Andreas Niedermann
Die Welt ist ein Gym.
Da kotzen nur die Guten.
Notizen eines beinahe optimal
optimierten Selbstoptimierers

Selbstoptimierung ist Rebellion, schreibe ich in einer Mail an meinen Lieblingskritiker. Selbstoptimierung?, schreibt er zurück. Du kennst doch Sloterdijks ‚Du musst dein Leben ändern‘? Geht eigentlich genau um das, und um nichts anderes. Pflichtlektüre für alle, die das Üben als eigene Disziplin einführen wollen.“

Sloterdijk? Allerorten Sloterdijk. Aber Sloterdjik und Sport? Ja, Sloterdijk und Sport, schreibt der Kenner und Kritiker. Er habe mit dem Rad den Mont Ventoux gemacht, mit über sechzig.

Versteckt er aber gut, denke ich, diesen Sloterdijkschen-Mont-Ventoux-Körper.

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Selbstoptimierung ist Rebellion gegen die Bestimmung, gegen das, was die Buddhisten Dukkha nennen. Geburt, Alter, Krankheit, Tod. Leiden. 

Die einzige Schraube, an der wir drehen können heißt Gesundheit-Krankheit. Den Rest müssen wir hinnehmen. Selbstoptimierung heißt: Nicht hinnehmen.

Ab in den Gym.

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Andy Warhol wollte eine Maschine sein. Und mein Hero der Soap The Big Bang Theory, Sheldon Cooper, träumt davon, eines Tages ein Roboter zu werden.

Evolution heißt: Besser werden. Optimierung. Und aus Sicht der Evolution könnte eine Maschine durchaus eine Verbesserung sein. Menschsein bedeutet Schmach. Menschsein heißt, über die wesentlichen Dinge keine Kontrolle zu haben.

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Michelangelos Skulptur von Moses. Herrgottsack!, entfährt es mir. Seht ihn euch an, den Burschen! Wie alt ist Michelangelos Moses? Fünfzig aufwärts? Sein Bart wallt, und es wallt sein Haar. Breitschultrig, aufrecht sitzt er da. Beeindruckend stark. 

Der Muskeltonus seiner nackten Arme und Beine, makellos. Der Fettanteil dürfte weit unter 20 % liegen. Von David zu Moses. Die Kraft der Jugend geht über in die Stärke des Alters.

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Ich beobachte ein paar alte Kerle im Schwimmbad (ist lange her), morgens um halb sieben. Sie waren alle über Siebzig und lagerten auf der taunassen, noch freien Wiese wie ein Rudel alter Löwen. Manchmal kletterte einer von ihnen auf das Drei-Meter-Brett und machte einen Kopfsprung. 

Vollendet, elegant, Körperspannung von den Zehen bis zu den Fingerspitzen, als wäre er siebzehn und nicht siebzig.

Da ging es mir zum ersten Mal auf: Man muss nicht klein beigeben. Diese alten Männer waren unbesiegt.

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Auf dem Weg ins Gym werde ich sauer, weil ich über dumme Sprüche nachdenken muss. Der Weg ist das Ziel.

Einer der Idiotenklassiker, die Wanderkarte 1:1 für Zen-Buddhisten-Darsteller. Und dann zwängt sich noch einer der Dämlichsten vorbei und entfaltet seine deprimierende Pracht. Passt aber zum Thema: Man ist nur so alt, wie man sich fühlt.

Was nichts anderes bedeutet, dass man sich auf jeden Fall jünger fühlen muss. Denn der Sechzigjährige kann nicht wissen, wie es als Einundsechzigjähriger ist.

Fühlen, übrigens, tu ich mich immer noch wie Neunzehn. Bin ich jetzt Neunzehn? Mein Körper sagt was anderes.

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Ludwig Hohl, der große Schweizer Schriftsteller, der, so macht es den Anschein, schon vergessen war, bevor man wusste, dass es ihn gab, schrieb tagsüber, gab sich aber abends die Kante und turnte sich am Morgen den Kater aus den Eingeweiden. Auch er, ein (fast) perfekter Selbstoptimierer.

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Mens sana in corpere sano, bedeutet nicht: ein gesunder Geist in einem gesunden Körper‘, werde ich heute im Gym von Ronny belehrt, dem Mann, mit der 130 kg Hantel über der Bank. Ist aus dem Zusammenhang gerissen, sagt er, denn richtig heißt es: ‚Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano‘. Das sei vom römischen Satiriker Juvenal und bedeute: Beten sollte man darum, dass in einem gesunden Körper ein gesunder Geist sei.

Aber mir, sagt er und legt sich unter das Gewicht, ist das eh wurscht, denn ich halte es mit Pierre de Coubertin: mens fervida in corpore lacertoso (ein feuriger Geist in einem muskulösen Körper).

Das, finde ich, ist die ganz feine Art der Selbstoptimierung.
Wo kann ich unterschreiben?, sage ich.
Hast du doch schon, sagt Ronny und lässt die Hantel langsam auf seine Brust sinken.

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Das Feuilleton scheint uns Selbstoptimierer nicht besonders zu mögen. 

Gesundheit wird zur neuen Religion, schreiben die Schreibtischhedonisten. Sie wittern Elitäres. Sie, die Gutverdiener mit dem schlechtem Gewissen, wissen noch immer nicht, dass man sich auch mit wenig Geld gut ernähren kann, und dass dies kein Privileg der Eliten ist. Man muss allerdings seine Kochfertigkeiten etwas optimieren. Zuviel verlangt?

Und überhaupt. Ist es denn auch wahr? Gesundheit, eine neue Religion? 

Ist man religiös, wenn man nicht zum Ziel hat, zu einem Fleischklops zu verkommen, der in immerwährenden Orgasmen des dauerhaft stimulierten Belohnunsgzentrums vor sich hinzuckt? Diese lächerliche Furcht vor dem vermeintlich Elitären.

Ich, als selbstoptimierender Epikuräer, rufe Ihnen zu:

Genuss braucht einen genussfähigen Körper, und den erhält der Kluge sich gesund, und Gesundheit erwirbt man sich durch Selbstoptimierung!

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Andreas Niedermann

Andreas Niedermann, 1956 in Basel geboren. Nach einer Laborantenlehre einige Jahre in Europa unterwegs. Informelle Ausbildung zum Schriftsteller in genau 50 ausgeübten Berufen. U.a. als Steinbrecher, Alphirte, Kranführer, Kinobetreiber, Krafttrainer, Koch und Theatertechniker. Seit 1989 mit Familie in Wien lebend. Gründete 2004 den Songdog Verlag. Publizierte einige Romane, Storybände und Novellen. Zuletzt „Blumberg 2 (Die Wachswalze)“ bei Edition BAES.

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