Print Friendly, PDF & Email

Elias Schneitter
Ein gutes Pferd zieht noch einmal.
Fortsetzungsroman
Folge 7
Es wird Hochzeit gefeiert.

Zwei Menschen auf der Suche nach etwas Glück. Eine Geschichte, getragen von Elias Schneitters – bei aller kritischen Distanz – warmherziger Empathie für die sogenannten einfachen Leute, denen auch noch unter den schwierigsten Umständen die Möglichkeit eines zuletzt guten Lebens erhalten bleibt.

Hintergrund der Erzählung ist die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Krieg. Die Ehe der beiden Hauptpersonen steht unter keinem guten Stern. Trotzdem stellen sie sich den Fährnissen des Schicksals, getrieben von der Sehnsucht nach einem halbwegs menschenwürdigen Dasein, nach etwas Wohlstand, vor allem aber nach ein wenig Freundschaft und Liebe.


7.Kapitel 

Im November 1949, an einem kalten, regnerischen Tag, wurde geheiratet und eine Nachbarin meinte damals trocken: „An so einem Tag jagt man nicht einmal einen Hund vor die Tür, geschweige denn, dass man sich verheiratet.“

Meine Mutter hatte sich zwar den Gegebenheiten gebeugt, aber sie wäre nicht sie gewesen, wenn nicht doch noch ein kleiner Rest an Widerstand in ihr aufgeflammt wäre.

Darum verlief die Hochzeit nicht ohne kleine Pikanterie. Weiterhin hatte sie hinter dem Rücken meines Vaters ihren Kontakt zu ihrem Liebhaber fortgeführt. Sie trafen sich immer wieder heimlich in der Stadt. Am Hochzeitstag vor dem Traualtar trieb es ihr die Hitze in den Kopf, denn sie wusste, dass von der Empore aus ihr Geliebter die Trauung mitverfolgte und dort mit den Tränen zu kämpfen hatte. Er hatte ihr trotz der Schwangerschaft immer wieder Heiratsanträge gemacht.

Aber darin sah meine Mutter keine Möglichkeit und lehnte jedes Mal ab. Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten schaffte sie es nach Absprache mit ihrer Freundin, ihren Geliebten in dessen Wohnung und im Brautkleid kurz zu treffen. Dafür nutzten sie und ihre Freundin das traditionelle Brautstehlen. Während der Großteil der Hochzeitsgesellschaft schon betrunken war, warteten sie einen günstigen Augenblick ab, um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Erleichtert wurde dieses Vorhaben auch dadurch, dass meine Eltern eine Doppelhochzeit feierten, denn auch eine Schwester meines Vaters sollte am gleichen Tag in den Hafen der Ehe verfrachtet werden.

Diese Entscheidung hatte meine Großmutter getroffen. Als sie von der Schwangerschaft meiner Mutter erfahren hatte, dachte sie natürlich sofort an Hochzeit. Sie dachte sogar noch einen Schritt weiter. Eine ihrer Töchter stand ebenfalls in einem festen Verhältnis, und obwohl diese noch nicht in anderen Umständen war, schritt Großmutter zur Tat.

Ihr zwei teilt ohnehin schon die Bettstatt und Schweine müssen sowieso für die Hochzeit geschlachtet werden, also erledigen wir die Geschichte gleich unter einmal! – war der Ratschluss der klugen Frau.

Die Hochzeit fand im Gasthaus zur Brücke statt. So kurz nach dem Krieg war es üblich, dass das Fleisch für die Wiener Schnitzel von den Hochzeitern, in diesem Fall von den Großeltern, gestellt wurde, und nur die Getränke vom Wirtshaus verrechnet wurden, ebenso die Zubereitung der Mahlzeiten.

Am unteren Ende der Franz-Plattner-Straße gehörte meinen Großeltern ein langgezogener Acker, den sie meinem Vater und seinen beiden jüngeren Brüdern Othmar und Franz für den Bau eines Eigenheimes zur Verfügung stellten. Auf diesem hatte mein Vater als Erster bereits vor zwei Jahren mit dem Hausbau begonnen, wobei die gesamte Familie und alle Freunde und Bekannten beim Bau im Einsatz waren.

Ein großes Problem zu jener Zeit war die Beschaffung von Baumaterial. Holz und Schotter waren kein Problem. Schwieriger war es, Bauziegel zu bekommen. Aber hier hatte mein Großvater noch seine Beziehungen zum Gefängnis, zum Ziegelstadel, wie er im Volksmund auch hieß. So wurde diese Angelegenheit mit Gefängnisdirektor Gstättner, der auch nach dem Krieg im Dienst stand, gelöst. Die Bezahlung des Materials erfolgte zum überwiegenden Teil mit Naturalien, Kartoffeln, Butter, Speck, über die mein Großvater mit seiner Landwirtschaft verfügte. Jedenfalls kümmerte sich der Gefängnisleiter Dr. Gstättner darum, dass mein Vater und später auch die beiden Brüder genügend Ziegelsteine zur Verfügung hatten.

So konnte meine Mutter nach der Hochzeit in ein fast fertiges, neues und eigenes Haus einziehen, was für die damalige Zeit ein großes Privileg darstellte.

Für Mutter bedeutete es aber nichts. Sie hatte keine Vorstellung, wie sie mit ihrer neuen Situation umgehen sollte, außer dass sie in eine große Apathie verfiel. Ihre Schwangerschaft bereitete ihr körperlich wenig Probleme. Sie litt weder an Übelkeit noch anderen Beeinträchtigungen. Sie nahm nur an Gewicht zu. Das war alles.

Der Vater ging fleißig der Arbeit nach. Die Mutter bevorzugte es zumeist, den halben Tag im Bett zu liegen. Sie langweilte sich zu Tode, unternahm Spaziergänge mit ihrer Freundin, hatte hin und wieder ihre geheimen Treffen in der Stadt, die einzigen kleinen, zugleich aber hoffnungslosen Glücksmomente der damaligen Zeit.

Die Hausarbeit erledigte sie mehr schlecht als recht oder meistens überhaupt nicht. Wenn Vater zu Mittag oder am Abend nach Hause kam, stand meist kein Essen auf dem Tisch und auch nicht auf dem Herd.

Vater war verliebt, sodass es deswegen keine Vorwürfe gab. Wenn er gelegentlich eine Bemerkung fallen ließ, dann brachte meine Mutter die Schwangerschaft ins Spiel, die ihr angeblich zu schaffen machte, und die Sache war erledigt.

Natürlich spürte Vater die Ablehnung, aber das führte er auf die anderen Umstände zurück und er hoffte auf die Zukunft. Er zeigte volles Verständnis. Mutter suchte ihn von sich fernzuhalten. Natürlich ging das nicht immer.

Sie hatte Vater sehr bald durchschaut, wusste, wie sie ihn behandeln musste. So machte meinen Vater nichts glücklicher als ein anerkennendes Wort, ein kleines Lob. Da war er wie ein kleines Kind. Das wusste meine Mutter nur zu genau und oft nutzte sie diese Möglichkeit und mein Vater war der glücklichste Mensch. Das machte ihn zufrieden und Mutter hatte ihre Ruhe und sie konnte sich wieder in ihre Teilnahmslosigkeit flüchten.

Im Juni kam Annemarie zur Welt. Meine Mutter hatte damals kaum eine Beziehung zu ihr. Sie empfand ihr Kind vor allem als Belastung. Einmal war sie bei der Mütterberatung, und als sie die Beratungsstelle verließ, merkte sie erst vor dem Haus, dass sie Annemarie drinnen einfach vergessen hatte.

Vater hatte eine Arbeitsstelle in der Stadt bei der Firma Schleinzer und meine Mutter war jeden Tag froh, wenn er aus dem Haus war, und ihre Freude hielt sich in Grenzen, wenn er wieder zurückkehrte.

Zu allem Unglück wurde Mutter drei Jahre später dann auch noch ein weiteres Mal schwanger. Es war eine Katastrophe für sie. Hinzu kam, dass ihre zweite Schwangerschaft ganz anders verlief als ihre erste. Die ganze Zeit, nicht nur die ersten drei Monate, war ihr übel. Das ging so weit, dass sie in ihrer Schürze stets einen Becher mit sich trug, da sie sich andauernd übergeben musste und zumeist nicht einmal mehr die Toilette erreichte.

Ich kam im Hochsommer, Anfang August, zur Welt. In den frühen Morgenstunden merkte sie, dass die Entbindung bald losgehen würde. Sie versuchte das vor meinem Vater zu verheimlichen. Sie wollte, dass er bei der Niederkunft nicht im Haus war, sondern an seiner Arbeitsstelle. Sie schickte ihn geradezu weg, dass er pünktlich den Zug erreichen sollte.

Kaum war der Vater auf dem Weg in die Arbeit, wurde die Hebamme gerufen. Die Kinder meiner Großeltern waren zumeist hellhäutig und rothaarig. Zu jener Zeit wurde das noch als Makel betrachtet. So sah das auch meine Mutter und darum war ihre erste Frage, die sie nach der Geburt der Hebamme stellte, ob ich rothaarig sei. Das war ihr in diesem Moment wichtiger als die Frage, ob alles in Ordnung wäre.

Die Hebamme konnte gleich beruhigen, denn ich hatte zwar helles Haar, aber auf den ersten Blick war ich kein Rotschopf. Die Freude bei meinem Vater über seinen Stammhalter war groß und er sollte diesen mit seinen Freunden nicht weniger als drei Tage lang feiern, und ich erhielt auch noch den Vornamen meines Großvaters Elias, der diesen auch von seinem Großvater bekommen hatte.

Ich war ein Kind mit einem großen Kopf und brachte viereinhalb Kilo auf die Waage. Jedenfalls verstand man unter einem entzückenden Neugeborenen etwas anderes. Auch gebärdete ich mich ganz anders als meine Schwester.

Annemarie war ein folgsames Kind, unauffällig, und häufig verkroch sie sich unter einem Bett, sodass meine Mutter sie oft suchen musste. Bei mir war das völlig anders. Ich schlief keine Nacht durch, schrie wie am Spieß und besonders schlimm wurde es, nachdem ich die vorgeschriebenen Impfungen erhalten hatte.

Mit meinem Gebrüll fiel ich Mutter manchmal so auf die Nerven, dass sie mich am liebsten aus dem Fenster geworfen hätte. Einmal unternahmen Mutter und ihre Freundin Agnes einen Spaziergang entlang des Innufers. Auch Agnes hatte ihren Älteren dabei, der ruhig und gleichgültig im Kinderwagen saß, während ich wieder ein Gebrüll vom Stapel ließ und nicht zu beruhigen war. Zu allem Überfluss verbreiteten sich auch noch entsprechende Düfte, weil ich die Stoffwindeln vollgeschissen hatte.

Das brachte meine Mutter so außer sich, dass sie mir die Windeln vom Hintern riss und sie in hohem Bogen in den Fluss warf und wütend meinte: Dieser Hosenscheißer hat mir noch gefehlt!

Hinzu kam, dass ich nicht nur ein dickes Kind war, sondern auch noch schielte.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

Schreibe einen Kommentar