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Andreas Niedermann
Arschlochdichte
Notizen

Abgesehen davon, dass immer mehr zum Teufel geht, und es vor allem nur immer mehr von allem gibt, ist es kein Wunder, dass auch die Arschlochdichte zunimmt.

Immer öfter denke ich an den Kollegen Palzer, der nun nicht mehr in München, sondern in Leipzig lebt, und der mir anlässlich unserer letzten gemeinsamen Lesung gestanden hat, dass er nun wandern tut, und dass er in Leipzigs Straßen nie ein interessantes Gesicht sieht. Er führte das auf die Nichtexistenz eines Bürgertums zurück.

Inzwischen sieht es in meiner Gegend genau gleich aus. Stumpfe, dumme
Visagen.

Ich fand damals, dass dies eine bedenkenswerte und auch etwas irritierende Aussage war. Wandern? Isses wahr? Er, der feinsinnige, kluge Intellektuelle! Wandern?

Inzwischen tu ich es auch. Wobei ich es nicht als Wandern bezeichnen würde. Es sind kleine Touren, die mich in die Wiener Berge, auf die Rax, den Semmering, zum Gebiet des Schneebergs führen. Oder auch nur der Donau entlang. Gehen halt.

Und ich gestehe es gerne ein, dass auf meinen Touren die Arschlochdichte so gering ist, dass sie zu vernachlässigen ist. Ich sehe alte Männer, in ihren 80-ern, sich den steilen Nasenweg auf den Leopoldsberg hinaufmühen, Männer mit guten, freundlichen Gesichtern; und andere, alte graue Kerle, die an mir vorbeiziehen, als träte ich auf der Stelle.

Manchmal ergibt sich ein kurzes Gespräch. Wir alle haben etwas gemein. Wir sind gerne allein, wir lieben es zu gehen, wollen draußen sein; und wir sind früh auf den Beinen, wenn die Arschlöcher noch schlafen.

Einmal unterhielt ich mich mit einem dieser Alten, kurz vor Zwentendorf an der Donau. Er erzählte mir, dass er in den letzten Jahren achttausend Kilometer gegangen ist. Das ist eine Menge. Er geht jeden Tag ein paar Kilometer auf dem Donautreppelweg. Bei jedem Wetter.

Ich habe schon immer die alten Männer bewundert, die nicht klein beigeben. Die auch mit 80 Jahren noch formvollendet vom Dreimeterbrett hechten. Oder wie der Maler Julian Schnabel, der wie ein Torpedo von einer Klippe ins Meer springt.

Das zu sehen, macht mich glücklich.

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Andreas Niedermann

Andreas Niedermann, 1956 in Basel geboren. Nach einer Laborantenlehre einige Jahre in Europa unterwegs. Informelle Ausbildung zum Schriftsteller in genau 50 ausgeübten Berufen. U.a. als Steinbrecher, Alphirte, Kranführer, Kinobetreiber, Krafttrainer, Koch und Theatertechniker. Seit 1989 mit Familie in Wien lebend. Gründete 2004 den Songdog Verlag. Publizierte einige Romane, Storybände und Novellen. Zuletzt „Blumberg 2 (Die Wachswalze)“ bei Edition BAES.

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