir, dass das ein wirklich lohnendes Thema ist. Heimlich beneide ich den Studenten. Ich möchte nochmals so jung sein und vor allem so viel Zeit haben, mich einem Thema zu widmen und einen so begeisterten Betreuer zu haben.
Abends wieder in der Stadt trennt man sich vor der Uni im gegenseitigen Einvernehmen. Der Student ist nun in das Thema eingewiesen und kann gemäß der ihm bis dahin laut Studienplan angeeigneten fachlichen Kompetenz selbständig weiterarbeiten. Ich schärfe ihm nochmals ein, dass er jederzeit zu mir ins Büro kommen kann und sollte (außer, ich bin gerade auf einer Besprechung) für eine Diskussion der bisherigen Ergebnisse und der weiteren Schritte, Auf Wiederschaun. . .
. . .der Sommer zog ins Land, ein goldener Herbst nebst Semesteranfangs-Hektik folgte nach. Da stand er wieder in der Tür:
„S‘ Gott Herr Fessor, also ich wollt mich nur wieder mal melden.“
„Ah, Grüß Gott“, antworte ich erfreut, „und, wie ist die Kartierung gelaufen?“
Kurze Pause. Dann:
„Na, also, ich wollt nur sagen, also ich wollt‘ sagen, dass heuer praktisch gar nix gangen is. S‘ war schwierig; zuerst hab ich zwei Monate arbeiten müssen, dann ist auch mit meiner Freundin aus . . .und (zuckt die Achseln) . . .ja, also da hab ich dann halt nichts dertan.“
„Gut, dann nehmen sie nächstes Jahr einen neuen Anlauf“ antworte ich, „was zu tun ist, wissen sie, meine Tür ist immer offen.“
Eine vorurteilsfreie, neutrale Antwort, so denke ich zumindest. Man kann ja schließlich wirklich mal Schwierigkeiten haben, die einen vorübergehend aus der Bahn werfen. Und dass der junge Mann im Sommer arbeiten musste, das konnte er knapp vor dem Sommer nun wirklich nicht ahnen, ich wage nichts anderes zu denken. Oder war meine Antwort vielleicht gar brutal? – hätte ich ihn hereinbitten sollen für ein Gespräch, ihn abholen aus dem Frust wegen seiner Freundin, mit ihm drüber reden? Bin ich am Ende ein schlechter Betreuer, kein guter Leiter der Arbeit?
Ich könnte es nun nicht mehr gutmachen, denn er hatte meine Antwort zur Kenntnis genommen und war wieder verschwunden. . . und er blieb verschwunden, einen ganzen Winter und den nächsten Frühling und den nächsten Sommer. Mehrere Emails und Anrufe am Handy blieben unbeantwortet. Andere Dinge und andere MasterstudentInnen banden meine Aufmerksamkeit, ich vergaß ihn. Irgendwann erfuhr ich beim Rumstehen auf irgendeinem akademischen Fest so nebenbei von einem Kollegen, dass der Hochreich-Student nun in einem Büro in Deutschland arbeitet, das hätte ihm eine seiner Masterstudentinnen erzählt, die noch sporadischen Kontakt zu ihm hat. . . soviel zur Masterarbeit, Variante 1.
Variante 2
…mit erhöhtem Leidensgrad, sozusagen für Master-Masochisten. Hier läuft alles mehr oder weniger nach Plan wie oben ausgeführt. Der Leiter der Arbeit trifft sich in regelmäßigen Intervallen oder in nach Bedarf frei gewählten zeitlichen Abständen, wie sie zur einwandfreien Abwicklung der Arbeit nötig sind – wir kennen das schon.
Es geht stetig dahin: Daten produzieren, diskutieren, neue Daten produzieren, diskutieren, Nachträge und Ergänzungen machen, fertig, nun also alles zusammenschreiben und eine Masterarbeit draus machen. Doch genau ab hier wird’s interessant.
Beim ‚Zusammenschreiben‘ gibt es zwei Gruppen. Die einen weigern sich hartnäckig trotz fertigem Datenkörpers das Ganze in die Form einer Masterarbeit zu bringen. Sie schreiben keine Zeile. Manche schreiben als Konzession noch den Titel hin, aber dann ist wirklich Schluss mit lustig.
Doch das ist eher etwas für einfache Naturen. Die Fortgeschrittenen verfassen die ganze Masterarbeit, meist im Alleingang und ohne einen vorher zu informieren, und knallen einem das auf den Tisch oder als megabyte-hochschwangeres pdf auf die Festplatte.
Der Betreuer, bass erstaunt über so viel Eigeninitiative, lobt natürlich dieses beherzte Vorgehen, erlaubt sich aber anzumerken, dass er das pdf mitsamt seinen Korrekturen nochmals zurückschicken wird. Und stellt in Aussicht, dass, wenn die Korrekturen dann gemacht sind – es direkt zur Abschlussprüfung geht, bravo, gut gemacht. . . Monate gehen ins Land und man beginnt sich zu fragen: hab ich was falsch gemacht?
Der Betreuer, der immer noch auch Leiter der Arbeit ist, versucht nun mit gutem Zureden, mit Appellen an die Vernunft, an das Herz, an die Brieftasche, an die Karriereleiter, mit Flüchen, mit Drohungen, mit Bitten und Flehen und Asche auf dem Haupt und dem Versprechen einer Wallfahrt nach Guadalajara – alles verpufft wirkungslos, perlt ab, verendet irgendwo im digitalen Nirvana. Habe ich irgend etwas gesagt oder getan, das ihnen den Eindruck vermittelt hat, ich hätte ihre Korrekturarbeit mit Missfallen oder gar mit dem Vorhaben gelesen, sie nicht zur Abschlussprüfung antreten zu lassen? – falls dem so wäre, so kann ich ihnen nur versichern, dass das niemals und in keinster Weise in meiner Absicht gestanden hat, ja, ganz im Gegenteil, begrüße ich . . . Es bleibt dabei. Ab jetzt geschieht gar nix mehr.
Etwas verspielteren Naturen beliebt es, Variante 1 und 2 frei miteinander zu kombinieren. Sie verschwinden zwischendurch für ein paar Jahre, tauchen wieder auf und machen ein paar Monate an ihrem Masterthema weiter, dann spielen sie wieder eine Zeitlang Verstecken (‚Kuckuck!‘), dann wieder Masterarbeit, und so weiter manchmal sogar bis zum erwähnten pdf, das eines Morgens auf der Festplatte liegt
„Sehr geehrter Herr Professor, hier meine Masterarbeit, viele Grüße.“ Und dann – Schluss und weg und Master nie. Erst hinterher geht einem auf, dass hier ein Meister am Werk war, einer, der vollkommen über den belanglosen irdischen Dingen steht und das Zen des Masters lebt. Respekt.
Ab und an kommt es aber auch vor, dass eine Masterarbeit abgeschlossen wird. So etwas ist bei uns unlängst passiert. Ich saß am Computer und war mit Emails beantworten, Emails schreiben, online-Administration erledigen und damit beschäftigt, Leute vielleicht doch noch am Telefon zu erreichen, die per Email wegen Überlastung nicht mehr erreichbar sind oder nie waren – da klopfte es an der Tür und ein Kollege schaute rein.
„Du, ich hab eine Frage“, fing er an, und ich merkte an seinem ernsten Gesichtsausdruck gleich, dass etwas Ungewöhnliches vorgefallen war,
„die Frau Neumair hat ihre Masterarbeit abgeschlossen. . . was nun?“
Ich verstand, dass sich der Kollege an mich als seinen dienstlichen Vorgesetzten hilfesuchend gewendet hatte. Ich richtete mich im Sessel auf, machte vorsorglich eine amtliche Miene – und stockte.
Erst da bemerkte ich, dass halb verborgen hinter meinem Kollegen am Gang draußen die Frau Neumair stand. Sie lugte mit großen Augen zu mir und sagte:
„Es tut mir leid.“
Da räusperte ich mich: „Schon gut.“ Die Frau kann ja schließlich nichts dafür.
Da durchzuckte es mich: „Was meinst du mit: ‚Abgeschlossen‘?“ fragte ich meinen Kollegen.
„Na richtig abgeschlossen eben, mit Korrekturen und so, also: Frau Neumair hat ein finales Exemplar ihrer Arbeit abgegeben. „
„Plagiate?“ fragte ich beiläufig halblaut. Ich dachte, ich hätte die Achillesferse getroffen.
„Gecheckt, negativ“, mein Kollege.
Ich stand abrupt auf. Der Kollege hatte inzwischen mein Büro betreten und gemeinsam dachten wir nach. Da hatte ich die Lösung! – ich spitzte die Lippen und dann stieß ich hervor:
„Prüfungsamt. Wir müssen das Prüfungsamt benachrichtigen. Die geben der Frau Neumair dann einen Termin. Wie das im Detail abläuft, weiß ich auch nicht mehr, das ist zu lange her. Aber der nächste Schritt ist sicher das Prüfungsamt.“
„Natürlich, ja, das Prüfungsamt!“, rief mein Kollege aus.
Frau Neumair schaute mich erlöst an. All die möglichen Schwierigkeiten, die sie hätte verursachen können, schienen nun mit einem Schlag gelöst.
„Passt schon, gerne!“, sagte ich und ließ mich lässig in meinen geliebten alten Sessel Hansi fallen.
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Nach meiner Erinnerung bekam man für die Betreuung einer Diplom- oder Masterarbeit gerade einmal 5 Stunden vergütet. Das scheint mir in Relation zum oben beschriebenen Aufwand ziemlich wenig!