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Franz Mathis
Pensionsreform
Generationenvertrag oder Versicherungsleistung?
Notizen

In der immer wieder aufflammenden Debatte über eine Anhebung des Pensionsantrittsalters auf über 65 Jahre sind einige Überlegungen bislang nicht oder nur unzureichend berücksichtigt worden:


1. 

Wenn das durchschnittliche Pensionsantrittsalter der Männer in Österreich derzeit bei etwa 62 Jahren liegt, sind daran nicht diejenigen schuld, die mit 65 Jahren in Pension gehen, sondern diejenigen, die bereits vor dem 62. Lebensjahr in den Ruhestand treten. 

Es ist daher nur recht und billig, wenn zuerst einmal versucht wird, das Pensionsantrittsalter dieser Gruppe in Richtung der festgelegten Norm von 65 Jahren anzuheben, bevor man diejenigen, die ohnehin schon bis 65 arbeiten, noch länger arbeiten lässt – eine wohl für jede und jeden einleuchtende Überlegung.


2. 

Angesichts der Tatsache, dass die laufenden Pensionen aus den aktuellen Pensionsbeiträgen und zusätzlich aus Steuermitteln bezahlt werden, entsteht der falsche Eindruck, dass es sich bei den Pensionen um einen so genannten Generationenvertrag handelt, bei dem die aktiv Erwerbstätigen die aus dem Erwerbsleben Ausgeschiedenen unterhalten. 

Auch wenn dies effektiv der Fall ist, handelt es sich bei den Pensionen von der ursprünglichen Idee her um eine Versicherungsleistung – daher der Name Altersversicherung. Sie wurde vor über 100 Jahren als soziale Errungenschaft eingeführt, da die frühere Versorgung der Alten durch ihre Kinder – was viel eher einem Generationenvertrag gleichkam – infolge verschiedener Begleiterscheinungen der Industrialisierung nicht mehr zufriedenstellend funktionierte.


3.

Wie bei jeder anderen Versicherung werden während der aktiven Erwerbstätigkeit Monat für Monat Versicherungsbeiträge einbezahlt, die dann im Versicherungsfall – d.h. im Ruhestand – von den Versicherten in unterschiedlichem Ausmaß in Anspruch genommen werden. 

Wie bei einer kostspieligen Operation niemals daran gedacht würde, dass diese von anderen bezahlt wird, sondern vielmehr aufgrund der eingezahlten Krankenversicherungsbeiträge ein Anspruch auf eine solche Operation besteht, gibt es auch bei den Pensionen ein aus früher geleisteten Zahlungen gerechtfertigter Anspruch auf die Altersversicherung.


4.

Wenn nun aber aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung diese Versicherungsleistung länger als früher beansprucht wird und daher auch mehr kostet, wäre die einzig logische Folge, dass auch die monatlichen Versicherungsbeiträge erhöht würden – wie etwa auch die Prämien für eine Feuerversicherung bei einem größeren Haus naturgemäß höher ausfallen als bei einem kleineren. 

Mit anderen Worten, je höher die Versicherungssumme, umso höher die Versicherungsbeiträge. Im Falle der Altersversicherung würde schon eine relativ geringe Anhebung um einige Zehntelprozentpunkte viele zusätzliche Millionen bringen, um die durch die höhere Lebenserwartung gestiegene Versicherungssumme zu finanzieren.


5. 

Die seit Beginn der Industrialisierung vor gut 200 Jahren ständig steigende Produktivität der menschlichen Arbeit hatte zweierlei zur Folge. Zum einen konnten in derselben Zeit ungleich viel mehr Werte geschaffen werden als früher, was unseren heutigen Wohlstand erst möglich machte. 

Zum anderen benötigte man zur Schaffung dieser Werte immer weniger Zeit. Bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts konnten dank der großen und ständig steigenden Nachfrage nach Gütern aller Art die geschaffenen Werte in einem Ausmaß verkauft werden, dass eine weitgehende Vollbeschäftigung aufrechterhalten werden konnte. 

In den letzten Jahren zeichnete sich jedoch eine zumindest teilweise Sättigung der Nachfrage nach Sachgütern ab – mit der Folge, dass sie nicht mehr im selben Ausmaß zunahm wie zuvor und es bei weiter steigender Produktivität immer schwieriger wurde, eine gleich große Zahl von Menschen 40 Stunden pro Woche zu beschäftigen, was unter anderem zu einer Zunahme von Teilzeitarbeit geführt hat. 

Aus demselben Grund fällt es zunehmend schwerer, für ältere Menschen Arbeit zu finden, wenn schon für die Jüngeren eine 40-Stunden-Woche weit weniger selbstverständlich ist als früher.


6. 

Positiv formuliert heißt dies, dass unsere Gesellschaft im Durchschnitt so viel produktiver geworden ist, dass sie nicht nur viel mehr Werte schafft als früher, sondern für die Schaffung dieser Werte auch immer weniger Zeit benötigt. 

Es wäre daher sinnvoller und würde dem Trend der wirtschaftlichen Entwicklung entsprechen, wenn ein Teil der höheren Einkommen, die aus der höheren Produktivität resultieren, statt für zusätzlichen Konsum dazu verwendet würde, die Kosten des längeren Ruhestandes abzudecken. 

Dies wäre mit einer durchaus leistbaren, da nur geringfügigen Anhebung der Pensionsbeiträge möglich, wobei naturgemäß auf die soziale Ausgewogenheit einer solchen Erhöhung zu achten wäre. 

Da man dazu bislang offenbar nicht bereit ist, wurde und wird die Lücke zwischen höherer Versicherungssumme und den geleisteten Beiträgen aus Steuermitteln gedeckt, was im Prinzip auf dasselbe hinausläuft. 

Statt den höheren Aufwand direkt aus gestiegenen Versicherungsprämien zu decken, geschieht dies indirekt über die von den Menschen bezahlten Steuern – wozu der Staat dank der gewachsenen und weiter wachsenden Wirtschaftsleistung durchaus in der Lage ist und was daher nicht weiter zu beklagen wäre.

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Franz Mathis

Geboren in Hohenems (Vorarlberg) 1946, Studium der Geschichte und Anglistik an der Universität Innsbruck, Mag. phil. 1971, Dr. phil. 1973, Habilitation aus Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1979, ordentlicher Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte seit 1993. Forschungsaufenthalte in England und den USA, Gastprofessor an den Universitäten Salzburg, New Orleans (USA), Trient und Bozen. Studiendekan der Geisteswissenschaftlichen Fakultät, Rektorsbeauftragter der Universität Innsbruck für die Partnerschaft mit der University of New Orleans, Vorstandsmitglied der Internationalen Gesellschaft für historische Alpenforschung, Schriftleiter der Tiroler Wirtschaftsstudien. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: vergleichende Stadtgeschichte, vergleichende Unternehmensgeschichte, Dritte Welt, allgemeine Wirtschaftsgeschichte Zusammenhänge und Grundlagen sozio-ökonomischer Entwicklung.

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