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Corvus Kowenzl
Ich schau mal schnell vorbei!
Ostalpenländische Universitätssatiren
Folge 6

Folgende bescheidene Zeilen präsentieren einige der markantesten Erinnerungen meines Berufslebens als Lehrer und Forscher an einer Universität mitten in den Ostalpen, im Lande des Grüß Gott. Die meisten dieser Erinnerungen stammen aus meiner Zeit als Leiter eines Instituts, jedoch war diese Position nicht in jedem Fall ausschlaggebend, sondern ganz einfach die Tatsache, dass ich ein Angehöriger der Universität bin.


Ein ganz normaler Tag. Ich sitze am Computer und bin mit Emails beantworten, Emails schreiben, Online-Administration erledigen und damit beschäftigt, Leute vielleicht doch noch am Telefon zu erreichen, die per Email wegen Überlastung nicht mehr erreichbar sind oder sowieso nie waren. Electronic government nennt man das. Bis zum Brechreiz. Deshalb sollte man rechtzeitig aufhören, bevor man den Bildschirm ankotzt.

Außerdem, so geschrieben in den Ratgebern für E-government, sollte man gelegentlich doch auch persönlich mit den Leuten reden, weil ausschließlicher Kontakt über Emails früher oder später als zu distanziert oder gar arrogant empfunden werden könnte. So ein Glück aber auch! So hat man zumindest einen offiziell sanktionierten Grund, gelegentlich aufzustehen, natürlich immer erst dann, wenn sich dieser unnachahmliche Rauschzustand eingestellt hat, der sich nach einem längeren Höllenritt von etwa 10 Mails pro Minute einstellt. Dann denkt man sich: Ich schau mal persönlich schnell vorbei.

Mühselig rapple ich mich von meinem geliebten Hansi (so nenne ich seit vielen Jahren meinen alten Bürosessel) auf, schüttle den Kopf, um wieder ein wenig klar zu kommen, dann mache ich mich leicht taumelnd auf den Weg.

Am Korridor begegnet mir gleich ein Kollege, mit dem ich sowieso noch was besprechen wollte.
„Ah, hallo“, sage ich zu ihm und hebe die Hand zum Einhalt, „ich wollte mir dir – äh“ – fieberhaft denke ich nach, was das eigentlich war – „äh, also“ – noch immer fällt es mir nicht ein, ich wechsle die Taktik – „wir wollten doch noch was besprechen, was war das noch gleich?“
„Wie ich die Stundenfakturierung für das Auslandspraktikum meiner Doktoranden bei Teilnahme jeweils einer internen und externen Lehrperson ansetzen sollte, wobei aber nur die externe habilitiert ist“, erinnert mich der Kollege freundlicherweise.
„Ja genau“, ich, erleichtert.
„Du, ich hab jetzt grad keine Zeit“, fährt mein Kollege fort, „ich muss schnell ins ADCR–DF/X2 Labor“.
„OK, passt, wir reden noch“, und weiter geht’s.

Zügigen Schrittes schreite ich summend den Gang entlang. Ah! Ein wenig Bewegung tut wirklich gut.
Da stellt sich mir völlig unerwartet die einzig Mögliche in den Weg. Ich weiß nicht, woher sie diese Fähigkeit hat, urplötzlich aufzutauchen. Sie kann aus den Wänden herausspringen.

„Ah, endlich, da bist du ja, du, ich hab dich schon überall gesucht“, so ihre Standard-Eröffnung. Und schon legt sie los. Ich reiße die Hände vor mir hoch, ein Zeichen der Abwehr, so alt wie die Menschheit.
„Ich – kann – jetzt – grad – nicht! Ich muss schnell mal zu einem Kollegen, was besprechen.“
Sie: „Aber du musst mir unbedingt sagen. . .“
Ich: „Nein, kann ich jetzt nicht, ich schau anschließend bei dir vorbei! Dauert nicht lang!“

Nachdem es mir gelungen war, diese Attacke abzuwehren, setze ich meinen Weg fort. Ich bin im Stiegenhaus angelangt. Da begegnet mir eine Kollegin.
„Ah, hallo“, ich gleich, dann bleibe ich stehen. Sie bleibt auch stehen und schaut mich erwartungsvoll an. Wir stehen kurz voreinander, aber mir fällt im Augenblick nichts ein, was ich mir ihr besprechen wollte. Ich komme zum Schluss, dass ich mit ihr grade mal nichts zu besprechen habe.
„Äh, ja, alles OK, danke, schönen Tag noch“, sage ich schließlich etwas zerstreut.
„Danke, dir auch“, sagt sie schmunzelnd mit leichtem Kopfschütteln und geht weiter.

Eine Institutsleiter-Krankheit: kaum sieht man jemanden, denkt man sofort, was man mit dieser Person noch besprechen sollte. Meistens fällt es einem erst hinterher ein, und dann schreibt man ein Mail.

Schon kommt das Büro des Herrn Kollegen am Schwester-Institut in Sicht. Die Tür steht offen. Dynamisch nehme ich die Schwelle – und stehe vor einem leeren Büro. Der Bildschirm am Computer ist aktiv und zeigt irgendein komisches Diagramm. Der Drehsessel ist ein wenig auswärts gestellt und vom Bürotisch abgerückt.

Offensichtlich ist er schnell mal aufgestanden und raus. Vermutlich ist er pinkeln, so mein messerscharfer Schluss. Ich warte also am Flur. Aus dem Sekretariat ein paar Türen weiter tönt die Stimme der dortigen Sekretärin, Typ Cruella de Vil. Knapp und scharf ertönen ihre Befehle übers Telefon, dann wird der Hörer mit lautem Knall abgelegt, gefolgt von einem rasenden Stakkato an der Computer-Tastatur.

Die Minuten ziehen sich. Der Kollege ist deutlich jünger als ich, also sollte das pinkeln nicht so lange dauern, rein urologisch gesehen. Oder vielleicht was im Darm? Imperativer Stuhldrang heißt das technisch korrekt. Vermutlich ist er deshalb so schnell aufgesprungen. Der Arme. Ich hoffe, es ist nicht ansteckend.

Doch nach einer geraumen Weile beginne ich auch an meiner Gastro-Intestinal-Theorie ernsthaft zu zweifeln. Der Computer ist längst im Ruhezustand, nur der Bürosessel steht immer noch gleich da. Ich suche Hilfe, und die muss ich bei Cruella finden. Ich stelle mich höflich in den Rahmen der Türe – pardon – Pforte ihres Sekretariats. Zuerst mal würdigt sie mich keines Blickes. Dieses Würstchen da, was will denn DER schon wieder? Den lass ich jetzt erst mal ein bisschen warten. Als sie sicher ist, dass ich diesen ganzen Text auf ihrer Stirn gelesen habe, schaut sie auf.
„Bitte?“
„Ich such den Achim.“
„Den Achim, den Achim“, wiederholt sie schmallippig halblaut und schaut etwas am Bildschirm nach, „der hat Lehre gehabt im UHU Labor, sollte aber eigentlich schon wieder fertig sein. Vielleicht schaust du selbst mal nach.“ Wir duzen uns nämlich trotzdem.

Ich beschließe, das sein zu lassen. Das UHU Labor liegt im Hochsicherheitstrakt, ich hab keinen Ausweis dabei und außerdem im Augenblick keine Lust, entblößende Körperkontrollen durchzumachen. Ich bedanke mich und werde nun einfach auf mein Institut zurückgehen.

Kaum habe ich mein Institut betreten, begegnet mir am Gang ein Kollege. Ich halte ihn auf.
„Hallo, du, ich wollte dich noch fragen, ob du das nun mit. . .“
Ich komme nicht dazu, den Satz zu vollenden, da hält der Kollege seinerseits einen weiteren Kollegen an, der zufällig grade vorbeigekommt, um ihm etwas zu sagen.
„Nein, du, das dauert nicht lange, es geht nur. . .“

Die liebe Kollegin Maria taucht auf, mit der ich auch noch unbedingt etwas bereden müsste, also halt ich sie gleich auf und bedeute meinem Kollegen, dass er warten möge, das mit Maria werde nicht lange dauern, aber mein Kollege ist sowieso noch mit dem anderen Kollegen beschäftigt. Maria hält nun ihrerseits ihre Doktorandin auf, weil sie mit ihr kurz was bereden muss. Der Kollege, der vom Kollegen, den ich ursprünglich angehalten habe, angehalten wurde, hält dann seinerseits einen Kollegen an, um mit ihm schnell was zu bereden. Maria kommt nicht dazu, mit ihrer Doktorandin zu reden, denn diese hat sogleich einen Masterstudenten aufgehalten, um ihm schnell etwas zu sagen, doch auch sie kommt nicht dazu, weil eine weitere Kollegin, die zufällig grade vorbeigekommen ist, unbedingt zuerst schnell was mit der Doktorandin besprechen will.

Inzwischen ist am anderen Ende ein Tumult ausgebrochen, ich wende mich um und sehe, dass der Knäuel um mindestens drei weitere Personen angewachsen ist, aber es könnten auch vier sein. Es wird schwierig, die Übersicht zu behalten. Ich kann mitverfolgen, wie ein Kollege verzweifelt versucht, sich loszureißen, leichte Panik bricht aus, es gelingt ihm, unter Hintanlassung seiner Strickjacke zu entkommen. Doch er wird keine Sekunde später mit fachgerechtem tackling von einem anderen Kollegen, der früher mal footballer war, zu Fall gebracht, und der vermutlich unbedingt noch schnell was mit dem Getackelten bereden wollte.

Irgendwie muss dieses Ereignis uns aber alle ins Ungleichgewicht gebracht haben, ich spüre einen Schub von der Seite und einen Augenblick später liege ich zum Teil auf meiner Kollegin Maria, zum anderen Teil auf ihrer Doktorandin. Mühselig entwirren wir uns alle, rappeln uns wieder hoch und klopfen unsere Kleider ab.

Irgendwie doch peinlich, das Ganze. Ich gehe einige Schritte in Richtung meines Büros, spüre aber, dass ich jetzt etwas sagen muss:
„Also, wir bleiben im Gespräch.“

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Diethard Sanders

Diethard Sanders, alias Corvus Kowenzl, kam am 18. Februar 1960 in Hall in Tirol zur Welt und wuchs in Innsbruck auf. Erste Schreibversuche ab 12 Jahren. Der Matura an der HTL für Hochbau in Innsbruck folgten Jahre eines selbstfinanzierten Lebens und Studiums der Geologie an der Uni Innsbruck. Nach einem Doktorats-Studium an der ETH Zürich im Jahr 1994 Rückkehr an die Uni Innsbruck, wo ich mich im Jahr 2000 habilitierte. Trotz der universitären Tätigkeit nie damit aufgehört, vor allem des Nachts Bücher zu lesen, die wenig bis gar nichts mit Geologie zu tun haben.

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