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Bettina Maria König
Cucina italiana
Fortsetzungsroman

Franco öffnete mir die Türe in Jogginghosen – und ich hatte so etwas wie ein Déjà-vu. Aber nach dem ersten Schock erblickte ich hinter ihm einen sorgfältig gedeckten Esstisch in einem sorgfältig aufgeräumten und sehr schick und sicher wahnsinnig teuer eingerichteten Wohnzimmer, und mein Flash-back auf schlimme Zeiten verschwand wieder vor meinem geistigen Auge. Der verführerische Duft, der von der Küche her durch den Raum schwebte, tat noch ein Übriges dazu.

Franco half mir höflich aus dem Mantel, bot mir Gästeschlappen (!) an und deutete auf die Küchentür. „Das Essen ist noch nicht ganz fertig; leistest du mir beim Kochen Gesellschaft?“, fragte er.

Sekunden darauf fand ich mich mit einem Glas Weißwein in der Hand auf einem sicher wahnsinnig teuren Küchensessel in einer sicher wahnsinnig teuren Küche wieder, von wo ich hervorragende Aussicht auf den Koch und seine Aktivitäten hatte. Und wieviel Action er entwickelte! Franco kochte Nudeln, denn er gestand mir gleich bei der Ouvertüre, dass er italienische Wurzeln habe und von der Küche seiner Heimat restlos begeistert sei.
„Cucina italiana! Da kommt nichts auch nur annähernd ran!“, meinte er.

Und so wie es hier gleich aus mehreren Töpfen köchelte und duftete, konnte ich ihm nur rechtgeben. Vor allem seine – im wahrsten Sinne des Wortes – rührende Begeisterung war ausgesprochen ansteckend.

Franco mengte, mischte, verkostete, schmeckte ab, rieb Parmesan und versuchte gleichzeitig, mich zu unterhalten, was ihm nur relativ gelang; er war offenbar eines dieser männlichen Exemplare, die sich mit Multitasking schwer tun. Die Unterhaltung schleppte sich also etwas zäh dahin, am besten ging es noch, wenn ich Fragen zum Herstellungsprozess seiner Nudeln stellte – da war die Schere zwischen Tun und Sagen nicht zu groß. Ich bereute augenblicklich, der Essenseinladung zugesagt zu haben und mir schwante Schlimmes für den Rest des Abends.

Nach einiger Zeit des fleißigen Schaffens schüttete Franco schließlich den Inhalt der verschiedenen Töpfe ineinander, schwenkte alles noch ein bisschen und zauberte dann zwei liebevoll angerichtete Nudelportionen auf die vorbereiteten Teller.

Wir setzten uns an den Designer-Esstisch im Wohnzimmer, und er fing sehr andächtig an zu essen. So viel Inbrunst erschien mir lächerlich – schließlich handelte es sich in meinen Augen trotz allem nur um einen Teller Nudeln. Aber nach dem ersten Bissen musste ich meine Meinung revidieren: Ich hatte vorher kaum jemals eine so hervorragende und schmackhafte Pasta auf den Teller bekommen.

Als Pflanzen-Fachmann war Franco auch ein ausgesprochener Gewürze-Kenner, was sich ganz wunderbar auf die Qualität seiner Gerichte auswirkte, vor allem auf die soeben servierte Nudelsauce. Franco machte mich in Minutenabständen auf die verschiedenen Geschmacksnuancen aufmerksam, die sich mir beim Essen erschließen sollten, und ich antwortete mit vielen „Ahs“ und „Ohs“, die aus tiefstem Herzen – oder vielmehr Magen – kamen. Ansonsten redeten wir während der Mahlzeit nicht viel.

Er schenkte mir als aufmerksamer Gastgeber auch aus der Flasche Rotwein nach, die er bereitgestellt hatte, und auch das mundete ausgezeichnet. Der Wein löste offenbar auch  seine Zunge, sobald wir das Besteck zur Seite gelegt und uns zurückgelehnt hatten.

Es kam jedenfalls zu meinem großen Erstaunen und mithilfe einer weiteren Flasche Weines ein sehr interessantes und spannendes Gespräch zustande. Es schien so, als habe sich die seit Monaten andauernde Nervosität und Verklemmung, die bei Franco spürbar war, sobald er mich traf, dank der intimeren Atmosphäre seiner Wohnung (und vor allem der beiden Weinflaschen) völlig aufgelöst. Er stellte viele ganz und gar nicht banale Fragen nach meiner Herkunft und nach meinem bisherigen Leben. Für mich war das eine ganz neue Erfahrung, war ich es doch gewohnt gewesen, dass Männer vorwiegend von sich selbst erzählten und ein Rendezvous, das sich vorwiegend um sie und ihr Leben drehte, als besonders gelungen einstuften.

Während ich auf seine Fragen antwortete, starrte Franco mich unverwandt und mit unverhohlenem Entzücken an, aber das war ja nun nichts Neues für mich. Besonders interessierte ihn, warum es mich nach Wien verschlagen hatte. Ich blieb vage und deutete nur an, dass ich dringend einen Tapetenwechsel und neue Impulse nötig gehabt hätte. Franco akzeptierte diese Antwort höflich und fragte nur ganz beiläufig, dass ich dann wohl nicht verheiratet sei? Als ich verneinend den Kopf schüttelte, erhellte sich sein Gesicht merklich, und er entspannte sich noch weiter, sodass er seine höfliche Zurückhaltung gänzlich abgelegte und sogar begann, ein bisschen von sich selbst zu erzählen.

Franco kam aus einer wohlhabenden Familie, die ihn zu einem Wirtschaftsstudium gedrängt hatte. Das hatte er zwar brav absolviert, sich dann aber in einem wahren Akt der Revolution seiner wahren Berufung zugewandt, indem er zwei seiner Leidenschaften miteinander kombinierte: Bücher und Pflanzenwelt.

Dieser abrupte Berufswechsel hatte leider zur Folge, dass sich seine Familie vorläufig von ihm distanziert hatte. Oder besser: sein Vater, während seine Mutter ihm weiterhin wohlwollend zugeneigt blieb. Auf meine neugierige Nachfrage hin informierte er mich aber dahingehend, dass man ihn noch nicht enterbt habe und dass er weiterhin Zuwendungen von seiner Familie bekomme. Was wohl auch die tolle Wohnung in der besten Lage und die superteure Einrichtung erklärte.

Sobald er auf seinen Fachbereich zu sprechen kam, blühte Franco richtig auf. Ich betrachtete ihn beim Sprechen und fand es überaus sympathisch, mit welcher offensichtlichen Begeisterung er von Pflanzen sprach, deren Namen ich in meinem Leben noch nie gehört hatte. Seine Wangen begannen zu glühen, und er gestikulierte mit beiden Händen, um mir Dimensionen und Formen von Blumen anschaulich zu machen, die er besonders schön fand. So viel Leidenschaft beeindruckte mich. Und die Geschichten und Details, die er zum Besten zu geben wusste, waren tatsächlich überaus interessant. Es wäre mir niemals zuvor in den Sinn gekommen, dass die Pflanzenwelt ein so interessantes Terrain sein konnte.

Von den Blumen ging das Gespräch auf die Bücherwelt über, und Franco offenbarte mir, dass er für klassische Krimiliteratur von Patricia Highsmith bis Daphne du Maurier schwärme, aber auch ein Faible für italienische Schriftsteller habe, etwa für Alberto Moravia oder Umberto Eco.

Nichts, aber schon gar nichts gehe über den Humor von Giovanni Guareschi, meinte er dann, wobei er ein wenig rot wurde. Dieser habe tatsächlich noch weit Lustigeres und Hintergründig-Ironisches geliefert als „Don Camillo und Peppone“. Das ermutigte nun mich wiederum, meine Liebe zu Astrid Lindgrens Büchern, allen voran der „Kati“-Trilogie, zu gestehen. Was ich zuvor niemandem erzählt hatte, schon gar nicht Julian mit seinem elitär-hochstehenden Geschmack. Von hier war der Schritt zu einer angeregten Unterhaltung über das Leben im Allgemeinen und die Liebe im Besonderen nur mehr ein kleiner.

Nach vier Stunden und einer weiteren Flasche Wein – wir hatten kurzerhand auch meine geköpft – fand ich Franco bereits richtig süß. Er hatte eine so überaus nette, fürsorgliche Art. Wie er sich vorbeugte, wenn ich etwas erzählte, um kein Wort zu versäumen. Wie er aufmerksam nachschenkte, wenn mein Glas leer war. Wie er nachfragte, ob es mir gut gehe, wenn mein Blick ab und an in die Weite schweifte. Wie er mir beim Sprechen auf den Mund sah und mit dem Taschentuch einen Weintropfen wegtupfte. Und das alles, ohne auch nur im Mindesten aufdringlich oder anzüglich zu werden. Im Gegenteil: Er war vollkommen korrekt und machte auch bei der dritten Flasche Wein keinerlei Anstalten, mich zu küssen oder auch nur anzurühren. Das gefiel mir irgendwie. Aber ich muss zu meiner Schande gestehen: Es reizte mich auch sehr; ich fühlte mich als Frau sehr herausgefordert.

Und so kam es, wie es kommen musste. Als ich nach einer weiteren Stunde und drei Baileys schließlich zur Garderobe schwankte, um in meine Schuhe und in meine Jacke zu schlüpfen und mich auf den Heimweg zu machen, konnte ich nicht widerstehen: Ich ging zu Franco hinüber, der mit den Händen in den Hosentaschen an der Tür lehnte, nahm sein Gesicht in beide Hände und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Er schien überrascht, erwiderte den Kuss aber – wenn auch sehr schüchtern – und schlang seine Arme vorsichtig und liebevoll um mich.

Erst nach einer langen Weile ließ er mich wieder los, strich mir sanft über die Haare und gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Jetzt bist du die Meine“, sagte er leise. „Ich lasse dich nie wieder los, meine Schönheit!“ Die Worte umflossen mich wie Honig. „Gute Nacht!“, sagte ich leise und umarmte ihn noch einmal ganz fest. „Bis morgen!“. Dann schlüpfte ich hinaus.

Draußen im Stiegenhaus blieb ich stehen und presste mich gegen die Mauer. Der angenehme Schwindel und das beschwingte, kitzelige Gefühl, die mich die vergangenen Stunden umgarnt hatten, wichen für einen kleinen Moment, und ich erschrak: „Oh Gott, Alma, was hast du da gerade getan?“, durchzuckte es mich.

Denn eines war mir klar: Bei einem Mann wie Franco gab es kein Zurück. Der wusste genau, was er tat und vor allem, was er wollte; und das hier mit mir meinte er auf jeden Fall bitterernst. Ich wartete, bis der Schreck abebbte. Und zu meiner Verwunderung durchflutete mich danach augenblicklich ein warmes, inniges Gefühl der Zufriedenheit. Vielleicht war es Zeit.

Zeit, anzukommen und zu jemandem zu gehören, der mich wirklich wollte. Zu Franco.




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Bettina Maria König

Bettina König wuchs als Tochter eines tüchtigen Apothekers im sehr fernen Außerfern auf, wo es ihr aber bald zu kalt und provinziell wurde. Sie flüchtete nach Innsbruck und mutierte via Studium zum Dr. phil., um postwendend in die Riege der „Tirol Werber“ aufgenommen zu werden. Als das Bedürfnis nach Wärme noch größer wurde, nahm sie eine Stelle als Presseverantwortliche in Bozen an – nicht ahnend, dass es dort mit der Provinzialität noch schlimmer bestellt ist als im heimatlichen Reutte. Dem Berufsbild des professionellen Schreiberlings treu bleibend, durchlief sie in Südtirol mehrere Positionen und war zwischendurch auch freiberuflich als PR-Fachkraft, Journalistin und Texterin tätig. Das Bedürfnis nach kreativem Schreiben befriedigte sie unter anderem durch die Herausgabe eines Kinderbuchs („Die Euro-Detektive“) für eine Südtiroler Bank. Derzeit zeichnet sie für die Unternehmens-Pressearbeit von IDM Südtirol verantwortlich, hat die kreative Schreiblust aber immer noch nicht gebändigt. Zwei erwachsene Kinder.

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