Bettina König
Ein halber Erfolg
Die Vereinigten Bühnen Bozen bringen
Robert Seethalers Roman
„Ein ganzes Leben“
als szenische Einrichtung.
Ein ganzer Roman in nur 75 Minuten? Wie kann das gelingen, umso mehr, als dieser Roman auch noch Ein ganzes Leben erzählt?
Die Vereinigten Bühnen Bozen haben diesen Versuch gestartet und den gleichnamigen Roman von Robert Seethaler als Ablauf von Szenen präsentiert, ausgewählt und eingerichtet von Rudolf Frey, Daniel Theuring, Ayşe Gülsüm Özel und Roman Blumenschein, der gleichzeitig auch den (einzigen) Protagonisten gibt. Für die szenische Textarbeit ist Theresa Prey verantwortlich.
Die Antwort auf die Eingangsfrage gleich vorweg: für mich ein klares Jein.
Roman Blumenschein , Copyright Anna Cerrato
Die Geschichte des Waisen Andreas Egger, der bei seinem Onkel Hubert Kranzstocker eine schreckliche Jugend erlebt und von diesem zum Krüppel geschlagen wird, der sich dennoch zunächst als Handlanger und dann als Arbeiter bei der Firma Bittermann & Söhne, Erbauerin der ersten Luftseilbahnen, eine bescheidene Existenz aufbaut, der seine große Liebe findet und wieder verliert, den Krieg und später den Siegeszug des Tourismus mitmacht, – also kurz gesagt dieses ganze volle, schwierige und ehrliche Leben von einer einzigen Person auf der Bühne darstellen zu lassen, das ist ein sehr schweres Unterfangen.
So schwer, dass nicht nur ich selbst, sondern auch Teile meiner Umgebung bei der Premiere irgendwann unruhig auf dem Theatersessel zu wetzen begannen.
Dabei war die Auswahl der Textstellen, die Darsteller Blumenschein bravourös rezitierte, absolut treffend; es waren allesamt neuralgische Punkte des Romans, die in dieser Monologfassung angerissen wurden und die dazu angetan waren, Eggers Geschichte auch diejenigen nacherleben zu lassen, die das Buch nicht gelesen hatten.
Eingebettet in diese Textstellen waren Dialoge – zwischen Kranzstocker und Egger, zwischen Egger und seiner jungen Braut Marie, zwischen Egger und dem Prokuristen von Bittermann & Söhne, um nur einige zu nennen. Essenzielle Dialoge, welche die Handlung zügig weiterbrachten und nicht nur Eggers Wesen, sondern auch das seiner Umgebung plastisch aufzeigten.
Blumenschein schlüpfte auch in die Rollen dieser wichtigen Menschen im Leben von Andreas Egger, manchmal sehr glaubhaft, etwa wenn er den Sarkasmus und die Boshaftigkeit seines Onkels durchschimmern ließ, manchmal weniger glaubhaft, wenn er den rauen Charme und das Weibliche von Marie durch süßliches Dauergrinsen rüberbringen wollte.
Die monologisierten Dialoge brachten trotz aller Blumenschein´schen Anstrengungen um Differenzierung leider mit der Zeit eine gewisse Eintönigkeit mit sich (daher das Stuhlwetzen da und dort). Im Publikum war man doch etwas gefordert, bei Laune zu bleiben und einiges an Fantasie walten zu lassen. Weniger ist wohl nicht immer mehr.
Sehr viel Fantasie brauchte man außerdem, um auch stimmungsmäßig in das Leben des Protagonisten einzutauchen – das absolut karg eingerichtete Bühnenbild war keine Hilfe und teilweise sogar kontraproduktiv. Zum Beispiel dann, wenn Egger nicht den zahllosen Steinen aus seinem kargen Garten Namen gab, wie im Buch, sondern stattdessen Schuhen und anderen, scheinbar wahllos zusammengewürfelten Gegenständen. Warum? Um der künstlerischen Freiheit zu frönen? Aus Kostengründen? Um originell zu sein? Oder zu irritieren?
Roman Blumenschein, Copyright Anna Cerrato
Apropos Irritation: Etwas deplatziert bis wirklich nervig war die konstante Verwendung einer Art Soundmaschine, die – künstlich verfremdet – eingesprochene Textteile des Hauptdarstellers in Endlosschleife wiedergab. Und das zum Teil so laut und/oder in so schrillen Tonlagen, dass man sich sehr zurückhalten musste, um sich nicht die Ohren zuzuhalten.
Ein solcher unangenehm-aufreibender Moment war etwa jener, als Blumenschein mit Cowboyhut auf dem Kopf in die Rolle des Bürgermeisters schlüpfte, der bei der Eröffnung der örtlichen Luftseilbahn eine große Rede zum Besten gab.
Alles in allem: Applaus an die Monolog-Schreiber und den Hauptdarsteller, dafür bitte mehr Bühnenbild und weniger Soundmaschine sowie eventuell mehr Personal auf der Bühne – Augen, Ohren und Sitzflächen des Publikums würden es danken.
Weitere Vorstellungstermine im Stadttheater Bozen:
10.04.2024 20 Uhr* Studio *mit Stückeinführung um 19.15 Uhr
11.04.2024 20 Uhr Studio
12.04.2024 20 Uhr Studio
14.04.2024 18 Uhr Studio
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