Andreas Niedermann
Wie es kommen wird.
Notiz aus 2014 anlässlich der Krim-Annexion

In unserer Redaktion wird pausenlos diskutiert und es werden Szenarien für den Verlauf der Russland-Krise (denn das ist es ja) entworfen. Die Meinungen gehen auseinander. Das Szenario unserer 16-jährigen Türsteherpraktikantin, die ihren Namen nicht genannt haben will, schien uns am interessantesten.

Hier ihr Entwurf im Schnelldurchlauf:

Die Krimsache ist durch. Russisch.
Unterdrückung der Ukrainer.
Die EU hat zugesehen.
Will nichts machen.
Die Sanktionen gegen Russland sind
vor allem symbolisch.
In den baltischen Staaten wankt die russische
Minderheit siegestrunken auf die Straßen,
randaliert.
Die Polizei greift ein.
Putin sieht Russen im Ausland in Gefahr.
Truppen marschieren auf.
Hat ja schon einmal geklappt.
Die EU sieht zu.
Die Konjunktur, die Wirtschaftslage,
das zarte Pflänzchen, darf nicht
gefährdet werden.
Auch die österreichischen Banken antichambrieren.
Sie haben noch 150 Milliarden
Kredite bei den Russen ausstehend.
Also sicher keine Sanktionen.
Sonst muss der Steuerzahler …
Sie wissen schon …
Charkow wird russisch.
An der Grenze zu Polen Truppen.
Die EU sieht zu.
Scheiß auf die Werte.
Die Wirtschaft, you know …
In Kitzbühel und Crans-Montana vergnügen sich Russen
auf den Schipisten
und saufen sich in den Lokalen
die Hucke voll.
Von Anti-Kriegs
Demonstranten durch massive Polizeieinheiten geschützt,
die auch vor Gewalteinsätzen nicht zurückschrecken.
In den Talkshows marschieren
unter der Führung von Matthias
„Ich bin wohl homophob“ Mattusek
verschiedene fundamental-katholische
Büchnerpreisträger auf,
und geißeln das gottlose Europa,
das nun seine gerechte Strafe einfährt.
(Der Büchnerpreis wird nur noch an
Schwarzkatholiken verliehen.)
Die Auftritte diverser europäischer
„Chemical-Alis“ mehren sich.
(Wer erinnert sich an Chemical-Ali?
Den irakischen Verteidigungsminister, der,
während ihm in Bagdad schon die
amerikanischen Panzer über die Füße rollten,
vom Sieg der Irakis
gegen den „Teufel“ sprach?)
Ihr Credo: Putin wird sicher nicht gegen
seine wirtschaftlichen Interessen handeln…
In Wien beschmiert ein Aktivist
die russisch orthodoxe Kirche, und der
Nerz einer russischen Kirchgängerin kriegt auch was ab.
Putin sieht
Russen in Wien bedroht.

Erschienen in: Andreas Niedermann Im Sprung.Blog

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Andreas Niedermann

Andreas Niedermann, 1956 in Basel geboren. Nach einer Laborantenlehre einige Jahre in Europa unterwegs. Informelle Ausbildung zum Schriftsteller in genau 50 ausgeübten Berufen. U.a. als Steinbrecher, Alphirte, Kranführer, Kinobetreiber, Krafttrainer, Koch und Theatertechniker. Seit 1989 mit Familie in Wien lebend. Gründete 2004 den Songdog Verlag. Publizierte einige Romane, Storybände und Novellen. Zuletzt „Blumberg 2 (Die Wachswalze)“ bei Edition BAES.

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