Bettina Maria König
Sommernacht in der Toscana
Short Story
Ja, jetzt war sie sich sicher: Sie liebte ihn nicht mehr. Wie hätte sie das auch noch gekonnt? Nach dieser Nacht, die alle Unsicherheit der letzten Wochen weggewischt hatte. Marco und sie hatten sich schon lange voneinander entfernt, meilenweit entfernt; wenn sie es recht bedachte, war die innige Vertrautheit der ersten Jahre vielleicht sogar eine Illusion gewesen – eine sehr schöne zwar, das musste sie einräumen. Die Sonntagvormittage im Bett, die langen, ausgedehnten Spaziergänge, die Abendessen bei Kerzenlicht! All das war jetzt weit, weit weg!
Sie konnte sich nicht beklagen, dass ihr Mann sie nicht gut behandelt hätte – das war bestimmt nicht der Fall. Sie – die Frau aus ärmlichen Verhältnissen – hatte immer alles bekommen, was sie sich gewünscht hatte und das auch genossen: Geld spielte im Hause Vanucci keine Rolle.
Auch das Haus am Meer, dessen Tür sie gerade vor zehn Minuten hinter sich geschlossen hatte, gehörte zu den Annehmlichkeiten, die ihr Marcos Geld ermöglicht hatten. Es war ein sehr schönes Haus; großzügig und geschmackvoll eingerichtet, mit einem kleinen Swimmingpool und einer schmalen, steilen Treppe, die zu einem versteckten Stück Strand hinab führte. Sie liebte dieses Haus. Früher war sie oft mit Marco hierhergekommen, an den Wochenenden und während der Sommerferien, wenn die Stadt vor Hitze glühte und die Straßen und Plätze ausgestorben waren, weil ganz Florenz ans kühle Meer geflüchtet war.
Auch dieses Mal war sie vor dieser Schwüle geflohen – aber, wie so oft in letzter Zeit – allein. „Es tut mir wirklich leid, tesoro, aber ich kann nicht mitkommen. Dottor Masolini hat für morgen Abend eine dringende Sitzung einberufen, mi dispiace… capirai…“, hatte er gemurmelt und ihr gedankenlos einen Kuss auf den Scheitel gedrückt.
Va bene, dann halt ohne dich… Im Grunde, so überlegte sie, war es ihr egal gewesen. Sie hatte ohnehin nicht damit gerechnet, dass Marco sie begleiten würde. Und wenn, dann hätte er Stöße von Akten mit sich gezerrt, und sein Handy hätte endlos vor sich hin gepiepst. Wütend schaltete sie einen Gang zurück und setzte zum Überholmanöver an.
Diese Arbeit – die war überhaupt an allem schuld. Schuld an der Entfremdung und an seiner Lieblosigkeit, unter der sie in letzter Zeit immer mehr gelitten hatte. Und eigentlich auch schuld an der Geschichte mit Sandro. Sie konnte im Grunde gar nichts dafür. Wie hätte sie auch widerstehen können, wenn ihr eigener Ehemann sie seit Monaten so schändlich vernachlässigte? Sie war schließlich auch nur eine Frau.
Zuerst war es nur eine Art Neugier gewesen. Auf diesen weltgewandten und offensichtlich wohlhabenden Mann, der sich von Anfang so sicher zu sein schien, dass sie – und nur sie – die Frau seines Lebens war. Obwohl sie sich kaum kannten. Der sie mit teuren Geschenken überschüttete.
Und dann dieses wunderbare Gefühl, endlich wieder von einem Mann begehrt zu werden. Und wie Sandro sie begehrte! Er war ihr sogar hierher gefolgt, obwohl sie das eigentlich nicht gewollt hatte. In dieses Haus, das einmal Marcos und ihr Liebesnest gewesen war. Ein Sakrileg, eine Geschmacklosigkeit, dessen war sie sich bewusst! Aber was sollte sie machen – bei so viel Leidenschaft und Drängen und starken Gefühlen.
Und sie hatte es auch nicht bereut. Was war das für eine Nacht gewesen… Endlich fühlte sie sich wieder lebendig, gewollt, geliebt! Wie geliebt, hätte sie sich nie träumen lassen… Ihr Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals, und ihr Blick blieb an dem Ring an ihrem Finger hängen.
Sie sei die Frau seines Lebens, hatte er gesagt. Das habe er gewusst, seit er sie vor zwei Wochen zum ersten Mal gesehen habe. Er wolle sie heiraten. Und sie solle ihren Mann verlassen. Heute noch. Schade nur, dass sie nicht mehr gemeinsam hatten frühstücken können. Das wäre der perfekte Ausklang gewesen. Sandro musste zurück nach Florenz, er hatte einen dringenden Termin. Aber es war ihm sichtlich schwergefallen, sich loszureissen.
Sie lächelte, während sie durch die Straßen kurvte. Recht geschah es Marco. Cornuto – gehörnt! So ziemlich das Schlimmste, was man einem italienischen Ehemann antun konnte. Aber es war ihr egal. Sie gehörte jetzt Sandro. Sobald sie zu Hause war, würde sie ihrem Mann mitteilen, dass sie ihn verlassen werde. Heute noch.
Energisch bog sie in die Via Tornabuoni ein und brachte das Auto auf dem Parkplatz im Hof zum Stehen. Sie schloss die Tür auf, ließ die Reisetasche mitten im Korridor fallen und warf ihre Handtasche auf die Kommode. Aus dem Salon hörte sie leise Stimmen. War Marco denn schon zuhause? Auf Zehenspitzen näherte sie sich der Türe und lauschte, aber dann drückte sie doch die Klinke hinunter. Und erstarrte.
Auf den breiten Ledersesseln vor dem Kamin saß Marco – und neben ihm stand Sandro. Marco blickte kurz auf. „Ah – amore, sei tu. Ich bin gleich bei dir“, sagte er mit einem Unterton in der Stimme, den sie schwer deuten konnte, „unser gemeinsamer Freund hier wollte sich gerade verabschieden.“
Die Männer standen auf, und während sie an der versteinerten Frau vorbei Richtung Flur gingen, drückte Marco dem anderen ein dickes Bündel Banknoten in die Hand. „Danke, caro, du hast mir wirklich sehr geholfen. Ich melde mich, wenn ich wieder was brauche.“ Sandro verschwand, ohne sie auch nur anzusehen.
Ihr Blick fiel auf den Tisch im Salon: Er war bedeckt mit Schwarzweiß-Bildern. Darauf sie und Sandro – beim Schwimmen im Pool der Strandvilla, beim Essen, beim Küssen, im Bett. Ihr wurde kalt. „Deine Koffer stehen im Schlafzimmer, amore“ – Marco war zurückgekommen. „Leg bitte alle Schlüssel und die Kreditkarten auf den Garderobenschrank, bevor du gehst. Du hörst dann von meinem Anwalt.“
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Kaltblütig dieser Marco! Ein Schweinehund der Sandro! Und sie? Ein blauäugiges Bienchen, das von einer Blüte zur anderen fliegt? So geht es in manchen Beziehungen…. gut geschrieben!
eine Geschichte, die sehr berührt und zum Nachdenken anregt
vielen Dank