Alois Schöpf
Wahrheitsinteresse vorausgesetzt
Nachtrag zur „Haubenkultur für Tirol“
Wie könnte ein Testverfahren
in Sachen kultureller Relevanz und Qualität
konkret funktionieren?

In meiner TT-Kolumne vom 09. Dezember 2023 stellte ich fest, dass Tirols Kulturförderung aus einer chaotischen Zusammenballung von historisch gewachsenen, rückwärtsgewandten Privilegien, dem Gießkannenprinzip bzw. ÖVP-nahen, netzwerkartigen Freunderl- und Freundinnenwirtschaft besteht.

Völlig irrelevant ist dabei die eigentlich zentrale Frage nach Relevanz und Qualität der um öffentliche Steuermittel ansuchenden Projekte. Ich schlug in diesem Zusammenhang vor, sich doch ein Beispiel am Restaurantführer Gault Millau zu nehmen, der durch seine vor allem durch die Gefahr der Rufschädigung bedingten tunlichst objektiven Testungen zu einer beträchtlichen Niveausteigerung der heimischen Gastronomie geführt hat.

Der Leser des schoepfblog Otto Bucher stellte nun auf diesen Vorschlag hin in seinem Leserbrief vom 25. 12. 2023 die skeptische Frage, wer denn die Tester auswähle und ob nicht wiederum zu erwarten sei, dass durch die entsprechende Auswahl die einen, Musikkapellen, Trachtler, Volkstänzer, Landestheater, etablierte Bühnen und Orchester (1), vor den Fragen nach Relevanz und Qualität geschützt würden, die auch heute schon weniger geliebten Initiativen jedoch mit schlechten Bewertungen rechnen müssten.

Ja! Herr Bucher, Sie haben leider recht! Schlagender Beweis für ihre Skepsis ist der sogenannte Kulturbeirat, dem anzugehören ich einige Jahre lang die zweifelhafte Ehre hatte. Statt zu beraten sicherten sich, so meine Erfahrung, die Beiräte bei gleichzeitiger Absonderung hochtrabenden Geschwätzes ihre Pfründe ab und hüteten sich, auch wenn sie selbst keine hatten, nach dem Prinzip, dass eine Krähe nicht der anderen die Augen aushackt, die Kollegenschaft bei der Bewirtschaftung ihrer Privilegien zu stören. Das ist bis heute so geblieben. Beraten wird nur dann, wenn die Kulturpolitik, selten genug, etwas entscheiden muss, das sie unbeliebt macht. Dann darf der Kulturbeirat sich eitel hinstellen und brav alles absegnen. Es ist noch nie vorgekommen, dass er es nicht getan hätte!

Ich habe meinen Vorschlag sehr wohl im Wissen um diese Missstände gemacht, und zwar deshalb, weil ich der Redaktion des Gault Millau unterstelle, sich einem authentischen Wahrheitsinteresse unterzuordnen, da nur so das Ziel erreicht wird, dem kulinarischen Genießer, der den Gastroführer kaufen soll, eine den Realitäten entsprechende Orientierung zu bieten.

Das Interesse politischer Parteien strebt hingegen weniger, manchmal durch Schönheitssinn positiv verunreinigt, Wahrheitsinteresse, denn vielmehr den nächsten Wahlsieg an, was in der Kultur auf die Förderung gehobener Unterhaltung und durch die großzügige Finanzierung derselben auf die Marktverdrängung des Unruhigen, Innovativen, Unbotmäßigen, also auf die völlige Unterschätzung der Bedeutung der Kreativwirtschaft insgesamt hinausläuft.

Warum sollte es dennoch sinnvoll sein – ausnahmsweise auch einmal von Seiten der Politik Wahrheitsinteresse vorausgesetzt – von den Testverfahren des Gault Millaut zu lernen und eine objektive und verantwortungsvolle Bewertung und Begründung auch kultureller Projekte nach Maßgabe ihrer Relevanz und Qualität anzustreben?

Wobei es vorerst zu klären gilt: Wie erreicht Gault Millau seine Ziele?

Zum einen ist entscheidend, so die Angaben der Redaktion auf Anfrage, dass die jeweiligen Tester ihrer Tätigkeit nicht in ihrem eigenen Lebensumfeld nachgehen dürfen. Sie müssen von auswärts kommen. Des Weiteren dürfen sie nicht Profis, also in diesem Fall nicht Profiköche sein, müssen allerdings sehr wohl etwas von Gastronomie verstehen, also erfahrene Genießer sein und vor allem schreiben, also ihre Gutachten in einer klaren und verständlichen Sprache abfassen können.

Die Tester können sich übrigens bei Gault Millaut bewerben. Die Initiative geht in der Regel nicht, wie bei Guide Michelin, von der Redaktion aus. Bezahlt wird nichts, Spesen werden ersetzt, dies allerdings durchaus großzügig, sodass auch ein Gasthausbesuch mit Familie inkludiert sein kann.

Entscheidend ist, dass die Tester, bevor sie auf die Gasthäuser losgelassen werden, ihrerseits getestet werden, konkret durch Entsendung in Restaurants von bekannter und über Jahre gleichbleibender Qualität, sodass es möglich ist, ihre Ergebnisse mit jenen früherer Besuche zu vergleichen und Kompetenzen abzuklären. Zuletzt werden besonders profilierte und herausragende Lokale mehrfach von mehreren Personen besucht.

Und es versteht sich, dass dies alles vertraulich abläuft. Niemand weiß, wer die Tester sind. Dies ist nicht nur eine Voraussetzung für ihre Unabhängigkeit und Objektivität, es verhindert auch Korrumpierungsversuche und schützt bei schlechter Kritik vor Rufschädigungsklagen oder gar privaten Rachefeldzügen.

Was spricht dagegen, diese Systematik auch auf Konzerte, Theater, Opernhäuser, Kabaretts, sogenannte Alternativzentren, staatliche TV- und Hörfunksender, auf Filmproduktionen, aber auch auf Museen, Galerien, Konservatorien, Musikschulen, kurz und gut auf all jene Einrichtungen anzuwenden, die mit der Begründung, der Kultur des Landes dienlich zu sein, öffentliche Mittel erhalten? 

Und dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die Budgetmittel für Kultur bestimmt nicht mehr werden, also zwangsweise zielgerichteter eingesetzt werden müssen, und zugleich die Förderung des Mittelmaßes die teuerste Methode ist, das Steuergeld der Bürger beim Fenster hinaus zu werfen.

Voraussetzung wäre natürlich auch in der Kultur gesicherte Anonymität, zugleich die überprüfte, umfassende Bildung der Tester, die Tatsache, dass sie von auswärts kommen und nicht aktive Künstler sind, die ihre eigenen Strategien, Freundeskreise, Netzwerke und Schulen zu promoten versuchen, wie es in den heute tätigen Jurys gängige Praxis ist. Voraussetzung wäre ebenso eine langjährige Erfahrung als Konzert- und Opernbesucher, als Museums- oder Ausstellungsbesucher, Medienkonsument oder als Schüler in öffentlichen Musikschulen und Fortbildungseinrichtungen.

Wobei zwei Aspekte in diesem Zusammenhang von besonderer demokratiepolitischer Relevanz sind. Die Politiker wären durch die Gutachten, die ihnen über die verschiedenen kulturellen Einrichtungen vorerst abseits der Öffentlichkeit zukommen, mitnichten gezwungen, wie sie es heute bei öffentlichen Juryentscheidungen auf medialen Druck hin mehr oder weniger sind, Empfehlungen und Reihungen zu folgen, sie könnten, wenn sie denn wollten, transparent die Gutachten und ihre eigene, eventuell sogar gegenläufige Argumentation vorlegend, im eigentlichen Sinn politisch tätig werden.

Wie es übrigens die Stadt Innsbruck unter ihrer damaligen Bürgermeisterin Oppitz-Plörer tat, der vonseiten eines hochkarätigen Gutachtens die Einstellung der Patscherkofel-Bahn aufgrund mangelnder Rentabilität nahe gelegt wurde. Sie entschied sich fürs Gegenteil, wurde aufgrund überhöhter Baukosten abgewählt und hatte zuletzt dennoch heldenhaft recht: die Bahn wird von Einheimischen und Touristen sowohl im Sommer als auch im Winter bestens akzeptiert und macht, man glaubt es kaum, sogar kleine Gewinne.

Zuletzt wäre das Testverfahren à la Gault Millau aber auch durch das urdemokratische Schöffenprinzip bzw. durch das Prinzip der aleatorischen Demokratie in Gestalt von Bürgerparlamenten legitimiert, wonach eine per Zufall ausgewählte, fachlich kompetente und untadelige Vertretung der Bürgerschaft dafür sorgen würde, im Sinne von Relevanz bislang aus öffentlichen Mitteln finanzierte künstlerische Claims und solipstistische Egomanien ohne Publikum zurückzudrängen und die Relevanz staatlich geförderter Kultur in höchster Qualität wieder näher an ein breites Publikum und seine legitimen Interessen heranzurücken.

(1) Link: https://schoepfblog.at/alois-schopf-hauben-kultur-fur-tirol-apropos/

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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