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Alois Schöpf
Immer nur arme Opfer!
Apropos

Wenn es Verkehrslandesrat René Zumtobel gelingt, im Streit um die Sanierung der Lueg-Brücke alle Parteien auf Basis rationaler Argumente zu einer Einigung zu bewegen, ist er ein Held. Denn nicht nur der Lueg-Streit, sondern die ganze Transitproblematik hat mit Rationalität und dem Austausch von Argumenten wenig, mit Identitätspolitik immer mehr zu tun.

Unter Identitätspolitik versteht man das Bemühen einer Gruppe von Menschen, sich in Gegnerschaft zu einem Feind durch eine gemeinsame Opferrolle als etwas Besonderes in der Welt darzustellen und dadurch eine Sonderbehandlung zu erwirken.

Durch das Landlibell des Kaisers Maximilian und den Aufstand gegen Napoleon erwiesen sich die Tiroler schon lange als auserwähltes Volk.

Die Südtiroler wiederum, Opfer des Ersten Weltkriegs, grenzen sich bis heute
gegenüber Italien ab, haben also ihren „Feind“, weshalb ihr Zugang zum Transitverkehr nüchterner ausfällt als bei uns Nordtirolern, die wir der uneinsichtigen EU vorwerfen, dass sie uns zwingt, in einer Transithölle zu leben, was mit unserer Rolle als Tourismusweltmeister allerdings schwer vereinbar ist.

Schon lange durchschaut das Ausland dieses doppelbödige Spiel mit dem Tiroler „mia-sein-mia“ und weigert sich unsere Empörung über einen auch fleißig selbst produzierten Transitverkehr ernst zu nehmen.

Zumtobel hat schon recht: Nur Rationalität und nicht Identitätspolitik hilft uns weiter!

Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 18.02.2023

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Siegfried Dillersberger

    Lieber Herr Schöpf!
    Jeden Samstag lese ich Ihre Ausführungen in der TT, die großteils meine Zustimmung finden.
    Heute muss ich Ihnen ganz einfach spontan schreiben, weil Sie sich mit dem Transit durch Tirol in durchaus treffender Weise beschäftigt haben.

    Die Tirolerinnen und Tiroler waren beim EU Beitritt keineswegs wehrhaft, sie haben sich blenden und über den Tisch ziehen lassen, wobei die Medien und auch hohe und höchste Politiker eine mehr als zweifelhafte Rolle gespielt haben.
    Interessant wäre in diesem Zusammenhang: wer wusste, was es bedeuten würde, unsere Interessen im Europäischen Primärrecht zu verankern. Wehrhaftigkeit hätte bedeutet, darauf zu bestehen, dass das Transitregime im Primärrecht verankert wird, und nicht zuzustimmen, dass dieses Regime mit 31.12.2003 ausläuft und im Verkehrsrecht Mehrstimmigkeitsprinzip gilt.

    Ein wesentlicher Grund, warum ich als damaliger Europasprecher meiner Partei, nachdem mir in Tirol niemand richtig zuhörte oder Glauben schenkte und es mir nicht gelungen war, selbst Alois Mock und Brigitte Ederer im persönlichen Gespräch zu überzeugen, meiner Partei das „Ja aber“ zum EU Beitrittsvertrag empfohlen habe, was letztlich zur Ablehnung dieses Vertrages führte, war, dass die Interessen Tirols, das bis zum Beitritt ein erträgliches Transitregime hatte, nicht berücksichtigt wurden.

    Ich bin dann aus der Politik ausgeschieden und habe mein Wissen im anliegenden ROT-SCHWARZ BUCH niedergelegt, das alle erheblichen Journalisten in Tirol kennen.

    Vielleicht haben Sie einmal die Muße, es sich zu Gemüte zu führen. Sie werden sehen, dass wesentliche Inhalte des EU Beitrittsvertrages, der mit 2/3 Mehrheit in einer Volksabstimmung angenommen wurde, dem Volk in Tirol verschwiegen wurden. Sonst hätten die Inntaler und die Wipptaler nie und nimmer JA gesagt, meine ich halt – genützt hätte es wenig, sie hätten aber jetzt zumindest ein Argument und müssten sich nicht bei jeder Gelegenheit aus Brüssel, München und Rom ausrichten lassen: pacta sunt servanda.

  2. Reinhold Webhofer

    Lieber Alois Schöpf, ich bin ja ziemlich oft Ihrer Meinung, aber ich muss Ihre Ansichten manchmal etwas relativieren bzw. ergänzen.
    Die Identitätspolitik der Tiroler gipfelt im saudummen Satz „Bisch a Tiroler…“ Andererseits hat sich die Tiroler Wirtschaft zu sehr vom Tourismus abhängig gemacht und die Folgen sieht man jetzt. Das wird sich in den nächsten Jahren noch dramatisch zuspitzen, weil aufgrund des Klimawandels die Alpen zum Hotspot des Wintertourismus werden. Ganz Deutschland wird dort Skifahren wollen. Die Garmischer werden alle im Sellrain sein.
    Und dazu hat man in der EU-Beitrittseuphorie offenbar versäumt oder vergessen, den Transitverkehr zu deckeln. Wenn man so wie ich gestern von Franzensfeste nach Innsbruck fährt, sieht man rechts nur eine LKWWand. Da ist man tatsächlich Opfer der EUPolitik.
    Da muss es eine Entlastung der Bevölkerung geben, das ist unerträglich, und die wird einen Verzicht ergeben müssen: an touristischer Betriebsamkeit und eventuell auch am vermeintlichen Wohlstand, der teuer erkauft ist.
    Dem Transit Verkehr kann man mit verschiedenen Formen des „Widerstands“ begegnen. Die Frächterlobby darf sich nicht durchsetzen.
    Und: Irgendwann wird auch der letzte Tiroler Hotelier im Zillertal verstehen, dass man Geld nicht essen kann.

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