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Gerda Walton
Nie wieder Krieg?
Erinnerungen

Zur Bewältigung traumatischer Erlebnisse müssen bekanntlich nicht wenige von uns die Hilfe eines Psychiaters in Anspruch nehmen.

Im Kriegsjahr 1942 geboren, habe ich für mich eigentlich angenommen, die Kriegserinnerungen aus meiner frühesten Kindheit zwar nicht vergessen, aber doch irgendwie aus eigener Kraft bewältigt und mit dem Thema Krieg ein für alle Male abgeschlossen zu haben. Auch weil ich mit niemandem darüber sprechen konnte, da bereits jeder gedankliche Ansatz, dass auch in Europa die Möglichkeit eines neuerlichen großen Krieges nicht völlig von der Hand zu weisen sei, im Denkvermögen unserer Konsumgesellschaft bis vor wenigen Wochen noch total geächtet war und absolut keinen Platz hatte.

Der Krieg am Balkan seinerzeit da unten hat uns ja nicht wirklich betroffen und war höchstens lästig, weil man dort einige Zeit nicht günstig Urlaub machen konnte. Und die anderen Kriege waren zum Glück durchwegs ziemlich weit weg und wir haben uns, bis auf die vielen Flüchtlinge, heraushalten können.

Aber angesichts der Dokumentation einer unfassbaren und sinnlosen gigantischen Zerstörungswut, deren Bilder uns jetzt Tag für Tag bis in den Schlaf hinein verfolgen, tauchen aus der Asche des gewollten Vergessens vor meinen Augen die unzähligen Innsbrucker Bombenruinen wieder auf. Und wenn am Samstagmittag die Sirenen heulen, dann schaue ich unwillkürlich hinauf zum Himmel über der Nordkette, ob die aus Richtung Norden anfliegenden Bomber schon zu sehen sind.

In Hötting wohnend befanden wir uns zum Glück zwar im Windschatten der auf die Stadt fallenden Bomben, aber unsere Mutter musste mich, da ich noch nicht schnell genug laufen konnte, trotzdem oft und oft in Windeseile bis in den im so genannten „Butterer Bichl“ befindlichen Luftschutzbunker tragen, während die Stadt bereits in Schutt und Asche gelegt wurde. Meine an Masern, Mumps und anderen damals grassierenden Kinderkrankheiten erkrankte ältere Schwester musste, nicht selten hochfiebrig, selbst gehen und zog sich dabei einen Herzfehler zu, der sie zeitlebens einschränkte.

Zu meinem frühesten Sprachschatz zählte das Wort „Alarm“, mit dem ich meine Mutter, die vor Erschöpfung einmal so tief eingeschlafen war, dass sie die Sirene überhörte, im aus einem ihrer alten Sommerkleider genähten Nachthemd in meinem Kinderbett stehend als knapp Zweijährige aufweckte, was sie mir – alt geworden – immer wieder und wieder zur Bewältigung ihres Kriegstraumas erzählte.

Eine meiner Freundinnen war in ihrem Haus südlich der Triumphpforte mehrere Tage lang verschüttet, ehe sie als einzige noch lebend ausgegraben wurde, andere hatten ihren Vater verloren oder wurden ausgebombt, und noch Jahrzehnte später erzählte mir eine Bekannte immer wieder von ihrer dramatischen Flucht aus Ostpreußen, vor den Russen ist man bekanntlich schon öfters geflüchtet. Die Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen.

Am besten in Erinnerung sind mir seltsamerweise aber nicht der Nahrungsmangel oder die ständige Bedrohung, wohl aber die Kälte der unbeheizten Wohnung mit Eisblumen an allen Fenstern und das in der Küche als einzige Wärmequelle provisorisch aufgestellte Kanonenöfchen, an dem man nicht ankommen durfte, weil das schrecklich weh tat.

Und später dann die französischen Besatzungssoldaten, die unsere halbe Wohnungseinrichtung vom ersten Stock hinunter auf einen Lastwagen warfen, darunter viele Heiligtümer meiner Mutter, die wir als Kinder nicht anrühren durften.

Von Jahr zu Jahr werden es weniger, die noch Erinnerungen an jenen Krieg haben, den man im Sprachgebrauch, so man ihn überhaupt noch erwähnt hat, immer als den „letzten Krieg“ bezeichnete, im festen Glauben, dass es wirklich der letzte sei.

Ob es diesmal der letzte ist? Wir können es nur hoffen und wünschen all jenen, die unter herzzerreißenden Umständen ihre Heimat verlassen mussten, dass sie bald zurückkehren können. Aber was werden sie dort vorfinden? Bis in Innsbruck die letzten Bombenruinen beseitigt waren, habe ich nach meiner Erinnerung bereits die Matura gemacht…

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Gerda Walton

Gerda Walton ist ein wandelndes botanisches Lexikon. Sie hat in den letzten Jahren weit über 600 Gärten dieser Welt bereist, die sie mit viel Einfühlungsvermögen auch fotografisch festgehalten und über die sie zahlreiche Artikel in renommierten Gartenzeitschriften geschrieben hat.

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