Print Friendly, PDF & Email

Bettina Maria König
Serge übertreibt.
Der erste Heiratsantrag
Short Story

Ich schluchzte immer noch ein bisschen, als ich hinter dem Brautpaar durch das Kirchenportal ins Freie trat. Die Sonne blendete grell – natürlich hatte Bea auch mit dem Wetter Glück gehabt – und während ich mich bückte, um Beas Schleppe zu ordnen, nutzte ich die Gelegenheit, um aus meiner Handtasche unauffällig eine Sonnenbrille zu fischen.

Man sagt ja, auf Hochzeiten wird der Samen für mindestens drei weitere gelegt, aber mit verheulten Augen standen meine Chancen eher schlecht. Die Sonnenbrille gab mir hingegen eine geheimnisvolle Aura à la Jackie O. oder Audrey Hepburn. Bildete ich mir zumindest ein. Jedenfalls war sie gut als Schutzschild gegen den Reisregen, der soeben auf Bea und Paul herunterprasselte und selbstverständlich auch die Brautjungfern erwischte. Ich legte sie erst wieder ab, als wir das Restaurant betreten hatten und mich ein attraktiver junger Mann augenzwinkernd fragte, ob ich auch noch etwas Sonnenöl brauche.

Das Ambiente des Lokals war so elegant wie jenes der Kirche – kein Wunder, bei der Sorgfalt, die Bea auf die Auswahl und die Vorbereitungen verwendet, und bei der Präzision, mit der ihre ausführende Managerin – also ich – ihre Anweisungen ausgeführt hatte. Worauf ich allerdings keinen Einfluss gehabt hatte, das war die Sitzordnung. Die war nämlich absolute Chefinnensache gewesen. Ich hielt also vergebens Ausschau nach dem netten jungen Mann von vorhin, und landete an einem Tisch, der zu meinem Leidwesen von lauter Paaren besetzt war. Aber wenigstens hatte Bea auch Serge und Renate hierher komplimentiert. Die beiden verstanden sich prächtig. Und so hatten wir doch noch jede Menge Spaß, während wir uns stundenlang durch ein fünfgängiges Menü aßen – inklusive Reden von Brautvater und Trauzeugen und einer launigen Gedichtdarbietung von Pauls Onkel Willi nach dem Motto „Reim dich, oder ich schlag dich“.

Schließlich wurde der Kaffee serviert, und die Band begann zu spielen. Der erste Tanz des Brautpaares stand an, und auch hier hatte Bea nichts dem Zufall überlassen und Paul zu einem zehnstündigen Braut-Tanzkurs verpflichtet, der nun seine Früchte zeigte. Nach dieser perfekten Performance wurde die Tanzfläche für das gemeine Publikum freigegeben. Serge forderte mich auf, und es zeigte sich, dass er zwar grundsätzlich nicht unmusikalisch war, aber mit vorgegebenen Tanzschritten auf Kriegsfuß stand.
„Dasö istö doch total unkreativö, isch lasse misch doch nischt so gängöln“, meinte er entrüstet und stieg stante pede auf seinen eigenen Stil um.

Da ich seine wahllos herumschlenkernden Körperteile aber nach wenigen Minuten als Gefahr für meine frisch genesene Nase einordnete und es mir zudem etwas peinlich war, neben jemandem zu tanzen, der permanent Schwimm- und Tauchbewegungen imitierte, setzte ich mich wieder. Serge nahm’s gelassen und orderte ein weiteres Bier; steirisches, denn belgisches gab es in diesem Etablissement keines. Und da ich fortan nicht mehr mit ihm tanzen wollte, blieb es nicht bei diesem Bier. Was zur Folge hatte, dass Serge immer fröhlicher und fröhlicher wurde, und bald nicht nur seinen eigenen, sondern auch die umliegenden Tische mit seinen Schnurren unterhielt.

Endlich war der Moment da, den unverheiratete Frauen in der Regel bei solchen Veranstaltungen heiß herbeisehen – der Wurf des Brautstraußes. Bea hatte auch diese Zeremonie bis ins Detail zuvor geplant. Sie ging also von Tisch zu Tisch und rief alle „Jungfrauen“ auf die Tanzfläche, sie selbst positionierte sich etwas erhöht auf einer Stufe. Selbstverständlich standen auch Renate und ich unter den erwartungsvollen Damen, bereit, uns im Notfall auch mit ganzem Körpereinsatz um den Strauß zu raufen. Denn was gab es Erstrebenswerteres als die unmissverständliche und absolut verlässliche Prophezeiung, dass man die nächste Braut in diesem Reigen hier sein würde?

Ein Trommelwirbel steigerte die Spannung, die gesamte Gästeriege fing an zu zählen: 10 – 9 – 8… Als sie bei 0 angelangt war, geschah zweierlei. Zum einen holte Bea zum Wurf aus und schleuderte ihren Strauß aus weißen Rosen elegant hinter sich. Zum zweiten startete Serge mit einer Geschwindigkeit von seinem Platz los, die ich ihm nach seinen fünf Bier niemals zugetraut hätte, sprang in die Höhe und fischte sich den Strauß, bevor er in die Hände von Pauls Cousine fallen konnte, der die Genugtuung über diesen wertvollen Fang bereits ins Gesicht geschrieben stand.

Serge nutzte die verdutzte Stille, die sich nun urplötzlich über den Saal gelegt hatte, um sich mit dem Strauß in der Hand vor mir aufzubauen. „Liebstä Alma“, sagte er in feierlichem Ton. Dabei fiel er auf die Knie. Mir wurde schlecht, und ich wünschte mich augenblicklich heim in mein sicheres Bett. Oder jedenfalls an sonst einen Ort, der weit weg war. Ganz schlimm wurde es, als mein herumirrender Blick auf den jungen Herrn von vorhin fiel, der mich mit einer Mischung aus Befremden und Amüsement musterte. Hier hatte ich wohl keine Karten mehr.

„Willst du meinä Frou wärden?“, fragte Serge pathetisch, die Augen wässrig, und ergriff dabei meine Hand. Damit nicht genug, zog er zu allem Überfluss eine kleine Schachtel aus seiner Brusttasche, klappte sie auf, und es wurde ein Ring sichtbar. Ein klassischer, blitzender Diamant-Verlobungsring. Alle Blicke, die zunächst auf ihm geruht hatten, wanderten nun zu mir. Ich geriet in Panik. Ein Blick Richtung Bea verriet mir, dass es ihr ähnlich ging. Und – so wie ich sie kannte – wohl nicht nur deshalb, weil sie Serge so gar nicht an meiner Seite sah, sondern vorwiegend aus dem Grund, dass diese unliebsame Unterbrechung nicht in ihrem Hochzeitsdrehbuch stand.

Da half nur die Flucht nach vorne. Ich brach also – etwas gekünstelt, da mir wirklich nicht nach Lachen zumute war – in schallendes Lachen aus, umarmte Serge und sagte ganz laut: „Der war wirklich gut! Du bist doch immer wieder für einen Scherz gut, fast wäre ich drauf reingefallen!“. Das Publikum guckte erst etwas verdutzt, aber als Bea und Renate nach einem kurzen Blickwechsel demonstrativ in mein Lachen mit einfielen, gab es bald Gelächter im ganzen Saal, das sich in allgemeines Gespräch und Gemurmel auflöste.

Serge erhob sich mit hochrotem Kopf, klappte das Schächtelchen energisch zu und murmelte in meine Richtung: „Abör dasä war keinä Scherz…“.
„Wenn das kein Scherz war, wieso stellst du mich hier so bloß – vor allen Leuten?“, antwortete ich wütend. Serge öffnete den Mund, aber in dem Moment kam Bea angerauscht. „Was zum Teufel sollte das denn?“, zischte sie uns an, wobei sie sorgfältig darauf achtete, dass ihre Gesichtszüge nicht verrieten, wie sehr sie innerlich tobte. Wut steht einer Braut nicht gut, das wusste Bea genau.

Serge zuckte nur mit den Schultern. „Isch liebä sie alt“, antwortete er, mit einem resignierten Blick auf mich. „Aber jetztä gähe isch wohlä bässer.“ Und das tat er denn auch. Denn Serge war zwar vorlaut, sehr extrovertiert und manchmal eben auch ein bisschen peinlich. Aber dumm war er sicher nicht.

Die Hochzeit war nach seinem Abgang nicht mehr so lustig, muss ich zugeben. Aber ich war trotzdem unheimlich erleichtert. Denn in aller Öffentlichkeit einen Heiratsantrag von einem Mann zu bekommen, den man nur knapp mehr als nett findet, war zwar sehr schmeichelhaft, aber leider auch extrem unangenehm.

Überhaupt, wenn es sich um einen so guten Freund handelte wie Serge, der mir in den letzten Monaten wirklich ans Herz gewachsen war. Zunächst war ich immer noch erleichtert, dass er sich in den Tagen nach der Hochzeit nicht meldete. Ich fürchtete mich vor einer klärenden Aussprache. Aber als aus den Tagen Wochen wurden und er weder Anrufe noch Briefe von mir beantwortete und sich von seinen WG-Kollegen verleugnen ließ, als ich vorbeischaute, war ich doch besorgt und traurig. Er fehlte mir. Und ich wollte ihn zurückhaben in meinem Leben, das er doch sehr bereichert hatte.

Mir war klar, dass es nach dieser Einlage eine Zeitlang sehr merkwürdig sein würde zwischen uns. Aber das würde sich doch irgendwann legen, redete ich mir ein. Allein: Serge weigerte sich offenbar, in mein Leben zurückzukehren. So berichteten es mir jedenfalls seine Kegel-Kumpel, die ich schließlich in der Sache befragte. Er reagiere auf seine Weise, meinten sie: Es verginge derzeit kein Tag, an dem er nicht bis in die frühen Morgenstunden irgendwo versumpfte.

Ich zermarterte mir den Kopf, ob ich diese Katastrophe hätte verhindern können, indem ich statt der Nasenputz- und Schuhband-Nummern mal ein aufrichtiges Wort mit ihm geredet hätte. Bea war mit Paul in die Flitterwochen abgezischt, nicht ohne mich noch zu ermahnen, dass ich diesen peinlichen Säufertypen endlich zum Teufel schicken solle. Und so vertraute ich mich Renate an und zerkaute mit ihr diesen Fall, wie es nur Frauen können: Jedes Wort und jede Geste wurden einzeln zerpflückt.

Renate war zu meiner Überraschung sehr pro-Serge eingestellt und meinte, sie habe seine Aktion eigentlich „voll süß“ gefunden. Aber natürlich verstand sie auch meinen Standpunkt. Nachdem wir alle Aspekte bei einigen Gläschen Weißwein mehrmals von hinten und vorne betrachtet hatten, kamen wir zu dem Schluss, dass ein vorgezogenes Outing nur beschleunigt hätte, was nun leider nicht mehr zu verhindern war: die Auflösung dieser Freundschaft.

Denn – und zu diesem hinlänglich bekannten, aber deshalb nicht weniger weisen Schluss kamen wir natürlich auch – Freundschaft zwischen Mann und Frau ist nicht möglich. Einer von beiden will immer mehr. Für mich hieß das, dass in meinem Leben nun ein Loch klaffte, in dem jemand schmerzlich fehlte: Serge, ein Freund, ein Feierkumpan, ein Sportskollege, ein Gesprächspartner. Aber eben leider kein Geliebter.

„Die Liebe“, dachte ich bei mir, „ist schon wirklich verdammt kompliziert“.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Bettina Maria König

Bettina König wuchs als Tochter eines tüchtigen Apothekers im sehr fernen Außerfern auf, wo es ihr aber bald zu kalt und provinziell wurde. Sie flüchtete nach Innsbruck und mutierte via Studium zum Dr. phil., um postwendend in die Riege der „Tirol Werber“ aufgenommen zu werden. Als das Bedürfnis nach Wärme noch größer wurde, nahm sie eine Stelle als Presseverantwortliche in Bozen an – nicht ahnend, dass es dort mit der Provinzialität noch schlimmer bestellt ist als im heimatlichen Reutte. Dem Berufsbild des professionellen Schreiberlings treu bleibend, durchlief sie in Südtirol mehrere Positionen und war zwischendurch auch freiberuflich als PR-Fachkraft, Journalistin und Texterin tätig. Das Bedürfnis nach kreativem Schreiben befriedigte sie unter anderem durch die Herausgabe eines Kinderbuchs („Die Euro-Detektive“) für eine Südtiroler Bank. Derzeit zeichnet sie für die Unternehmens-Pressearbeit von IDM Südtirol verantwortlich, hat die kreative Schreiblust aber immer noch nicht gebändigt. Zwei erwachsene Kinder.

Schreibe einen Kommentar