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Bettina Maria König
Schwierige Zeiten
Short Story

Das Schwebe-Gefühl hielt in den kommenden Wochen an, obwohl ich Ben sehr selten sah – ich war viel zu beschäftigt damit, Bea bei ihrem Countdown ins Eheleben zur Seite zu stehen. Und das war  kein leichtes Unterfangen, denn so launisch hatte ich meine Freundin noch nie erlebt. Aber da musste ich durch: Eine BFF ist eine BFF, auch und gerade, wenn sie schwierige Zeiten durchmacht. Und wenn man sein ganzes Leben auf den Kopf stellt – na, dann SIND das schwierige Zeiten.

Denn natürlich bedeutete Beas Heirat auch, dass sie ihr Zimmer in unserer WG verlassen und mit Paul zusammen eine eigene Wohnung beziehen würde. Wenn ich es recht bedachte, stellte sie damit auch mein Leben auf den Kopf. Natürlich machte ich mir schon seit geraumer Zeit Gedanken darüber, was nun mit dem leeren Zimmer geschehen solle, aber ich hatte noch nichts unternommen. Denn insgeheim zählte ich darauf, dass es – jedenfalls vorübergehend – von einem gewissen großen, schlanken Anwalt besetzt werden könnte. Sobald er mit seiner Wanda Schluss gemacht hatte. Dafür hatte sich Ben nun aber ein bisschen Zeit ausbedungen. „Ich muss den richtigen Moment erwischen, weißt du“, hatte er mir erklärt, „und grade eben geht es Wanda nicht so besonders. Sie hat beruflich Schwierigkeiten, ich sollte abwarten, bis sich das geklärt hat.“

Das verstand ich natürlich, und ich wollte keinesfalls eine dieser Kletten sein à la Glenn Close aus „Eine verhängnisvolle Affäre“. Am Ende dachte er vielleicht noch, ich wolle wie im Film sein Zwergkaninchen einkochen (nicht, dass er eines gehabt hätte). Also gab ich ihm sehr erwachsen, wie ich fand, meinen Segen für Wandas Galgenfrist, machte ihm aber unmissverständlich klar, dass bis zu Beas Hochzeit Schluss sein musste: Da wollte ich unbedingt mit ihm hingehen und die Bombe platzen lassen. Denn noch wusste außer Bea niemand von unserer Liebe, wenn auch sicher so einigen Mitgliedern der „Fliegenden Grillen“ etwas schwante – zumindest den weiblichen. Männer sind in dieser Hinsicht ja oft sehr naiv. Oder sie sehen nicht so genau hin, in der Hoffnung, dass man das dann bei ihnen auch nicht tut, sollten sie in dieselbe Lage kommen. Wie dem auch immer sei: Ben versprach mir hoch und heilig, die Frist einzuhalten und bis in einem Monat ein freier Mann zu sein – frei für mich.

Ich war’s zufrieden und stürzte mich mit Vorfreude und einer wachsenden Schmetterlingsfarm im Bauch gemeinsam mit Bea in die letzten Vorbereitungen. Es galt, Tischkärtchen kunstvoll zu bepinseln, den Brautstrauß auszusuchen und zum gefühlt hundertsten Mal die Tischordnung umzuwerfen, weil Tante Gerda partout nicht neben Onkel Fridolin sitzen wollte und die kleine Tochter der Cousine Helga die Masern bekommen hatte, weshalb deren ganze Familie nach dem Domino-Prinzip nach und nach ausfiel. Da ich Trauzeugin war, musste ich natürlich auch für meine adäquate Kleidung sorgen und wurde nach tagelangem Durchkämmen der Innenstadt-Boutiquen fündig: Die Wahl fiel auf einen hellblauen Organzatraum mit anliegendem Oberteil und schwingendem Rock, der mir auch äußerlich die Prinzessinnen-Aura verlieh, die ich innerlich verspürte, seit ich Ben kennengelernt hatte.

Zudem oblag mir als Beas Trauzeugin, ihren Junggesellinnen-Abschied zu organisieren, was sich etwas schwierig gestaltete. In der Regel lädt man dazu die versammelte Freundinnen-Riege ein und haut dann gewaltig in irgendeinem Lokal auf den Putz. Das mit dem Lokal wäre ja kein Problem gewesen, aber die Freundinnen schon – Bea hatte nämlich keine. Ich war offensichtlich die Einzige, die ihre Art über all die Jahre ertragen hatte und ihr treu geblieben war.

Also aktivierte ich Renate, die zwar etwas zögernd, aber doch akzeptierte. Um den Abend unvergesslich zu gestalten, stellte ich ein Fotoalbum mit den berührendsten und wichtigsten, aber natürlich auch mit den peinlichsten Momenten aus Beas noch recht kurzem Leben zusammen. Ich freute mich schon darauf, wie sie über die Bilder-Folge toben würde. Deshalb kaufte ich noch einen Luftballon mit Konfetti drin, den man im richtigen Augenblick über ihr platzen lassen konnte. Dann reservierte ich noch einen Platz in jedem unserer Stammlokale – natürlich nach Zeitslots gestaffelt. Ich sorgte auch dafür, dass die Lokalcrews über den Grund der Feier informiert waren und an jedem Tisch sofort bei unserem Eintreffen eine Flasche Schlumberger serviert würde.

All diese Aktivitäten nahmen mich derart in Anspruch, dass ich erst nach einigen Tagen merkte, wie selten sich Ben seit seiner Aufschub-Bitte gemeldet hatte. Auch beim Volleyball-Training tauchte er nicht auf, und keiner der anderen wusste, wo er abgeblieben war. Das fand ich zunehmend seltsam, und so rief ich ihn im Büro an.

Seine Vorzimmerdame reagierte etwas frostig, als ich auf ihre Frage, warum es denn ginge, nur knapp antwortete: „Es ist privat.“ Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Sie verband mich endlich, und Ben meldete sich nach einer Ewigkeit mit sehr gedämpfter Stimme. „Was ist denn so dringend, dass du mich bei der Arbeit anrufst?“, flüsterte er fast und klang dabei ein bisschen ungehalten – eine ganz neue Seite an ihm, die mich meinen Anruf sofort bereuen ließ. „Ich… wollte nur…“, nahm ich Anlauf, denn sein ungewohnt unfreundlicher Ton hatte mir buchstäblich den Atem genommen. „Ich wollte nur fragen, ob irgendetwas ist? Du hast dich nicht mehr gemeldet… Und ich wusste nicht…“. Ich ärgerte mich selbst über mein Stottern. „Es bleibt schon bei dem, was wir ausgemacht hatten, richtig?“, brachte ich schließlich heraus.

Die Angst in meiner Stimme war wohl nicht zu überhören. Und sie wuchs mit jeder Zehntelsekunde, die ich auf die Antwort warten musste. „Alma, mach dir keine Sorgen“, kam es endlich, wenn auch nicht so zärtlich, wie ich das gewohnt war, „natürlich gilt das noch. Aber ich sagte dir doch, dass ich noch ein bisschen Zeit brauche!!“. – Letzteres klang nun wieder zusehends ärgerlich und fast vorwurfsvoll. „Und jetzt grad ist es ziemlich ungelegen. Ich muss aufhören.“ „Oh, ja klar. Es tut mir leid, entschuldige…“, beeilte ich mich zu sagen, aber da hatte er schon aufgelegt. Meine Kehle schnürte sich zu, aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass er wohl grad sehr beschäftigt war und die „Verhandlungen“ mit Wanda, mit der er ja seit geraumer Zeit zusammenlebte, sich sicher nicht einfach gestalteten.

Ich zog mich in mein Zimmer zurück und versuchte, mich auf die Auswahl meines Outfits für den Abend zu konzentrieren: Heute stand der Junggesellinnen-Abschied auf dem Programm. Als die Entscheidung gefallen war, ging ich in die Küche, nahm die zuvor besorgte und perfekt gekühlte Sektflasche aus dem Kühlschrank, schnappte mir zwei Gläser und klopfte an Beas Tür. Es war Zeit, zum letzten Mal das übliche Ausgeh-Ritual zu starten. Renate würde erst später zu uns stoßen, also hatten wir alle Zeit der Welt für unseren institutionalisierten Anzieh-, Frisier-, Schmink- und Trink-Ablauf.

Bea öffnete, und ich sah, wie sich hinter ihr auf dem Boden Hosen, Röcke, Blusen und Kleider stapelten. Ich stutzte – Bea war sonst ein sehr ordentlicher Mensch, der Kleidung immer sehr gut behandelte – außer, es handelte sich um meine. Sie blickte von der Flasche zu den Gläsern und zu mir und dann auf den Stapel hinter sich. Zuletzt sah sie an sich selbst hinunter und strich sich mit der Hand über den Bauch, der sich ein wenig vorwölbte, wie mir jetzt auffiel. „Mir passt nichts mehr!“, beklagte sie sich, „mein Bauch ist zu dick!“. Ich musste lachen: „Dann muss ich dich wohl für die nächsten Tage auf Diät setzen, damit du auch sicher in dein Hochzeitskleid reinpasst“, feixte ich. „Das wird nicht viel nützen“, antwortete Bea trocken. „Aber sicher, mein Schatz, zwei Tage Nulldiät, und dein zusätzliches Kilo ist runter! Wäre ja nicht das erste Mal“, versuchte ich sie zu beruhigen und wollte uns einschenken.

„Setz dich“, sagte Bea, und zog mich mit sich auf ihr Bett. Auf einmal hatte sie feuchte Augen. „Du musst dieses Mal den Sekt wohl alleine trinken.“ „Ach geh! So viele Kalorien hat der doch nicht…“ Bea nahm mir Flasche und Gläser aus der Hand und schenkte ein. Nur ein Glas, das sie mir reichte. „Alma, stoß auf mich an!“, forderte sie mich dann auf, „Ich werde Mama!“. Ich schaute verständnislos. Die Worte hatte ich zwar vernommen, aber den Zusammenhang mit Bea in meinem Gehirn irgendwie nicht herstellen können. „Hallo!!?? Ich bin schwanger!“, rief Bea jetzt, zunehmend ungeduldig. Endlich klickte es bei mir, ich stellte das Glas nieder und umarmte Bea stürmisch. „Wie schön!!!“, quietschte ich jetzt drauflos, „Das ist ja toll!!!! Wann ist es denn soweit? Ist es ein Mädchen oder ein Junge? Wie wird es denn heißen? Geht es dir gut?“. Bea lachte: „Immer mit der Ruhe! Ich weiß es doch erst seit heute morgen ganz sicher… Und Paul habe ich es auch noch nicht erzählt. Das bleibt noch für heute unser Geheimnis, ja?“.

Ich umarmte sie wieder – dieses Mal vorsichtiger, denn ich wusste nicht so recht, wie man mit einer Schwangeren umgehen sollte. Dann trank ich in einem Zug mein Glas aus. Denn mir wurde schlagartig bewusst, dass diese Schwangerschaft auch für mich große Konsequenzen haben würde. Meine beste Freundin wurde Mutter und startete in einen neuen Lebensabschnitt. Und ich war immer noch hier, am selben Fleck, wie so oft in Warteposition auf einen Mann… Irgendwie schafften wir es, unter Lachen und Tränen, Fragen und Antworten, Mutmaßungen und Fakten-Checks, uns anzuziehen und für den Abend fertigzumachen. Als wir das Ergebnis im Spiegel begutachteten, nickten wir beide zufrieden: Uns blickten zwei hübsche junge Frauen entgegen, die eine schwarz und kurzhaarig mit einem undefinierbaren Strahlen, die andere blond und langmähnig und vielleicht schon etwas beschwipst. Da Bea nicht mittrank, hatte ich nämlich so nebenbei eine halbe Flasche Sekt alleine geleert.

Als wir beim ersten Ausgehlokal ankamen, wartete Renate bereits am Eingang auf uns – übrigens genauso aufgebrezelt wie wir. Sie hakte Bea und mich unter, und gemeinsam traten wir ein – drei Mädels, fest entschlossen, sich gnadenlos zu vergnügen. Und so war es denn auch, denn die Tatsache, dass Bea keinen Schluck trank, tat unserem Spaß keinerlei Abbruch. Vor Renate rechtfertigte sie ihre Abstinenz mit einer leichten Magenverstimmung. Dafür wurden Renate und ich mit jeder Station unseres Abends lustiger und ausgelassener, was wiederum Bea unheimlich amüsierte.

Noch heute erzählt sie Anekdoten über diesen Junggesellinnen-Abschied, die sich absolut meiner Erinnerung entziehen. Manchmal habe ich den Verdacht, sie hat diese Episoden nur erfunden, um mich zu provozieren. Doch dann dämmert ab und zu doch wieder eine kurze Szene aus dem Dunkel herauf, und ich unterlasse es lieber, ihr zu widersprechen. Was ich aber ganz sicher noch weiß, ist, dass wir im letzten Lokal, unserem geliebten „Filou“, dem Schicksal begegneten. Das Schicksal hieß Serge, war schlank, blond, nicht ausnehmend groß, Komparatistikstudent und trug Brille. Aber die herausstechendste Eigenschaft an ihm war sicherlich seine große Klappe.

Serge saß am Tisch neben uns inmitten von anderen Studenten, die sich allesamt in einer Sprache unterhielten, die mir nicht geläufig war, und sah dauernd zu mir rüber. „Flämisch“, meinte schließlich Renate fachfraulich, nachdem sie eine Weile lang gelauscht hatte. Aufgrund seiner äußeren Merkmale fiel mir Serge zunächst gar nicht sonderlich auf, und ich ignorierte auch seine Blicke geflissentlich – dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass er ganz und gar nicht meinem Beuteschema entsprach. Ich aber offensichtlich seinem. Und deshalb wollte er das mit dem Ignorieren nicht gelten lassen. Angefeuert von seinen Tischgenossen stand er auf, kam zu uns rüber, und gab mir eine schallende Ohrfeige. Ich sah ihn fassungs- und wortlos an – was mir heute natürlich nicht mehr passieren würde –, und er strahlte zufrieden über beide Ohren, als hätte er mir gerade eine Liebeserklärung gemacht.

Auch Bea und Renate waren offenbar zu überrascht, um zu reagieren, denn von ihnen kam, genauso wie von mir, zunächst nichts. „Na siehst du? Jetzt hast mich endlich registriert!“, sagte Serge mit einem sehr niedlichen und etwas nuschelnden Akzent, wie ich im Unterbewusstsein registrierte. „Muss man bei dir immer so drastisch sein, damit du einen anschaust?“ Es folgte wieder ein Grinser, und nun löste ich mich endlich aus meiner Schockstarre. Um ein Haar wäre ich auf ihn losgegangen. Natürlich tat ich das nicht, aber ich erklärte ihm in aller Deutlichkeit, was ich von seiner Aktion hielt. Möglich, dass dabei auch ein paar unfeinere Wörter fielen wie „Idiot“, „Prolet“, „keine Kinderstube“ oder „verschwinde“. Das tat er allerdings nicht, im Gegenteil. Sein Lächeln wurde immer breiter, offensichtlich gefiel ihm mein Temperamentsausbruch ausnehmend gut. Dass er alles andere als auf den Mund gefallen war, bewies er mir dann in seiner Gegenrede, in der er mir darlegte, warum Mann manchmal mit Nachdruck auf sich aufmerksam machen muss, wenn Frau offensichtliche Werte nicht zu schätzen weiß.

Bea und Renate blieb der Mund offen stehen, als sie feststellen mussten, dass dieser ungehobelte Typ vom Nebentisch mit seiner ungewöhnlichen Taktik genau das erreicht hatte, was er gewollt hatte – er befand sich nun mittendrin in der schönsten Diskussion mit mir. Die schließlich – eine weitere Flasche Schlumberger später, die auf seine Kosten ging – damit endete, dass ich ihm meine Telefonnummer gab. Das reichte Bea, sie schüttelte entsetzt den Kopf, zog mich hoch und meinte: „Es ist Zeit zu gehen, Alma!“

Wie ich nach Hause gekommen bin, kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Aber an das Kopfweh am nächsten Tag noch ganz genau.

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Bettina Maria König

Bettina König wuchs als Tochter eines tüchtigen Apothekers im sehr fernen Außerfern auf, wo es ihr aber bald zu kalt und provinziell wurde. Sie flüchtete nach Innsbruck und mutierte via Studium zum Dr. phil., um postwendend in die Riege der „Tirol Werber“ aufgenommen zu werden. Als das Bedürfnis nach Wärme noch größer wurde, nahm sie eine Stelle als Presseverantwortliche in Bozen an – nicht ahnend, dass es dort mit der Provinzialität noch schlimmer bestellt ist als im heimatlichen Reutte. Dem Berufsbild des professionellen Schreiberlings treu bleibend, durchlief sie in Südtirol mehrere Positionen und war zwischendurch auch freiberuflich als PR-Fachkraft, Journalistin und Texterin tätig. Das Bedürfnis nach kreativem Schreiben befriedigte sie unter anderem durch die Herausgabe eines Kinderbuchs („Die Euro-Detektive“) für eine Südtiroler Bank. Derzeit zeichnet sie für die Unternehmens-Pressearbeit von IDM Südtirol verantwortlich, hat die kreative Schreiblust aber immer noch nicht gebändigt. Zwei erwachsene Kinder.

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