Christoph Themessl
Die Literatur ist tot.
Warum eigentlich?
Notizen

Gott ist tot, hatte Nietzsche einst in seiner Fröhlichen Wissenschaft verkündet. Und auf die Frage, wer ihn getötet habe, erhalten wir zur Antwort: Wir haben ihn getötet, – ihr und ich. Wir alle sind seine Mörder.

Gott als kulturelles, transzendentes Gefäß, als Kulturträger schlechthin, als Synonym für Sinn und Daseinsbejahung, der in Freud und Leid Menschen erfüllt, starb auch schon in einem früheren Zitat des französischen Schriftstellers Stendhal, welches da lautete: Die einzige Entschuldigung für Gott ist, dass es ihn nicht gibt.

Stendhals Zitat ist kompromissloser. Die Theodizee-Frage, wie Unglück und Elend auf der Welt sich mit der Existenz eines Gottes vereinbaren ließen, erübrigt sich bei ihm. Sie wäre aus dieser Sicht falsch gestellt. Es gibt eben keinen Gott, über den wir uns zu beklagen bräuchten.

Ich würde Stendhals Zitat als sehr theoretische, antimetaphysische Spekulation bezeichnen, während mich an Nietzsches metaphorischem Tod Gottes die Verallgemeinerung irritiert. 

Ist der Gott der beiden anderen großen monotheistischen Religionen beziehungsweise Kulturen – Islam und Judentum – auch gestorben? Auch die Antwort ist nicht befriedigend: Wir alle sind seine Mörder…

Selbstverständlich, wer Nietzsche kennt, weiß, dass er konkrete Attentäter in seinem Werk verfolgte: Gott und Christentum sind bei ihm zu rein formalen, bürgerlichen, an sich aber sinnentleerten obersten Werten herabgekommen, im Zuge von Aufklärung, Wissenschaftsgläubigkeit (Überbewertung der Mathematik) und technischem Fortschritt erfroren. Kein Gott, für den man tanzen kann und noch weniger – sterben.

Dennoch aber stört mich das Wir alle… Denn sogar heute, 123 Jahre nach Nietzsches Tod, gibt es Menschen, die entweder einfach und naiv an den alten, nicht-verbürgerlichten, vorwissenschaftlichen Gott glauben, oder im Sinne von Nietzsches Gesamtwerk die Glaubenskrise inzwischen überwunden haben und Gott als unweigerlich daseinsbejahende Fülle des Lebens, an Kraft, welche an sich glaubt und Glauben schenkt, in sich selbst wieder auferstehen haben lassen. Bei Nietzsche in Gestalt seines Zarathustra die Weltbühne betretend. Zugegeben sind das rare Ausnahmen.

Damit komme ich endlich zur Literatur. Auch von ihr könnte man heute – sie ist etwas später gestorben als Gott – im metaphorischen Sinne sagen, dass sie tot ist. 

Zumindest in unserem Sprachraum macht sie mir einen ziemlich toten Eindruck oder scheint mir zu dem verkommen, was auch Gott schon in Nietzsches Darstellung widerfuhr: zu einem künstlich hochgehaltenen, formalen, bürgerlichen Wert, zu einem äußeren Bildungsgut. 

Sie ist erfroren neben Techno-Music, wirtschaftlichem Pseudo-Rationalismus, Managementideologie, Handys und Computern. Nichts für das man mehr tanzen kann, geschweige denn – sterben.

Aber auch hier gilt, dass wir nicht alle ihre Mörder sind und sogar heute – nach meiner Einschätzung gut drei Jahrzehnte, nachdem sich die Verlage für den totalen Kommerz entschieden und die Kriminalisierung der Literatur Einzug in die Buchläden hielt, greifen noch einige zum unsterblichen Dostojewski oder Goethe oder haben auch die Literaturkrise inzwischen überwunden und die Literatur als unweigerlich daseinsbejahende Fülle des Lebens, an Kraft, welche an sich glaubt und Glauben schenkt, in sich selber wieder auferstehen lassen… Zugegeben bestätigen auch in diesem Fall vorerst nur Ausnahmen die Regel.

Die Mörder in den Verlagen und unter den Tausenden von Krimiautoren und hinter den pädagogischen Lebensberater- und Pseudosachbuch-Werkchen haben zu lange in der Branche gewütet. Aber warum sollten wir alle tot sein, nur weil die meisten es sind?

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Christoph Themessl

Christoph Themessl, Dr., geb. 1967 in Innsbruck, ist Schriftsteller, Philosoph und Journalist. Er arbeitete für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften und war mit seiner Firma PR-Zeitungen Themessl als Magazin-Produzent fünfzehn Jahre lang selbständig. Zu seinen Publikationen zählen: „Der Tod kann warten“ (Roman; 1997), „Bewusstsein und Mängelerkenntnis; Philosophische Psychologie für die Praxis“ (studia Verlag, 2013), „Als die Seele denken lernte“ (studia Verlag, 2016) und „Sinn- und Sinnlosigkeit. Die Entscheidung des philosophischen Praktikers“ (LIT Verlag, 2021). Themessl betreibt in Lans eine philosophische Praxis namens „Safe House – das Sorgendepot“ und arbeitet in der Behindertenhilfe des Landes Tirol.

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