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Markus Fenner
Amassas Zeit
18. Folge
Brunftverhalten der Stichlinge

Die „68er Jahre“ in der Vorarlberger Provinz: die weltweiten Aufbruchsbewegungen erreichen auch das Jesuiten-Internat „Regina Caeli“ als fernes Rauschen. 

In der geschlossenen Kollegs-Welt brüten die Zöglinge Anderl, Hugo und der Schmale einen vertrackten Verweigerungs-Trip aus. Er soll sie nicht etwa zu sich selbst, sondern zur Aufhebung ihres Ichs führen.

Mehr ein Kind dieser schwärmerischen Zeiten ist die Maturantin Anna. Beharrlich sucht sie nach dem Ansatz für ein wahrhaft selbstbestimmtes Leben.

In der Disco erleben Anderl und der Schmale gegen jede Wahrscheinlichkeit einen glorreichen Abend; eine neue Bekanntschaft, obwohl Mädchen, zeigt nahezu amassanische Ansätze.


Ihre Freundin blickte missbilligend. Doch jetzt kam der Schmale über sie, in dem die neue Tanzerfahrung und der wiedergekehrte Amassa vibrierte. Er rückte zu ihr heran und sprach mit raunender Stimme auf sie ein; „mit mir ins Wesenlose tanzen“ verstand Anderl nur. Gespannt beobachtete er, wie die Freundin sich Mühe gab und besonders steinern dreinschaute. 

Doch gegen diese raunend sprechende Glut, deren Abstrahlungen bis zu Anderl drangen, gegen diese schmelzenden Tieraugen, diese tanzenden Circumflexe der Augenbrauen war Widerstand zwecklos. Plötzlich begann sie zu lächeln, der Schmale zog sie sanft und kraftvoll empor und führte sie zur Tanzfläche. Anderl sah ihm stolz nach. Das hatte er sich doch gedacht, dass beim Schmalen kein Auge trocken blieb…

„Hübschen Freund hast du“, sagte neben ihm die belegte Stimme mit dem kleinen Bruch in der Mitte. Anderl nickte strahlend. „Aber wirklich… weißt du, ich erlebe ihn zum ersten Mal in Aktion!“
Er räusperte sich, erstaunt über seine Offenherzigkeit. „Bist du interessiert? Das lässt sich bestimmt machen“
Sie sah ihn kalt an. An ihren Wangenknochen war eine kleine Röte aufgetreten. „Danke, zu gütig!“
Plötzlich grinste sie, strich die helmförmig geschnittenen Haare zurück und sah ihn an; das Grinsen wurde frech, ihre Augen über den ausgeprägten Jochbeinen schlitzten sich geradezu.
„Weißt du, ich schau mich erstmal noch ein bisschen um“.

Anderl war unklar irritiert und wandte sich zur Tanzfläche, wo der Schmale weiterhin sehr gut mit der Freundin zurechtkam. Sie lachte gerade aus vollem Hals über die bizarre Figur, zu der er sie verführen wollte.
„Hör mal, dieser Amassa“, sagte die Stimme neben ihm, „wenn er nicht Amassa heißt, warum heißt er dann Amassa?“
Anderl spürte einen kleinen Freudenschreck. Er nickte gewichtig.
„Das ist eben das Geheimnis – er heißt, wie er nicht heißt. Das ist das Allerwichtigste! Was sagt der Amassa denn damit? Er sagt genau das Gegenteil wie der Dings… der Pathetiker vom Sinai“
„Wer?…. Ach so!“ – Sie lachte.
„Genau! Der behauptet doch in seiner verkrampften Art – Ich bin, der Ich bin! Der Amassa sagt aber: Ich bin, der ich nicht bin! Verstehst du? Der trumpft nicht mit sich auf, der leugnet sich. Und das ist doch wahrscheinlicher. Meiner Ansicht nach ist das eh die einzige Chance.“ Anderl brach ab.
„Welche Chance?“.
Anderl sah schweigend zur Decke.
„Hör mal, geht es vielleicht auch ohne Kunstpausen?“
„Die Chance, daß ich ein anderer ist“, sagte Anderl, als würde er es von der Decke ablesen. Das Mädchen lächelte.
„Klingt sehr literarisch. Gehts normalerweise nicht darum, dass man möglichst man selbst wird?“
Das sollte wohl ironisch sein? Anderl drehte sich ganz zu ihr herum, ließ einen unverschämten Blick über sie wandern und sagte lässig: „Bitte, wenn du meinst, dass das reicht“

Jetzt breitete sich das Rot über ihr ganzes Gesicht aus.
„Ich rede doch von Entwicklung! Klar, was ich bin, das muss ich erst noch werden, wenigstens zum großen Teil!“
„Klingt ja hübsch“, sagte Anderl gedehnt, „aber das sagen sie alle, am Anfang…und was werden sie? Würstchen! Danke“.
Er fuchtelte mit der Zigarette, die er aus ihrem Päckchen genommen hatte. „Ich bin auch für Entwicklung, aber bitte nicht von dem, was in mir steckt“
„Du spinnst doch! Was soll das denn werden… die Entwicklung von Nichts zum Nichts oder was?“
Anderl hob die Arme. „Muss nicht unbedingt so kommen. Außerdem bin ich lieber ein Niemand als ein würstchengroßer Jemand!“
Das Mädchen schüttelte den Kopf. Dann kam ein Lächeln, sie griff nach den Streichhölzern und gab ihm Feuer.
„Du spinnst“, sagte sie leise. Anderl atmete Rauch aus, durch den sie ihn unverwandt ansah, und er spürte, dass ihm warm wurde; aber nicht unangenehm warm.

„Gestatten, darf ´ch dine Freundin zu dem Tanz bitten?“, sprach ein kehliges Organ von hinten in sein Ohr. Er fuhr zusammen, dass ihm die Zigarette aus der Hand fiel. Er tauchte hinab, das Miststück war unter die Bank gerollt. Als er damit wieder hochkam, ging das Mädchen schon folgsam hinter dem lokalen Gentleman zur Tanzfläche und grinste dabei derart zurück zu Anderl, dass die Augen über den Wangenknochen nur mehr Ritzen waren.

Anderl kicherte verlegen und blies die Fusseln von seiner Zigarette. Er nahm einen Schluck von seinem unberührten Bier und lehnte sich zurück. Es war ihm gar nicht unrecht, jetzt für sich zu sein. So viel gab es zu bedenken, den wiedergekehrten Amassa, die erstaunliche Leichtigkeit, mit der hier er über den Unsäglichen hatte sprechen können, so gut wie noch nie, wie er fand. Und das nicht nur mit einem Außenseiter, sondern auch noch einem Mädchen. Überhaupt, das Mädchen…

Dann dachte er doch nicht besonders viel, denn jetzt trat etwas, das ihn die ganze Zeit wärmend und tief vertraut im Hintergrund begleitet hatte, endlich nach vor. Nach den vorigen Experimenten spielte der Discjockey nur mehr hundertprozentig Populäres, wodurch die Musik aber nicht schlechter wurde. Im Gegenteil. Er legte eine Nummer der Beatles nach der anderen auf, oft nur einen Teil anspielend und machte das, obwohl ein Esel, ganz hübsch, wie Anderl fand. Es wurde ein richtiges Medley und Anderl war wieder ganz drin. So wie er von Anfang an in dieser Musik drin gewesen war, damals mit dreizehn, als er im Radio zum ersten Mal I want to hold your hand gehört hatte und danach durch die Wohnung gestolpert war, ganz außer sich, weil es so etwas noch nie, noch nie gegeben hatte und jetzt gab es das und er war mit dabei…

Es war mehr als sein erstes eigenes Erleben von Musik gewesen. In dieser Musik steckte etwas drin, Gefühle, die er so nicht gekannt hatte, weil sie mit dem Leben nach der Kindheit zu tun hatten, und im Hören war plötzlich klar, dass es seine eigenen Gefühle waren – ein Schritt aus dem Kindsein, den er zusammen mit Millionen anderen in dieser Musik tat. 

Doch die Musik war selbst in Bewegung. Die Beatles waren zugleich die populärsten und die progressivsten Vertreter des Pop-Ereignisses, sie gingen immer weiter über den engen Ursprungs-Rahmen ihrer Musik hinaus und jeder ihrer Schritte war der nächste Schritt von Millionen. Es war das erste weltbewegende Ereignis, das in Musik geschah und doch weit über Musik hinausreichte. Anderl war mitgegangen, jeden Schritt und zusammen mit allen anderen, bis zu jenem Magischen Sommer 1967, in dem Anderl in die Regina kam.

Währenddessen formierte sich das Pop-Ereignis endgültig außerhalb der Musik und formulierte sich als psychedelisch, borgte sich östliche Kategorien aus, wusste dann sogar, was es wollte love, dope and freedom. Das Ereignis zerfiel in Programme mit Begleitmusik.

Anderl, im Internat hockend, hatte dann nicht mehr viel dagegen, dass die Programme kosmostrunken, blumenzärtlich, massenfröhlich draußen blieben. Ihm blieb nur die Musik, die unbezwingbar auch in die Regina eingedrungen war, immer noch geliebt, in jedem Ton gekannt. Aber eben nur mehr Musik, ohne diese ungeheure Öffnung, die die Beatles ihm in den ersten Jahren geschenkt hatten, als er, das Ohr am Radio, spürte, wie in diesen Songs für ihn, für Anderl Amerang persönlich, eine Tür aufging; hinter dieser Tür würden Anderl Amerang und die Welt verändert sein; zwei Dinge, die damals noch zusammenhingen.

Der Discjockey mäanderte kreuz und quer durch die riesige Produktion. Anderl saß still auf der Bank, sah auf die Tanzfläche und alles war zugleich da: der Schmale, auf höchster Welle reitend, der wiedergekehrte Amassa, das mit harlekinesken Bewegungen vorbeitanzende Mädchen und die urvertrauten Songs; wie das sich mischte und ineinander spielte!

Das Mädchen kam erhitzt zurück, denn der Discjockey hatte A Day in a Life aufgelegt und das war kein Lied, zu dem man tanzte. Wortlos saß sie neben Anderl, während das Lied ganz durchgespielt wurde, in dem sich die psychedelische Bewegung vom Blatt las. Lennon sang die letzte Strophe, das Symphonie-Orchester wühlte sich chaotisch aufwärts bis an die Grenze der Erträglichkeit. In Anderl hob es sich mit und das Orchester brach, wie durch eine Wasserfläche, in den erlösenden Schlussakkord durch und in Anderl schossen alle Dinge dieses Abends zusammen und gingen in ein Strömen über, endlos schwingend wie der Akkord.

„Schau mal, der Rauch“, flüsterte er dem Mädchen zu, dessen ruhige Gegenwart so deutlich fühlbar im Gesamt-Strom war. Sie betrachtete die im Licht der Strahler ziehenden Schwaden über den Köpfen der Menschen.
„So auch ich“, gestand Anderl. Ernst sah das Mädchen ihn an, mit tiefem Ernst sagte sie:
„Bisschen dünn, nicht?“
Anderl fand das sehr witzig. Sein Lachen fiel mit dem rätselhaften Gelächter zusammen, in dem der endlose Akkord irgendwann doch endet. Dampfend kam der Schmale zurück mit der Freundin, die zwar überhaupt nicht mehr missbilligend dreinschaute, aber allmählich doch nach Hause wollte. Auch das Mädchen war für Aufbruch. Anderl und der Schmale, in schnellem, beschämten Blickkontakt, verständigten sich über ihr heranrückendes Ausgangs-Limit, das sie, an einem Abend wie diesem, zwar bedenkenlos zu missachten bereit gewesen wären. Doch wenn es sich so ergab…

Sie zahlten, während der Discjockey, dem Anderl inzwischen einiges verzieh, seine große Beatles Tour mit surrealem Ulk abrundete. Als sie sich den Weg zum Ausgang bahnten, behauptete Lennon gerade, dass er der Eiermann sei. Die Nachtluft, die plötzliche Stille auf der Straße machten leise benommen. Anderl fühlte sich so wohl, dass er gar nichts sagen musste. Schweigend ging er neben dem Mädchen die enge Gasse hinab, das Bruchstücke des letzten Songs summte. 

Sie gingen gemächlich, trotzdem blieb der Schmale mit Freundin immer mehr zurück.
Sitting on a cornflake„, sang das Mädchen leise.
Waiting for Amassa t´ come„, improvisierte Anderl. Sie kicherte. „Der dünnste aller Dämonen… ich weiß nicht, er ist wahrscheinlich nicht mein Fall“.
Anderl nickte nachdenklich. „Naja, er ist schon ziemlich exklusiv“.
„Frechheit“, murmelte sie, „nein, er ist mir einfach zu dünn. Das geht nicht. Mir kommt zurzeit eh alles so dünn vor“.
„Ah bravo! Was ist denn passiert?“
„Passiert! Ich hab halt Matura gemacht, vor einer Woche“.
„Ach so. Na ja, jetzt stehst du natürlich schön blöd da, was?“
„Hör mal! Aber bisschen stimmt es sogar. Es ist gar nicht so einfach rauszufinden, was man eigentlich machen will. Man kann natürlich sagen, vielleicht hab ich auch ein bisschen lange gewartet, mit dem Rausfinden, aber ich glaube andererseits… langweile ich dich?“, fragte sie Anderl, der an der Ecke stehengeblieben war.
„Nein nein“, log er, „es ist bloß…wo bleiben die denn?“
Er sah die Gasse hinunter und in dem schwachen Licht der einzigen Straßenlampe machte er den Doppelschatten aus, der sich an der Gartenmauer abzeichnete; jetzt wurde er einschattig.
„Ach das… na, wohl bekomms!“

Sie bogen in die Marktstraße, traten in die tiefere Dunkelheit unter den Arkaden, die von scharf begrenzten Lichtzonen aus einzelnen erleuchteten Schaufenstern unterbrochen wurde. Ihre Schritte hallten auf den Platten. Sie musterte ihn von der Seite.
„Du sagst das so, ich weiß nicht… hast du denn was dagegen?“
„Nein, ich find sie süß, die beiden! Vielleicht abisssl arg schematisch, das Ganze. Aber ich weiß schon, letztlich sind wir alle nur Stichlinge, wenn es um diese Dinge geht!“, räsonierte Anderl, der sich am meisten über das blödsinnige Gefühl ärgerte, dass der Schmale damit ihm selbst etwas verbaut hatte.
„Diese Dinge!“, wiederholte sie lachend. „Aber warum eigentlich schematisch? Ich bin ja ganz platt über Gerda, hätte ich nie gedacht, ich kenn sie nur völlig zugeknöpft“.
„Du warst eben noch nie mit ihr in der Disco, oder? Eben. Die allseits beliebte Diskothek ist nun mal eine Brutstätte für stichlingsmäßige Brunft-Rituale. Die sind völlig unausweichlich!“
„Wirklich?“
„Wie wirklich?“
Anderl merkte irritiert, dass sie sich über etwas belustigte. Jetzt ging sie auch noch langsamer und sagte:
„Ich meine – immer? In jedem Fall?“
Endlich klingelte es bei ihm und er war nur froh, dass sie gerade wieder in einer Dunkelzone waren.
„Ach so, das…“, sagte er mühsam, „äh, nimm einfach an, dass es auch mal einen bockigen Stichling gibt“.

Sie blieb endgültig stehen vor der Palmers-Auslage und in dem milden Licht aus der heilen Wäschewelt sah er das Grinsen auf ihrem frechen Bubengesicht. Wobei andererseits nicht zu leugnen war, dass sie ganz wie ein Mädchen aussah…
„Erhaben über diese Dinge, will nichts, denkt an nichts“, spottete sie und wandte sich ganz zu ihm herum. Den ganzen Weg hatte Anderl sie als etwas Straffes, Schmales an seiner Seite gespürt. Aber jetzt fühlte sich das anders an – breiter. Und weich.
„Überhaupt nicht erhaben, eben bloß bockig“, murmelte er. „Und übrigens…auch nur abisssl bockig“.

Er machte den viertel Schritt und legte die Arme um sie. Wirklich, ausgesprochen weich. Und sie war doch ein Stück kleiner als er. Ihr Kopf hob sich ihm entgegen.
Dann – Anderl hatte im Traum nicht an so etwas gedacht – aber dann erschien in ihrem Gesicht dieses halbe Lächeln, sanft, weiblich, gelassen darauf wartend, dass sein Kopf sich zu ihr senkte! Plötzlich schlug seine Erregung um in einen heißen Wut-Strahl, dazu kam eine fiebrige, doch beherrschte Bösartigkeit. Seine Hand kam hoch, während sein Kopf hinunter sank. Seine Finger wanderten zart und tückisch an ihrem Mund mit dem siegesgewissen Lächeln vorbei, während er brabbelte:
„Natürlich will ich, ich möchte wirklich das!“

Und er schob zwei Finger in ihre aufwärts gewandten Nasenlöcher. Sie fuhr zurück. Ihr Reflex kam schnell, doch er war schneller und tauchte unter ihrem Schlag weg. Er trat einen Schritt zurück.
Die ganze Erregung rauschte aus ihm hinaus. Jetzt tat es ihm leid, wie sie dastand und sich die Nase hielt, sprachlos, das Gesicht halb verdeckt. Sie hätte ihn wenigstens treffen sollen, eine Ohrfeige wäre ihm das wirklich wert gewesen. Aber so – es tat ihm schon auch leid.
„Entschuldige! Entschuldige wirklich, du… das war so eine Anwandlung, weiß auch nicht warum, tut mir wirklich leid!“
Immer noch die Hand vor ihrem Gesicht und darüber die aufgerissenen Augen.
„Ich hab sowas manchmal…ehrlich, das hat nichts mit dir zu tun“. Na großartig! Er scharrte verlegen mit dem Fuß und dann quoll etwas in ihm hoch und er kicherte.
„Verzeihung, ich meins nicht so!“ Aus Versehen zuckte er mit den Achseln. Das wurde ja immer besser. Er riss sich zusammen.
„Also jedenfalls, tut mir wahnsinnig leid und naja, das wärs wohl. Alsdann… Servus!“

Er hob linkisch die Hand, verkniff sich den Impuls, das Victory-Zeichen zu machen, und trat einige Schritte rückwärts. Sie stand immer noch reglos, die Hand vor dem Gesicht. Er wandte sich ab und zog los, nicht zu schnell, nicht zu langsam. Es tat ihm immer noch leid, aber er spürte schon, wie sich das legte. Und darunter das Brodeln von Gelächter, das er niederhielt, für den Fall, dass sie ihm hinterher schaute. Ihre Schritte begannen hinter ihm im Gewölbe zu hallen und er bog diskret auf die Straße hinaus.
„He, warte doch!“, tönte es von hinten.

Er stand mitten auf der ausgestorbenen Marktstraße und jetzt war er es, der einfach gelähmt war. Er glotzte ihr entgegen, wie sie zügig aus den Arkaden auf ihn zukam, die Hände in den Taschen ihrer Jacke. Ihr Ellbogen schlug leicht gegen seinen Bauch, als sie an ihm vorbeistach.
„Na, was ist?“, rief sie über die Schulter. Drei schnelle Schritte und er war neben ihr.
Der weitere Weg war erst verkrampft, jeder vermied peinlichst den Blick zum anderen. Dann die plötzliche Entladung in einem Lachanfall; sie hatte, als er doch zu ihr hinüberschielte, sich mit unbewegter Miene an die Nase getippt und Anderl hockte schließlich winselnd vor Lachen am Boden; unterbrochen vom Jodeln des Schmalen, der inzwischen mit der Freundin zu ihnen aufrückte.

An der unteren Illbrücke war dann die Verabredung mit ihr eine Selbstverständlichkeit. Lieber etwas früher, abends passe ihm nicht so gut, beging Anderl die Untertreibung des Monats. Aber morgen um zwei. An der oberen Brücke? – Ihr war es recht, sie würde ja gleich da wohnen, sagte sie, zum Wehnesberg hinauf deutend.

„Und ich dort“, wies Anderl unvorsichtig flussaufwärts. Das Mädchen sah auf die spärlich erhellten, mächtigen Schatten der Regina und fuhr zusammen.
„Jesses, die Regina… ich hab mich mit einem Caeloten verabredet!“. Für Anderl Immerhin Gelegenheit, Karlsson vom Dach zu zitieren: „Das stört keinen großen Geist!“
Sie ging schon mit der Freundin, die sich weiter unten vom Schmalen gelöst hatte, die Stiegen zum Wehnesberg hinauf, kam bei Anderl plötzlich noch Wissbegierde auf:
„Hee… wie heißt du eigentlich?“
„Und duu“, wehte es hoch zurück. Anderl brüllte Bescheid. Von den Stiegen kamen kreischende Ah-Laute.
„Was? Wie bitte?“
„Schrei doch nicht so, du taube Nuss… Anna heißt die Katze“, brummte der herangekommene Schmale.

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Markus Fenner

Markus Fenner stammt aus München, begann als freier Schriftsteller, brach mit der Literatur, wurde TV-Redakteur, später Drehbuch-Autor, lebt heute als Dorfschriftsteller am bayerischen Alpenrand: Erzählungen, regionale Theaterstücke, stellenweise Lyrik. Weitere Informationen: http://www.markus-fenner.de/

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