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Bettina Maria König
Frühstück mit Tiffany
Fortsetzungsroman

Franco hielt Wort. Für ihn waren seit unserem Kuss vor seiner Garderobe die Dinge  klar. Mit der größten Selbstverständlichkeit kreuzte er am nächsten Tag in meinem Büro auf, umarmte mich und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Dass dabei die halbe Belegschaft interessiert durch die Tür starrte, die er offengelassen hatte, und an dieser Handlung Anteil nahm, kümmerte ihn nicht im mindesten.

Mich allerdings schon, denn da draußen stand auch Herr Horvath, gerade im Gespräch mit der molligen Chefsekretärin des Verlags. Ich schob Franco also aus der Tür und murmelte was von zusammen Mittagessen. Er strahlte, nickte glücklich und schickte mir einen Luftkuss, bevor er mit federndem Gang in Richtung seines Büros weiterzog. Ich musste grinsen.

Ich setzte mich wieder an meinen Schreibtisch und versuchte, mich auf den Auftrag zu konzentrieren, den mir der Herr Cheflektor in der Früh auf seine gnädig-herablassende Art erteilt hatte, gleichzeitig mit der Forderung nach einer Melange – „aber presto, bittschön, wann S‘ wissen, wos i maan“. Der Auftrag bestand in einem Absagebrief an einen hoffnungsvollen Schriftsteller-Anwärter; er hatte dem Verlag ein Manuskript zugesendet, dass Herrn Horvath offensichtlich nicht gemundet hatte. Immerhin hatte er mir aufgetragen, mit Fingerspitzengefühl vorzugehen.

„Man waaß ja nie“, meinte er. Und das ist nun eines von den Argumenten, denen sich keiner entziehen kann. „Vielleicht londet der Trottel bei an ondern Verlog und donn muss i‘ eam no obwöhln…“, setzte er noch hinzu.

Fingerspitzengefühl hätte ich eigentlich genug aufgebracht, denn mit einem angehenden Schriftsteller konnte ich gut mitfühlen. Wenn auch (noch) nicht mit einem abgewiesenen. Aber ich konnte mich an diesem Tag nicht wirklich konzentrieren. Ich musste immer an den Abend bei Franco denken, an seinen Auftritt vorher – und an ihn. So peinlich es gewesen war, vor der halben Verlagsmannschaft geküsst zu werden – irgendwie hatte es mir auch gefallen. Das war nun mal endlich ein Mann, der zu mir stand und wusste, was er wollte. Und der mitten im Leben stand, nicht so wie Serge, der sich permanent treiben ließ und irgendwie noch ein halbes Kind war. Wieder machte meine Verwirrung dem warmen Gefühl Platz, das ich schon am Vorabend empfunden hatte.
„Das ist ein Mann zum Ankommen“, schoss es mir durch den Kopf, und der Gedanke war schön.

Franco holte mich pünktlich zum Mittagessen ab und führte mich in ein kleines, aber feines Restaurant in der Nähe, an dem ich immer mit einem bedauernden Achselzucken vorbeigegangen war. Es war einfach nicht in der Preisklasse einer Cheflektoren-Assistentin. Wir speisten vorzüglich, und Franco unterhielt mich mit einigen Schnurren über diverse seiner gelinde gesagt etwas schrulligen Autoren.

Ich staunte, wie sehr sich dieser Mann seit gestern verändert hatte. Seine Schüchternheit schien wie weggewischt, obwohl er heute vollkommen nüchtern war, und auch seine Redehemmung existierte nicht mehr. Er plauderte, was das Zeug hielt, stellte Fragen, gab Antworten, hakte nach, argumentierte, debattierte. Und das alles nur dank eines einzigen Kusses, der offenbar seine Unsicherheit mir gegenüber in Gewissheit verwandelt hatte. Versteh einer die Männer…

Das einzige, was noch so war wie vor unserem Abendessen, waren seine Blicke, mit denen er mich buchstäblich aufsog. Ich berichtete ihm gerade über den delikaten und meiner Meinung nach vor Einfühlsamkeit nur so strotzenden Antwortbrief, den ich am Vormittag verfasst hatte, da nahm er plötzlich meine Hand in die seine und legte mir den Zeigefinger auf den Mund.

Ich verstummte überrascht, und in die Stille hinein sagte er nur: „Oh Gott, bist du schön! Du bist viel zu schön für mich!“. Ich wurde rot, und weil ich nicht wusste, was man auf so etwas entgegnen soll, konzentrierte ich mich lieber wieder auf mein Essen. Mit vornehmer Zurückhaltung liegt man ja nie falsch. Innerlich ging sein Kompliment aber runter wie Honig. Das tat sooo gut!

Kurz blitzte in meiner Erinnerung ein gewisser J. auf, und ich fragte mich, wie er wohl reagieren würde, wenn er diese Szene hier miterlebt hätte. Aber sofort schob ich den Gedanken wieder beiseite. Ich wollte mir nicht den Triumph dieses Augenblicks durch diesen Idioten verderben lassen. Franco zahlte, und wir gingen wieder zurück zum Verlag – natürlich Hand in Hand -, wobei ich schätzungsweise 20 Zentimeter über dem Boden schwebte.

Es sollte nicht bei diesem einen Mittagessen bleiben. Es folgten viele weitere, und zudem Abendessen, Aperitifs und Kaffees. Franco erlaubte niemals, dass ich selbst die Rechnung beglich. Aber nicht auf die oberlässige, Casanova-hafte Art, die Ben beim Bezahlen meiner Konsumation immer an den Tag gelegt hatte. Sondern auf eine selbstverständliche, sehr bescheidene Weise. So, als würde er einfach seit seiner Abendessen-Einladung genau das leben, was er damals gesagt hatte: Dass ich nun die Seine war.

Tatsächlich lebte er das auch jenseits der Nahrungsauf- und Rechnungsübernahme. Mit derselben Selbstverständlichkeit und einer rührenden Natürlichkeit plante er seine Tage von nun an zu zweit und baute mich überall ein, wo es ihm möglich schien und er dachte, es könne mir Freude machen. Dabei integrierte er mich nicht nur einfach in sein eigenes Leben, sondern fragte regelmäßig auch meine Wünsche ab und setzte sie geflissentlich um.

So gingen wir also ins Kino, ins Theater, zu Lesungen und ins Kabarett, und sahen uns alte Schinken im Fernsehen an. Am liebsten meine heißgeliebten „Audrey-Hepburn“-Filme, die er sich geduldig mit mir zu Gemüte führte. Ich weiß bis heute nicht, wie er eigentlich zu diesem Genre steht. Am Wochenende gingen wir spazieren und unternahmen Ausflüge in die Umgebung von Wien, sodass ich endlich meine neue Heimat kennenlernte. Zuvor hatte ich immer nur lustlos zuhause gesessen und gelesen oder weiter an meinen romantischen Geschichten geschrieben, die dadurch langsam, aber sicher Richtung Buchformat mutierten.

Anfangs geriet ich ein wenig in Panik bei so viel Engagement; ich war es nicht gewohnt, ständig jemanden um mich zu haben und wenn nicht alles, so doch das meiste nur mehr zu zweit zu machen. Davon war ich mit Julian weit entfernt gewesen. Aber dann merkte ich bald, dass ich mich an Francos Seite sehr wohl fühlte und die gemeinsamen Unternehmungen kein unangenehmer Zwang, sondern eine wirkliche Bereicherung waren. Und das Schönste dabei war, dass mich Franco auf Händen trug und verwöhnte, wo er nur konnte. Er himmelte mich geradezu an. Was kann einer Frau Besseres passieren?

Naja, etwas schon. Denn es gab da eine Sache, die zum perfekten Glück fehlte und die ich mir einfach nicht erklären konnte: Außer Händchenhalten, ab und zu mal einen Kuss auf die Stirn und – wenn er ganz übermütig aufgelegt war – auch auf den Mund rührte mein neuer Freund mich nicht an. Stürmische Umarmungen, erotische Küsse, leidenschaftlicher Sex – Fehlanzeige, auch als ich schließlich auf ostentativ sexy Outfits zurückgriff und ihm Abende lang besonders eindeutige Blicke zuwarf oder zumindest solche, die ich damals für eindeutig hielt. Das half alles nichts, und weiter wollte ich nicht gehen. Denn mein Stolz ließ es nicht zu, hier den ersten Schritt zu tun.

Nun hatte schon ich mit dem Küssen beginnen müssen, den Rest sollte gefälligst er übernehmen, dachte ich. Da war ich entschieden altmodisch. Eine Frau ist eben eine Frau und will erobert werden – auf jeden Fall in diesem Bereich. Außerdem war ich es auch aus meinem Vorleben schlicht so gewohnt, dass hier der Mann vorangeht.

Aber von Franco kam nichts; niemals startete er auch nur den Versuch, bei mir zu übernachten. Und wenn ich abends bei ihm war, fragte er kein einziges Mal, ob ich über Nacht bei ihm bleiben wolle.

Zunächst dachte ich, es liege an mir. Aber dass mich Franco zu wenig anziehend finden könnte, schloss ich nach kurzer, logischer Überlegung kategorisch aus. So, wie er mich jedes Mal anstarrte, wenn ich vor ihm saß, war das nicht möglich. Dann überlegte ich mir, ob es vielleicht eine übertrieben katholische Prägung seinerseits war. So à la: kein Sex vor der Ehe. Aber von religiösem Eifer hatte ich jetzt eigentlich noch nie etwas an Franco bemerkt. Und seine Schüchternheit mir gegenüber hatte er doch inzwischen zur Gänze abgelegt. Was war es dann?

Ich zermarterte mir den Kopf, aber mir erschloss sich der Grund für sein Verhalten einfach nicht. Schließlich nahm ich all meinen Mut zusammen und sprach das Thema bei einem Sonntagnachmittag-Spaziergang im frühsommerlichen Prater ganz behutsam an.

„Duuuu….? Gefalle ich dir eigentlich?“, fragte ich ihn unsicher und traute mich nicht, ihn dabei anzusehen.
Franco schaute überrascht auf. „Wie meinst du das?“
„Naja… findest du mich attraktiv?“
„Aber natürlich, Amore!“ – bei den Kosenamen würden seine italienischen Wurzeln durchkommen, betonte er immer – „Wie kannst du denn so etwas fragen? Du bist wuuuunderschön, und ich finde dich uuuunheimlich attraktiv!“
Schweigen. Ich musste es einfach wissen. Ich musste nachhaken, auch wenn es demütigend war für mich. „Und warum willst du dann nie mit mir schlafen?“, platzte ich heraus.
Franco blieb wie angewurzelt stehen und sah mich so entgeistert an, als hätte ich ihm gerade eine Ohrfeige gegeben. Dann wurde er feuerrot. „Du…du…“, stotterte er.
„Ich…?“
„Du bist einfach zu schön für mich! Du bist eine Göttin! Ich kann dich einfach nicht angreifen. Ich verdiene dich nicht!“

Ich war gerührt. Ein Mann, der keinen Sex mit mir haben wollte, weil er mich zu schön fand! Das war mir nun auch noch nicht untergekommen. Ich nahm sein Gesicht in beide Hände, küsste ihn lange auf den Mund – natürlich mit Zunge, was er zögernd erwiderte, und sagte dann einfach: „Natürlich verdienst du mich! Und wie!“
Franco strahlte, wie nur er strahlen konnte. „Danke, Amore!“, sagte er leise, „das bedeutet mir viel, dass du das sagst. Ich liebe dich!“.
Und damit war das Thema für ihn offensichtlich beendet.

Ein paar Tage später kündigte er sich zum Frühstück an. Zuerst dachte ich, er meinte ein Frühstück nach einer gemeinsamen Nacht und freute mich schon, dass unser Gespräch wohl Früchte getragen hatte. Aber dann wurde schnell klar, dass er nicht vorhatte, bei mir zu übernachten, sondern nur zu essen. Ein etwas merkwürdiger Wunsch, aber mir sollte es recht sein. Gut Ding hat eben Weile, und Geduld ist die Tugend der Könige. Mehr fiel mir an Sprichwörtern grad nicht ein, um mich zu trösten. Immerhin hatte Franco angekündigt, frische Croissants und Coffee-to-go mitzubringen – „so wie im Film!“, meinte er und zwinkerte bedeutungsvoll. Franco wusste natürlich, dass „Frühstück bei Tiffany“ einer meiner Lieblingsfilme war.

Er kam um halb acht. Es war ein regnerischer Samstagmorgen, die gesamte restliche WG lag noch im Tiefschlaf, und wenn ich ehrlich war, hätte auch ich mich lieber noch ein wenig in mein warmes Bett verkrochen. Aber nichts da, keine Chance.

Franco war auffällig munter und deckte pfeifend den Tisch. Er holte das „gute“ Geschirr heraus, also das von Ikea, denn mehr hatte unsere WG nicht zu bieten, und zündete sogar eine Kerze an. Ich rieb mir seufzend den Schlaf aus den Augen, streifte meinen Morgenmantel über und versuchte meine blonde Lockenmähne mit einer Spange zu zähmen. Ein kurzer Blick in den Spiegel sagte mir, dass ich in meinem Leben schon repräsentativer ausgesehen hatte. Kommt davon, wenn man ein Date am frühen Morgen ansetzt, dachte ich trotzig. Musste er mich halt so ertragen. Missmutig ließ ich mich auf den Küchenstuhl plumpsen und nahm einen Schluck aus dem Pappbecher voll Kaffee, den er mitgebrachte hatte. Ich weiß ja nicht, wo Audrey Hepburn ihren damals erstanden hatte, aber dieser hier war erstens lauwarm und schmeckte zweitens so wie das Material des Behälters, in dem er sich befand.

Ich wollte gerade vorsichtig fragen, ob ich nicht selbst Kaffee machen solle, da erhob sich Franco feierlich, kam zu mir herüber und fiel geradewegs vor meinem Küchenstuhl auf die Knie. Dann fischte er aus seiner Hosentasche ein kleines, türkisfarbenes Schächtelchen. Oh mein Gott, diese Farbe kannte ich!

Und auch den eleganten Schriftzug, der auf die kleine Verpackung gedruckt war: Tiffany! Augenblicklich begann mein Herz wie wild zu klopfen. Ich blickte eine Weile zwischen dem Päckchen und Franco hin und her, bis er schließlich den Mund öffnete: „Du hast gesagt, ich verdiene dich. Das war das Schönste, was du überhaupt zu mir sagen konntest. Willst du meine Frau werden?“, flüsterte er mit einem starken Tremolo in der Stimme.

Dann klappte er mit einer dramatischen Geste die Schachtel auf, und darin glitzerte und funkelte er – der schönste Verlobungsring, den ich je gesehen hatte.

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Bettina Maria König

Bettina König wuchs als Tochter eines tüchtigen Apothekers im sehr fernen Außerfern auf, wo es ihr aber bald zu kalt und provinziell wurde. Sie flüchtete nach Innsbruck und mutierte via Studium zum Dr. phil., um postwendend in die Riege der „Tirol Werber“ aufgenommen zu werden. Als das Bedürfnis nach Wärme noch größer wurde, nahm sie eine Stelle als Presseverantwortliche in Bozen an – nicht ahnend, dass es dort mit der Provinzialität noch schlimmer bestellt ist als im heimatlichen Reutte. Dem Berufsbild des professionellen Schreiberlings treu bleibend, durchlief sie in Südtirol mehrere Positionen und war zwischendurch auch freiberuflich als PR-Fachkraft, Journalistin und Texterin tätig. Das Bedürfnis nach kreativem Schreiben befriedigte sie unter anderem durch die Herausgabe eines Kinderbuchs („Die Euro-Detektive“) für eine Südtiroler Bank. Derzeit zeichnet sie für die Unternehmens-Pressearbeit von IDM Südtirol verantwortlich, hat die kreative Schreiblust aber immer noch nicht gebändigt. Zwei erwachsene Kinder.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Walter Plasil

    Mir gefällt der schwungvolle, unprätentiöse Stil. …

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