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Alois Schöpf
Wir wollen modern sein!
Verlust der Tradition und des Publikums
durch fragwürdige musiksoziologische Selbstverortung
2. Teil
Essay

1. Teil
https://schoepfblog.at/alois-schopf-wir-wollen-modern-sein/


Der 1. Teil der vorliegenden Überlegungen versuchte die durchaus nachvollziehbaren Gründe aufzulisten, weshalb junge und engagierte Musikerinnen und Musiker aus dem Bereich der Blas- und Bläsermusik sich durch ihre Aktivitäten bei den traditionellen Musikvereinen der Heimatgemeinden im Hinblick auf ihr eigenes modernes Weltverständnis missbraucht fühlen. Und dass in vielen Fällen Ausdruck dieser Distanz zuletzt Programme sind, die sich den Traditionen der eigenen Musikgeschichte verweigern und auf eine Modernität bzw. auf Originalkompositionen setzen, die aufgrund ihres austauschbaren Klangbildes, einer immer gleichen spätromantischen bzw. im besten Fall einer gemäßigten Moderne verpflichteten Tonsprache und vor allem aufgrund ihrer oft minderwertigen, epigonalen kompositorischen Qualitäten sowohl das auf einfache Unterhaltung hoffende als auch das künstlerisch hochwertige Musik erwartende Publikum frustrieren.

Um die Problemlage zu verdeutlichen, sei an dieser Stelle kurz auf Konzerte eingegangen, wie sie bei den Innsbrucker Promenadenkonzerten 2022 im Innenhof der Kaiserlichen Hofburg von drei der weltweit besten professionellen Blasorchester präsentiert wurden.

So konzertierte die Sächsische Bläserphilharmonie aus Leipzig am 21. Juli 2022 unter der Leitung des Dirigenten Peter Sommerer ganz in der Tradition, wie sie bereits von den Bläserensembles der klassischen Musik vorgegeben wurde: Bei abendlichen Serenaden das Publikum mit den beliebtesten Melodien aus der Welt der Opernhäuser und Konzertsäle zu verwöhnen. Das Programm der Sachsen enthielt Werke wie die Ouvertüre zur Oper La forza del destino von Giuseppe Verdi, seinen Triumphmarsch aus Aida, aber auch eine symphonische Suite der Oper La Bohème von Giacomo Puccini, die Ungarische Rhapsodie Nr. 2 von Franz Liszt und schloss zuletzt mit dem Walzer Gold und Silber von Franz Lehar, das klingende Mahnmal österreichischer Melancholie schlechthin.

Es erübrigt sich die Bemerkung, dass das Publikum überglücklich den Konzertabend verließ, zumal der im klassischen Musikbetrieb bereits renommierte und erfahrene Dirigent Peter Summerer mit seinen launigen Moderationen für einen sympathischen, typisch österreichischen Ironie-Faktor sorgte.

Eines der besten professionellen Blasorchester Europas war sich also nicht zu schade dafür, an die traditionelle Rolle der klassischen Bläsermusik anzuschließen und einen ganzen Konzertabend mit klug auf das Orchester abgestimmten Transkriptionen zu bestreiten.

Sollte dies nicht all jenen zu denken geben, die ihre Modernität dadurch zu beweisen versuchen, dass sie nicht nur die Werke des bislang klassischen Repertoires zurückweisen, sondern die Verwendung von Transkriptionen geradezu als kardinalen künstlerischen Sündenfall betrachten? Und sollte ihnen nicht auch die Demut von durchwegs professionellen Musikerinnen und Musikern zu denken geben, die sich nicht zu schade dafür sind, dem Publikum an einem wunderschönen lauen Sommerabend schlicht und einfach unbeschwertes melodisches Glück zu bescheren?

Wenige Tage später am 24. Juli 2022 konzertierte im Innenhof der Kaiserlichen Hofburg die United States Marine Band, besser bekannt unter dem Namen The President´s Own, womit auf ihre Auftritte als Repräsentationsorchester des amerikanischen Präsidenten im Weißen Haus bei jährlich etwa 200 verschiedenen Anlässen oft ritueller Natur hingewiesen wird.

Dieses sympathische, auf absolut professionellem Spitzenniveau agierende Orchester brachte nach Innsbruck ein Programm mit, das sich mit Werken von Richard Strauss, Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Danzi, Friedrich Smetana und Johan de Meij auffällig stark dem Schaffen der europäischen Kunstmusik widmete, was auch als freundliche Geste den Gastgeberländern der Europatournee Tschechien, Österreich und Niederlande gegenüber betrachtet werden kann. Das übrige Programm bestand naturgemäß aus Werken amerikanischer Komponisten, wobei Aspire der international renommierten Jennifer Higdon als besonders substantiell hervorstach. Aber auch ein Reigen aus vier amerikanischen Volksliedern, zusammengestellt von Aaron Copland, und zuletzt eine flotte bis flapsige Ouvertüre des weltweit bekannten Star Wars-Komponisten John Williams konnten das Publikum hellauf begeistern.

Die klugen Dramaturgen des Orchesters verstanden es somit, durch Musik aus verschiedenen Genres – Fanfare, lyrische Suite, Arie, virtuoses Instrumentalkonzert, Tanz, Ouvertüre und Lieder -, aber auch durch die Darbietung von Musik aus verschiedenen Zeitepochen – Klassik, Frühromantik, Hochromantik, Moderne – und durch den furchtlosen Zugriff auf exzellente Transkriptionen ein Programm zu erstellen, dass niemals eintönig war und dennoch der Aufgabe, die spezifisch amerikanische Musikidentität und Klanglandschaft dem Publikum nahe zu bringen, absolut gerecht wurde.

Womit wir beim einem dritten Konzert der diesjährigen Innsbrucker Promenadenkonzerte angelangt wären, das in seiner Zusammenstellung wohl am ehesten jenen das Publikum frustrierenden Konzertprogrammen nahekam, wie sie unsere nach Modernität lechzenden sogenannten Spitzenorchester als des Rätsels Lösung betrachten, um die Zukunft der Blasmusik zu retten. Es handelt sich dabei um das Konzert der Royal Symphonic Band Of The Belgian Guides, der sogenannten Gidsen, eines der weltweit führenden und bekanntesten Militärorchester unter der Leitung des Dirigenten Yves Segers.

Die Werke, die Segers für seinen ersten Konzertabend in Innsbruck auswählte, gruppierten sich um die Tondichtung Don Juan von Richard Strauss und ein sechsteiliges Medley aus der Oper Die Liebe zu den drei Orangen von Sergej Prokofjew. Eingeleitet wurde das Konzert durch zwei Blasorchester-Originalwerke der belgischen Komponisten Francois Glorieux und Dirk Brossé, beendet wurde der Abend durch die hochvirtuose, lärmende, ebenso für Blasorchester geschriebene Symphonie Nr. 1 Hell and Heaven des spanischen Komponisten Oskar Navarro.

Bei aller spielerischen Virtuosität und Kompetenz des Dirigenten geriet dieses Konzert, zumindest aus meiner Sicht, zur virtuosen Zurschaustellung redundanter Moderne. Beim zentralen Werk des Abends, bei Don Juan von Richard Strauss, stellte sich übrigens schon nach wenigen Takten heraus, dass hier ein Genie die Kompositionen der beiden vorangegangenen belgischen Komponisten als völlig unbedeutend vom Platze fegte. Zugleich jedoch wurde Don Juan, dem klassikkundigen Zuhörer aus Interpretationen von Abbado bis Karajan bestens bekannt, vom Orchester und dem Dirigenten zwar technisch einwandfrei, aber künstlerisch nur sehr mittelmäßig aufgeführt, wobei die Tatsache, dass hier ein Blasorchester und nicht ein klassisches Symphonieorchester am Werk waren, wie bei vielen gelungenen Transkriptionen und bei hoher Orchesterqualität, kaum eine Rolle spielte.

Die Ausschnitte aus Prokofjews Oper erwiesen sich wie alle anderen Stücke formal erneut als Suite, wobei das Orchester in gleicher Weise, wie es an der kompositorischen Rüpelhaftigkeit des Bayern Strauss gescheitert war, auch mit der Sperrigkeit Prokofjews unbefriedigend zurande und somit auch nicht, wie es im Jargon heißt, überzeugend über die Rampe kam. Blieb noch zuletzt die zweifelsfrei in ihrer technischen Schwierigkeit höchstes Können voraussetzende Symphonie von Navarro, die einen Abend komplettierte, der konsequent auf der Tonsprache der gemäßigten Moderne aufbaute, formal kaum eine Abwechslung bot und somit, obgleich von verschiedenen Komponisten geschaffen, dennoch mit dem unverwechselbaren Zentrum der Strauss´schen Musik einen zuletzt mühsamen Einheitsbrei ergab.

Aus den drei Konzerten sind jedenfalls interessante Beobachtungen abzuleiten, die zuletzt, im 3. und 4. Teil des vorliegenden Essays, zu eindeutigen dramaturgischen Empfehlungen führen, die im Übrigen nicht nur für Blasorchester, sondern auch für viele von Langweile gefährdete Konzertabende klassischer Symphonieorchester gelten können.

Fortsetzung folgt

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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