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Alois Schöpf
Wenn Hass Journalismus ersetzt.
Eine "Würdigung" des Bloggers
Markus Wilhelm

Letzte Woche kamen gleich mehrere Anlässe zusammen, die den Standard vom 28. April 2022 unter dem Titel „Tirols Aufdecker Markus Wilhelm stellt nach Kantersieg seinen Blog ein“ zu einer Würdigung veranlassten, die nicht unkommentiert bleiben soll.

Der erste Anlass bezieht sich darauf, dass Markus Wilhelm am 30. April dieses Jahres seinen 65. Geburtstag feierte. Ich stehe nicht an, ihm dazu alles Gute, vor allem Gesundheit und die Fähigkeit zu wünschen, nach einer entsprechenden Schaffenspause im Schatten aufkeimender Altersweisheit und im Rahmen eines vielleicht neuen Vorhabens endlich sein pathologisches Hassbedürfnis zu domestizieren. Seine gnadenlose Abneigung weniger Verhältnissen als Einzelpersonen gegenüber hat ihn nämlich innerhalb des österreichischen Journalismus trotz aller ernstzunehmenden Leistungen im Rahmen seiner Projekte Föhn (1984 – 1998) und der Internetplattform tiwag.org (2004 – 2022) doch nur zu einer eher grotesken Randerscheinung des Ötztalertums in seiner intellektuellen Ausformung gemacht.

Der zweite Anlass bezieht sich auf Wilhelms Absichtserklärung, seine Internetplattform die tiwag.org einzustellen, wobei seine kurze diesbezügliche Stellungnahme in einem evidenten Selbstbetrug gipfelt, wenn er behauptet: „Der Kantersieg gegen Haselsteiner ist ein sehr passender Schlusspunkt.“

Gerade ihm, der schon seit Jahrzehnten dem Kardinalirrtum eines Karl Kraus anhängt, man könne die Welt verbessern und vor Unheil bewahren, wenn es nur gelänge, die Sprache von Lügen und die Grammatik von Fehlern zu reinigen, dürfte nicht die Fehleinschätzung unterlaufen, von einem sogenannten Kantersieg zu sprechen, der laut Lexikon als ein „ziemlich mühelos errungener Sieg mit einem hohen Ergebnis“ definiert wird. Das genaue Gegenteil ist nämlich der Fall, auch wenn ORF und Standard wie Wilhelm selbst die Tatsache, dass er vor Gericht einen letzten Prozess gewann, zum Anlass nehmen, um ihn als Kämpfer für Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit hochleben zu lassen.

Haselsteiner, der sich von Wilhelm auf breiter Front in seiner bürgerlichen Reputation auch als einer der reichsten Österreicher und als einer der großzügigsten Förderer der heimischen Musik-und Kunstszene angegriffen fühlt, zettelte nicht deshalb eine ganze Reihe von Prozessen gegen ihn an, um sie zu gewinnen und ihn damit zu ruinieren, was naturgemäß auch im Bereich des Möglichen gewesen wäre, woraus für Wilhelm zweifelsfrei eine erhebliche psychische Belastung resultierte, sondern um ihn über Jahre hinaus juristisch zu beschäftigen und ihm dadurch die Energie für weitere journalistische Arbeiten und Attacken zu nehmen.

Dass Haselsteiner dies durchaus gelungen ist, geht schon allein aus der Tatsache hervor, dass die die tiwag.org-Internetplattform nunmehr schon seit Jahren ihres wichtigsten Elements, des Forums beraubt wurde, in dessen Mahlstrom der anonymen Miserabilitäten sich Tirols frustriertes Spießertum mit allerhöchstem Genuss, hohen Zugriffszahlen und im Schutz der Anonymität austoben konnte. Es geht auch daraus hervor, dass Wilhelm seine Plattform nunmehr einstellt, obgleich er gegen Haselsteiner im letzten der Prozesse ausgerechnet jene journalistische Freiheit durchgesetzt hat, weiterhin öffentlich seine Meinungen und Recherchen über die Tiroler Festspiele Erl veröffentlichen zu können. Der sogenannte Kantersieg ist also in Wahrheit nichts anderes als eine Bestätigung dafür, dass Haselsteiner sein Ziel erreicht hat. Zumindest vor Gericht!

Was beide Kombattanten, Wilhelm und Haselsteiner, außerhalb des Gerichts und für die Tiroler und österreichische Kultur erreicht haben, war schon mehrfach Gegenstand meiner Analyse. Der Flurschaden ist beträchtlich!

Arm in Arm mit einer inkompetenten, sich dem Zeitgeist anbiedernden Politik ist es ihm und Haselsteiner nämlich gelungen, abseits jeder Rechtsstaatlichkeit den Gründer der Tiroler Festspiele Erl und charismatischen Dirigenten Gustav Kuhn in die Verbannung nach Italien zu schicken und an seiner Stelle eine neue, kreuzbrave Intendanz zu installieren, die als Außenstelle der Frankfurter Oper und als Nachwuchsschmiede für den mitteleuropäischen Opernbetrieb fungiert, das Festival jeglichen Glanzes beraubte, seine Marke ruinierte und zu einem vom österreichischen Steuerzahler mitfinanzierten irrelevanten Hobby des Bautycoons Haselsteiner verkommen ließ. Wobei sich naturgemäß die Frage stellt, wie lange Haselsteiner, der meist genau weiß, was er tut, diesem Niedergang noch zuschauen wird.

Die offenbar nicht beherrschbare Hasslust des Autors Markus Wilhelm, der seinem Nationalmarxismus nie abgeschworen hat und demzufolge wissen müsste, dass es auch in der Kultur mehr um Systeme denn um Personen geht, hat ihm die Erkenntnis unmöglich gemacht, dass die Missstände, die er in Sachen Lohndumping, Steuerhinterziehung oder Umgehung von Versicherungspflichten bei den Tiroler Festspielen Erl aufzeigte, auch in allen anderen Bereichen der subventionierten Kulturszene gang und gäbe sind.

So mussten etwa die Festwochen der Alten Musik in Innsbruck ca. 250.000 € an die Krankenkassen nachzahlen, weil bei ihnen Arbeitende offenbar nicht ordnungsgemäß gemeldet worden waren. Warum hat Wilhelm sich nicht darüber aufgeregt? Warum hat er sich nicht darüber aufgeregt, dass dieselben Festwochen schlicht und einfach darauf vergaßen, über 300.000 € an Bundessubventionen abzurufen? Dagegen sind die sogenannten Verstöße in Erl geradezu lächerlich, wie ja die katastrophalen Zustände in Sachen Machtmissbrauch, Gagen, Aufwandsentschädigungen, Arbeitszeiten und Vertragsunsicherheiten nicht nur flächendeckend den Künstlern und Veranstaltern selbst, sondern auch den Subventionsgebern bekannt sind, was zuletzt zu einer sogenannten „Fair Pay“-Bewegung geführt hat, von der man heute schon sagen kann, dass sie sich wie viele andere Bemühungen, den Sumpf einer strukturell korrupten Szene trocken zu legen, als Augenauswischerei erweisen wird.

Mit seinem auf Personen fixierten Hass hat Wilhelm im Grunde immer nur Einzelpersonen ruiniert. Und er kann, wenn er sich nunmehr als verdienter Hass-Pensionist vor seine Ötztaler Fremdenpension setzt und selbstzufrieden eine Pfeife raucht, wahrlich auf ein Lebenswerk zurückblicken, das an den Missständen nichts geändert hat, den professionellen Medien und ihren darin um geile Stories raufenden Mitarbeitern vielmehr immer wieder servil den Anlass bot, sich mit Verweis auf ihn, den Ötztaler Blogger, das Mäntelchen der Kritik umzuhängen und zu diesem Zwecke vom Establishment zum Abschuss freigegebene Delinquenten zum Gaudium des Publikums öffentlich hinzurichten.

Welche Auswirkungen zum Beispiel, um nur die vom Standard hervorgehobenen Heldentaten zu zitieren, hatte die Frage, ob der damalige Landeshauptmann Herwig van Staa den damaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer als „Schwein“ bezeichnet oder lediglich „schweigen“ gesagt hatte, auf Österreichs Politik? Wahrhaft keine! In gleicher Weise wie auch die Tatsache, dass ein ehrgeiziger Dominik Schrott seinen Privatwahlkampf für Sebastian Kurz als Gewinnspiel getarnt und Herr Switak von einem reichen Liftkaiser, dem Gottseibeiuns für jeden kritischen Tiroler, eine angeblich zu billige Wohnung gemietet hatte, absolut nichts bewirkte außer, dass der Ruf und die Karriere der öffentlich Denunzierten zerstört wurde und zerstört blieb, obgleich die bekanntlich nicht gerade zimperliche WKStA alle diese Fälle zurückgelegt hat.

Statt wichtige systemische Fragen zu stellen (wie Wilhelm es am Beginn seiner Blog-Arbeit in Zusammenhang mit den Crossboarder Leasing-Geschäften der TIWAG zweifelsfrei getan hat), ob etwa die Verbindung zwischen Politik, Politikern und Vereinen, die gegründet wurden, um politisch Verantwortung abzuschieben, noch zeitgemäß und zur Problemlösung imstande ist, wurde der stets um Dialog bemühte, zum damaligen Zeitpunkt schwer erkrankte und zweifelsfrei aufgrund seiner Eitelkeiten zuweilen angreifbare ehemalige Landtagspräsident Helmut Mader dem Fraß seiner eigenen charakterlosen Parteifreunde vorgeworfen und zugelassen, dass ihm die Ehren, die er sich errungen hatte, wieder verloren gingen. Auch gegen ihn wurden sämtliche Untersuchungen eingestellt.

Und, um ein letztes Beispiel anzuführen: Statt die Tatsache anzugreifen, dass besonders in Tirol die Musizierlust der Bevölkerung und ein breit ausgefächertes Musikschulwesen dazu missbraucht werden, um eine reaktionäre, revisionistische, patriarchalische und katholische Fassade angeblich gelebter Volkskultur aufrecht zu erhalten, stellte Wilhelm sein Forum den intriganten Rangkämpfen innerhalb der Kaiserjägermusik zur Verfügung, was zur Folge hatte, dass ein Orchester, das eigentlich dazu da wäre, ein musikalisches Weltkulturerbe auf professionellem Niveau zu verwalten, heute ruiniert ist und nicht einmal mehr das Niveau einer Dorfkapelle vorweisen kann. Gratulation!

Wenn all das guter Journalismus ist, dann bin ich geradezu stolz darauf,  von Markus Wilhelm  in seinem Blog mit anderen etablierten Kollegen zu den Totengräbern des Tiroler Journalismus gezählt worden zu sein. Für mich gilt nämlich das Prinzip, dass ich mich moralisch nicht als höher stehend empfinde als meine Mitmenschen, und dass ich stets in der Lage sein möchte, all jenen, die ich noch so scharf kritisiert habe,  weiterhin ohne Krampf die Hand geben und in die Augen schauen zu können.


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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. otto rieding

    Das Sperren des „Forum“ war unbedingt notwendig.

  2. Mag. Priska Szczutkowski

    Sehr geehrter Herr Schöpf!
    Beim Lesen Ihrer einschätzenden Betrachtung hinsichtlich der Meriten den Blogger Markus Wilhelm betreffend beschleicht mich der Eindruck, dass hier eine nicht geringe Menge an negativer Energie zur Entladung kommt. Schade eigentlich. Schließlich ist Ihnen doch die Begegnung mit Ihren Mitmenschen auf Augenhöhe wichtig. Herr Wilhelm muss Ihnen nicht sympathisch sein, eine dermaßen elegische Verunglimpfung eines Standesgenossen gereicht Ihnen leider nicht zur Größe, sondern zur verbittert verbrämten Achtungsheischerei, die zu erreichen Sie anstreben, indem Sie Ihr Gegenüber abzukanzeln versuchen. Ungeachtet der von Ihnen ins Gerede gebrachten Beispiele resultiert Ihr Beitrag doch in dem ultimativen Umstand Ihrerseits, nur soviel schreiben zu wollen, als es der Zulässigkeit derer bedarf, über die Sie schreiben. Das kann niemals der Zugang zu aufrecht und ehrlich gemeintem investigativem Journalismus sein. Was konkret werfen Sie also Herrn Wilhelm vor? Dass er das äußerst Mögliche gedacht hat? Dass er den ultimaiven Fall angenommen hat? Dass er sich nicht im geschützten Bereich der Mittelmäßigkeit, sondern der Grenzregion des äußerst Möglichen bewegt hat? Angepasster Journalismus bleibt verbindlich. Einen solchen braucht aber niemand.
    Mit freundlichen Grüßen

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