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Literarische Korrespondenz:
Fritz Gurgiser an Alois Schöpf
Betrifft:
Immer am Limit leben?
TT vom 6. August 2022

An welchem Limit bleiben oder leben?
Ja, auch um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin im Jahr 2022 und träume nicht von der Vergangenheit – ich kenne sie nur sehr gut.

Ob wir tatsächlich eines der „reichsten Länder“ sind, ist eine sehr sensible Frage, denn was ist denn schon „Reichtum“? Und unverschuldet nun „massive Sorgen“, ist nur dann richtig, wenn es auf die derzeitige Inflation bezogen ist, die nicht von uns „gesteuert“ wird, sondern vorrangig von Kriegs- und Krisengewinnlern und einer Gesetzgebung und Politik, die ihnen das locker und leicht ermöglicht.

Ich brauche keine Mikl-Leitner mit ihren Ballkleidern, sondern nur eine Zeitreise zurück: Unsere Eltern haben nach dem 2. Weltkrieg geschuftet, um sich ihr „jedem Tiroler sein Eigenheim“ (©Eduard Wallnöfer) zu ermöglichen, jeden Schilling gespart und ein paar Zimmer dazu gebaut, damit die „Fremden“ ein wenig bei den Schulden mitzahlen. Wir mussten auf nichts Wesentliches verzichten, nur haben wir gelernt, mit wenig Geld viel zu erreichen.

Dann sind die Jahre gekommen, wo es immer „mehr“ sein musste und, einen aktuellen Sager dazu, „koste es, was es wolle“. Was nicht verdient wurde, haben die Banken großzügig gegeben und sich dick und fett im C-Blatt im Grundbuch an erster Stelle platziert – ob privat oder betrieblich, bleibt gleich.

Aus Bauern wurden von heute auf morgen Hoteliers oder Liftbesitzer usw.. mit Geldgebern, Steuerberatern und Wirtschaftstreuhändern. Zu Recht, sie hat es ja gebraucht, um sich im wachsenden Steuerdschungel auszukennen.

Und immer wurde der „Wohlstand“ artikuliert – wir müssen den „Wohlstand“ erhalten, obwohl er längst ein „Schuldenstand“ über Jahrzehnte mit einer finanziellen Würgeschlinge um den Hals war.

Das, was für mich seinerzeit in den 70-er Jahren unmöglich war, sich ein Auto ohne einen Schilling Bargeld zu kaufen, geht heute mit einem schwindligen Lohn- oder Gehaltszettel, das Auto gehört der Bank oder Leasinggesellschaft und aus.

Wohnungen detto – mit horrenden Schulden hinein in das Grundbuch und nicht einmal nachdenken darüber, was das real bedeutet: Beide müssen arbeiten, beide dürfen nach Möglichkeit nie krank werden und, falls gar ein Kind kommt, muss die Kinderkrippe her, wenn es keine Oma und keinen Opa gibt. Kein Problem, lautet doch seit Jahrzehnten die selten hinterfragte Botschaft: Der „Staat“ finanziert von der Krippe bis zur Bahre.

Die Generation der heute 20- oder 30-jährigen kann sich mit ihrem Einkommen trotz Fleiß und bester Bildung ohne Eltern und Großeltern nicht einmal mehr einen Baugrund kaufen, obwohl rund 35 Millionen m² Spekulationsland seit Jahren brach liegen, weil gehortet. Und wenn es doch irgendwie gelingt, sich ein bescheidenes Dach über dem Kopf über Jahrzehnte verschuldet zu schaffen, dann auch noch gleich dazu die Einrichtung mit Sonderangeboten der Käufhäuser nach dem Motto: „Nimm den Krempel im Sommer mit, mit dem Weihnachtsgeld dann die erste Rate“; wie beim „Urlaub auf Stotter-Partie“.

Und so stehen jetzt viele da und wissen tatsächlich nicht, wohin die Reise geht – weil ihnen nie gesagt wurde, dass sich Zeiten wie Wellentäler ändern können und, dass dann, wenn ein Regenschirm gebraucht wird, all die diesen Schirm wegziehen, den sie ihnen bei Sonnenschein mitgegeben haben.

Wohlstand ist ein Begriff, der nie diskutiert wird, denn wenn Wohlstand nur mit Schulden angehäuft werden kann, dann ist das mit dem „wohl fühlen“ rasch vorbei, wenn keine Reserven angelegt wurden.

Herwig van Staa hat einmal zu mir gesagt, was redest du denn da, als ich mit ihm in dieser Form diskutiert habe: „Schau dir doch die schönen Autos an, die die Leute haben und ihre schönen Häuser und Hotels“. Ja, habe ich gesagt, „wenn die alle anstatt der Zulassung den Typenschein mithaben müssten, könnten wir auf der Autobahn eine Spur weggeben; und wenn auf allen Häusern und Hotels das Schild der Bank neben dem Türschild angebracht wäre, wüsstest du auch, wer eigentlich am ‚Wohlstand‘ unserer Menschen ‚verdient‘ und in was für ein gefährliches System viele hineingeschlittert sind“.

Diese Diskussionen hat es nie gegeben, die Politik meidet sie wie der Teufel das Weihwasser, denn es würde Eingriffe bedeuten und etwas, was politisch gar nicht geht und kurze Legislaturperioden nicht vorsehen: Mut zur Wahrheit.

In diesen paar Jahren gilt es real doch nur, die „Partei“ gut zu positionieren, damit der warme Sessel und die Position auch in der nächsten Periode wieder gesichert bleiben.

Eingriffe in dieses System der Verschuldung und eines Wohlstandes, der vielen den Schlaf raubt, bedeutet aber langfristiges, verantwortungsvolles Denken und vor allem einen ganz anderen Umgang mit dem von uns anvertrautem Steuergeld – davon ist nichts zu bemerken, es werden die nächsten Generationen sehr bitter dafür bezahlen, solange Steuergeld vor allem an vermeintlich eigene „Klientels“ verteilt wird (siehe jüngstes Beispiel COFAG).

Den bittersten Preis werden die bezahlen, denen wir als Eltern und Großeltern in den schwierigsten Zeiten finanziell nicht helfen können. Und sie werden die Generation sein, die mit dem Rücken zur Wand steht; dort, wo Aggression, Wut und Zorn wachsen.

Wer das nicht „spürt“ und sieht, ist blind und taub.

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