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Alois Schöpf
Total überfordert
Apropos

Totengedenken, dunkel, Föhn, dann wieder Regenwetter. Das sind nur die üblichen spätherbstlichen Bedingungen. Zu ihnen gesellen sich globale Probleme, die nicht nur für Pessimisten den Eindruck erwecken, die Welt taumle am Abgrund entlang. Und das überfordert immer mehr Zeitgenossen!

Dabei sind das besonders Überfordernde nicht nur die Nachrichten selbst, die mit schrecklichen Bildern einen guten Magen voraussetzen. Überfordernd ist auch, dass wir als brave Demokraten die Verpflichtung verspüren, uns zu all den Schrecknissen auch noch eine Meinung bilden zu müssen.

Endgültig belastend wird es, wenn man Angst haben muss, sich mit der falschen Meinung auszugrenzen. Als Migrationsgegner ein Rechtsradikaler! Als Klimakatastrophenskeptiker ein Betonschädel. Als ein über die Morde der Hamas und andererseits über die Zerstörung des Gazastreifens Entsetzter ein Antisemit! Als Feind des Genderns ein Macho! Als Gegner von mehr Waffen in die Ukraine ein Putin-Versteher.

Eine hysterische Gesellschaft hat sich zunehmend vom rationalen Dialog, der bei aller Schärfe beruhigend, weil klärend wirkt, verabschiedet. Was bleibt, sind unverarbeitete Emotionen, die nicht wenige, vor allem Jugendliche, verrückt machen. Vielen scheint da nichts anderes möglich zu sein, um sich zu schützen, als aus dem Zeitgeschehen auszusteigen und sich der Politik zu verweigern.

Und das ist für ein Land bestimmt nicht gut.

Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 04.11.2023

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Webhofer Reinhold

    S.g. Hr. Schöpf, wieder drängt mich nicht der Anstreicher, um auf Brecht anzuspielen, sondern Ihr Kommentar zum Schreibtisch…
    Die Emotionalisierung und damit Polarisierung der Gesellschaft ist ein Phänomen, das schon seit Jahren funktioniert. Corona wäre als Musterbeispiel zu erwähnen…. aber wieder vergessen….oder gar aufgearbeitet? Fehlanzeige.
    Von dieser Polarisierung profitieren die Politik, was aber kurzsichtig ist, und das eigentlich vorgesehene Korrektiv der Politik, die Medien, in beträchtlichem Ausmaß auch, anstatt die Dinge
    in die richtige Reihenfolge zu bringen und einzuordnen. Dazu ist die Berichterstattung zum Hamas-Überfall ein gutes Beispiel.
    Dass diese scheußliche Tat auch das Ergebnis der Politik der israelischen Regierungen ist, wurde völlig verschwiegen. Dann wundert man sich, wenn arabischstämmige Jugendliche Sympathie für die Hamas bekunden.
    Habe ich selber im Unterricht erlebt.

  2. Hans-Peter Müller

    Das Verlangen nach Sensationen ist von hohem öffentlichen Interesse, und es lässt sich nicht bändigen. Klimakatastrophe, Werbung für Katzenfutter und Potenzmittel, Krieg in der Ukraine, Terror in Palästina, watschelnde Erwachsene in einem Spot für Kinder Pinguí, Promi-Seitenblicke, Start des Ski-Weltcups in Sölden, das Artensterben beschleunigt sich, Skandal um die Austragungsstätten der Fußball WM, sensationell belanglose Meldungen, vordergründige, hintergründige, gültige, gleichgültige, relevante und irrelevante Nachrichten. Alles in einem Brei, der jeden Tag gleich schmeckt. Und es gibt alles. Und mit dem „und“ wird alles zum Nachbarn im Brei. Es wird wohl niemand glauben, dass jemand das alles verarbeitet. Wir sind wohl selbst für die Regulation des Nachrichtenstromes verantwortlich, dem wir uns aussetzen.

  3. Karlheinz Veit

    Hervorragender Kommentar! In einer Nachrichtenwelt, wo von allen Seiten soviel gelogen wird, enthalte ich mich auch der Stimme….! Außerdem schaue ich nun schon seit Jahren nur mehr die arte-Nachrichten und auch die zeigen eine klare Tendenz. Es gibt nirgendwo Objektivität und Wahrheit!!! Man wird ja depressiv, wenn man all die Negativnews von Gaza bis Kiew jeden Tag verarbeiten möchte oder will und das ausgerechnet auch noch im November….!

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