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Alois Schöpf
Zerknirschung und Genuss
Apropos

Am letzten Wochenende herrschte prachtvolles Spätsommerwetter. Entsprechend verstopft war die Autobahn in beiden Fahrtrichtungen, auf der Landstraße röhrte ein Motorrad mit graubärtiger Besatzung nach dem anderen Richtung Brenner und die Parkplätze am Einstieg zu den Bergtouren waren überfüllt.

Ergänzt werden solch subjektive Beobachtungen durch die Statistik, die für Tirol und das Jahr 2022 auf allen relevanten Routen eine Steigerung von bis zu 27 Prozent (Mautstelle Schönberg) vermeldet. 

Im Dialekt würde man dazu sagen: Der sogenannte Klimawandel geht den meisten Leuten am A… – Pardon: ist den meisten, wenn es ganz konkret um ihre Freizeit und ihren Urlaub geht, ziemlich bis vollkommen egal.

Ganz im Gegenteil: Man hat sogar den Eindruck, dass die allabendlichen Apokalypse-Predigten vor allem unseres Staatsfunks in Sachen Klima lediglich als eine Art quasireligiöses Bußritual mit Angstlust konsumiert werden, um am nächsten Tag, von Sünde befreit, umso mehr auf die Pauke zu hauen.

Der Wechsel zwischen Zerknirschung und Genuss erinnert übrigens sehr an die landesübliche Tradition unserer spätbarocken Katholizität, welche die Aufklärung mit mäßigem Erfolg zu überwinden versucht, indem sie den Vernunftgebrauch und daraus abgeleitet ein vernünftiges Verhalten zur Richtschnur des guten Lebens macht.

Von diesem Ziel sind wir mit gespaltenem Bewusstsein leider noch weit entfernt.

Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 23.09.2023

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Paul Bloder

    Lieber Alois Schöpf!
    Keine Angst, die Jugend:innen sitzt eh schon adipös auf der Couch und schaut sich mit dem Handy die Welt an. In ein paar Jahren ist alles gut!

  2. Walter Kovarik

    Sehr geehrter Herr Alois Schöpf
    Recht schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit in der TT von Sa. 23.09.2023.
    Einfach famos und treffend geschrieben… 😊
    Was man alles gut Formulieren kann, wenn man Dinge von unserem Leben von der objektiven(==tatsächlichen) Seite betrachtet. BRAVO👍
    Mit Freundlichen Grüßen und mit gleichem Gedanken!

  3. Jürgen Milborn

    Perfekt beobachtet und formuliert!: … „quasireligiöses Bußritual mit Angstlust“ …
    Die Zuständigen haben keinen Mut (auch keine Möglichkeiten) zu vernünftigen Entscheidungen.
    Viele Grüße

  4. Klaus Reiter

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    ich möchte mir zum besagten „APROPOS“ eine Bemerkung erlauben.
    Ich denke, dass wir uns von dem Gefühl – etwas zu versäumen – zu sehr treiben lassen.
    Eben weil das Leben kurz ist, sollten wir uns nicht zu sehr vom Zeitgeist treiben lassen und versuchen, es so selbstbestimmt wie möglich zu leben, was zwar nicht immer leicht ist, aber das Ganze spannender macht.
    Möchte aber nicht behaupten, dass es mir gelingt.
    Schöne Grüße

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