Alois Schöpf
Kein Erfolg ohne kluge Terminplanung
Essay

Jedes Orchester ist eine Höchstleistung an sozialer Kompetenz. Dies gilt nicht nur für die Mitglieder professioneller Orchester, sondern in besonderer Weise auch für Amateure, deren Amateurhaftigkeit, wenn ihr Auftritt nicht dilettantisch wirken soll, sich auf die Fähigkeit bzw. mangelnde Fähigkeit, ein Instrument zu spielen, zu beschränken hat. Eine Methode, dieses Manko ein wenig auszugleichen, besteht bekanntlich darin, einen Musikverein besonders professionell zu führen.

Dies jedoch bedeutet, dass die Musikerinnen und Musiker nicht nur aufgrund korrekter Probenarbeit möglichst wenig falsche Töne spielen, es besteht auch darin, dass bei sogenannten Ausrückungen und Konzerten alle verlässlich erscheinen und das auf ein Klangideal hin zusammengestellte Orchester in allen Registern zufriedenstellend besetzt ist. Einer der Obmänner, ein erfahrener Lehrer und Schuldirektor, mit dem gemeinsam ich einige Jahre als Dirigent zusammenarbeiten durfte, brachte es auf den Punkt, wenn er den versammelten Damen und Herren immer wieder predigte: „Es gibt nur zwei Dinge, bei denen ein Musiker frei entscheiden kann: das sind der Eintritt in den Verein. Und der Austritt aus dem Verein.“

In den Niederungen des musikalischen Alltags haben wir uns solch klare Worte tunlichst abgewöhnt. Wir haben es uns vielmehr zur Gewohnheit gemacht, um nur ja niemanden zu beleidigen, den Musikerinnen und Musikern demutsvoll zu danken, wenn sie erschienen sind, und sie untertänigst zu bitten, sich auch das nächste Mal wieder Zeit zu nehmen.

Wer bei einem professionellen Orchester unentschuldigt nicht erscheint, riskiert Strafzahlungen oder gar die Kündigung, über die sich dann all jene, die zu einem Probespiel eingeladen werden, freuen dürfen. Über derlei Sanktionsmöglichkeiten verfügen Amateurorchester nicht. Unverlässlichkeit schlägt sich hier unmittelbar in der Qualität des Auftritts nieder, sofern Obmann und Kapellmeister nicht die Mühe auf sich nehmen, im letzten Moment, sofern dies noch möglich ist, Substituten zu engagieren und damit die erforderliche Orchesterbesetzung einzuhalten. Wenn dies nicht gelingt, bleibt dem Dirigenten nichts übrig, zu den Anwesenden freundlich zu sein, obgleich ihm durch die unentschuldigt Abwesenden jegliche Lust dazu verdorben wurde: Eine klassische Double Bind-Situation, die man ab einem gewissen Alter nicht mehr zu ertragen bereit ist.

Aufgrund der durch die Pandemie bedingten Zwangspause und dem dadurch bedingten de facto Neustart der Vereine bestünde nunmehr jedoch die große Chance, dass in all jenen, die bisher nur halbherzig beim Musikverein waren und durch ihr schlechtes Vorbild immer wieder Schaden anrichteten, der Entschluss gereift ist, das nur mäßig geliebte Hobby endlich bleiben zu lassen. Es ist kein Fehler, so schmerzhaft es im ersten Moment auch erscheinen mag, auf solche Zeitgenossen zu verzichten. All jenen jedoch, denen die Musik und das gemeinsame Musizieren ein tiefes Bedürfnis ist, dürfte durch die Pandemie eindrücklich vor Augen geführt worden sein, welche künstlerische und menschliche Heimat sie in einem Musikverein vorfinden, woraus doch zumindest folgen sollte, dass auch die Solidarleistungen diesem Verein gegenüber in Zukunft noch ernster genommen werden.

Eine kluge Terminplanung, wie im Titel des Kommentars angeführt, sollte nun auf keinen Fall darin bestehen, diese höhere Bereitschaft durch noch häufigere, noch kurzfristigere, künstlerisch fragwürdige und planlose Ausrückungstermine zu missbrauchen. Dies ist in der Vergangenheit bereits zu oft geschehen, eine entscheidende Ursache dafür, dass gewissen Mitgliedern auch beim besten Willen, sich korrekt zu verhalten, in der Schere zwischen Familie und Beruf ein Erscheinen aus Termingründen nicht möglich war.

Einem Kommentator steht es nicht zu, Musikvereinen von oben herab vorzuschreiben, wie oft, wo und wie sie zu konzertieren haben. Dies müssen sie in freier Autonomie selbst entscheiden. Wobei an dieser Stelle die Bemerkung des prominenten niederländischen Militärkapellmeisters Gert Buitenhuis nicht unerwähnt bleiben soll, dass wir uns, zumindest in Österreich und im süddeutschen Raum, glücklich schätzen sollten, als Musikkapellen und Blasorchester aufgrund uralter Traditionen und ritueller Bindungen stark nachgefragt zu werden. In den Niederlanden, so Buitenhuis, habe der allgemein praktizierte narzisstische, individualistische und egoistische Hedonismus längst dazu geführt, dass nicht nur das Erlernen eines Instruments als viel zu anstrengend empfunden werde, sondern auch die gemeinsamen weltlichen und religiösen Feste, die bisher von Blasmusikkapellen umrahmt wurden, immer mehr an Attraktivität verloren haben.

Wenn ich daher in meinem letzten Kommentar daran erinnerte, dass viele Musikbegeisterte einem Musikverein deshalb nicht beitreten, weil sie sich aus ihrer Sicht überholten und antiquierten Ritualen zu unterwerfen haben, muss ebenso hinzugefügt werden, dass es gefährlich sein kann, in dieser Sache allzu wählerisch zu sein. Was nämlich würde zu bigotte weltanschauliche Keuschheit nützen, wenn sie damit erkauft werden müsste, ohne Engagement und Nachfrage dazustehen? Auch hier ist also seitens der Vereinsführung ein kluges Abwägen erforderlich.

Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Vereinsautonomie können somit einige allgemeine Parameter definiert werden, die in der Vergangenheit, zumindest was meine persönlichen Erfahrungen betrifft, zu wenig beachtet wurden und die, aufbauend auf einer erhöhten Bereitschaft zu solidarischen Leistungen, in Zukunft berücksichtigt werden sollten.

1. Vereine neigen in der Regel dazu, zu viele Termine wahrzunehmen. Im Rahmen einer Generalversammlung soll daher auf Basis einer Umfrage klar definiert werden, wie viele Termine pro Jahr die Vereinsmitglieder wahrzunehmen bereit sind und ob diese Termine sich auf künstlerisch hochwertige Konzerte, Begleitung von weltlichen Festen, Begleitung von religiösen Festen, Standkonzerte oder auf Marschausrückungen beziehen sollten.

2. Es versteht sich, dass Termine im Zeitalter langfristiger Urlaubsplanung und strenger Berufslogistik langfristig vorangekündigt werden müssen. Vereinsmitglieder, die bereits aus solch langfristiger Sicht ihre Anwesenheit nicht zusagen können, sollten sich im Gegenzug bereit erklären, von sich aus für Ersatz zu sorgen. Vereinsmitglieder, die sich genötigt sehen, kurzfristig eine Teilnahme abzusagen, sollten dafür einen Beitrag in die Vereinskasse bezahlen, da es unter keinen Umständen angeht, die Suche nach Substituten im letzten Moment kommentarlos dem Obmann oder dem Kapellmeister zu überlassen (siehe oben: Double Bind).

3. Um die Schadensbegrenzung bei solchen Ausfällen, von denen im Übrigen auch professionelle Orchester betroffen sind und für die in der Regel ein eigenes Orchesterbüro zuständig ist, zu entkrampfen, würde es sich empfehlen, in Absprache mit befreundeten Orchestern in der Nachbarschaft bei gleichzeitiger Verpflichtung, niemanden abzuwerben, einen sogenannten Aushilfspool aufzubauen. Er würde aus gut ausgebildeten, wohl meist jungen Musikerinnen und Musikern bestehen, die bereit sind, für ein kleines Taschengeld bei anderen Orchestern auszuhelfen, um sich damit zugleich eine umfassendere Kenntnis des Repertoires anzueignen.

Ziel all dieser Bemühungen muss es auf jeden Fall sein, um es noch einmal zusammenzufassen, bei jeder Ausrückung, deren künstlerische, aber auch finanzielle Bedeutung im Vorfeld zu überprüfen ist, perfekt und mit dem gewünschten Klang, zuletzt also künstlerisch überzeugend auftreten zu können.

Erschienen in: Blasmusik, Offizielle Fach- und Verbandszeitschrift des Bundes Deutscher Blasmusikverbände, März 2021

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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