Print Friendly, PDF & Email

Alois Schöpf
Standing Ovations
Apropos

Wenn sich das Publikum am Ende etwa eines Musicals zum Applaus erhebt, ist das die höchste Auszeichnung, die Künstler für ihre Leistung entgegennehmen können. Inzwischen ist diese Gepflogenheit endemisch geworden. Daraus den Schluss zu ziehen, dass sich das Niveau unserer Konzert- und Theateraufführungen ins Unendliche gesteigert habe, ist allerdings gewagt.

Da bieten sich schon plausiblere Erklärungen an.

Zum Beispiel, dass viele, die heute in Kulturveranstaltungen strömen, was ja an sich erfreulich ist, sich ihre Qualitätskriterien bei den Frühjahrskonzerten der heimischen Musikkapelle und bei den Aufführungen der dörflichen Theatergruppe in Kooperation mit dem zur Abwechslung ins Musicalfach ausweichenden Kirchenchor erarbeitet haben.

Es gibt natürlich noch eine andere Erklärung, warum konsumbewusste Zeitgenossen, die Karten zwischen 70 und 120 Euro gekauft haben, begeistert sind. Weil sie es sein müssen!

Niemand gesteht sich nämlich gern ein, dass er sein kostbares Geld, und wenn es auch nur 5 Euro wären, fahrlässig beim Fenster hinaus geworfen hat. Daher müssen, wie auch der jährliche Urlaub, allfällige Darbietungen schon allein aufgrund des Adels der hochmögenden eigenen Anwesenheit großartig ausfallen.

Toll für das aufstehfreudige Publikum! Toll für die Künstler! Eher schlecht für die Kultur! Und vor allem eine Qual für all jene, die nicht vergessen können, was Qualität ist.

Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 20.08.2022

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Doris Sommerer

    Sehr geehrter Herr Schöpf!
    Ich lese mit Begeisterung Ihre Kolumnen in der TT und kann nur meine Bewunderung ausdrücken, wie realistisch und offen Sie mit den diversen Themen umgehen. So auch Ihre letzte Kolumne „Standing Ovations“, in der Sie die mangelnde Kritikfähigkeit des sogenannten Kulturpublikums auf den Punkt bringen.
    Bei dieser Gelegenheit fiel mir wieder der vielumjubelte und von sogenannten Kunst- und Kulturexperten umschwärmte Blutkünstler Nitsch ein. Bei dessen Aktionen sogar das Kreuz herhalten mußte, um seine Abartigkeiten abzuarbeiten. Auch die katholische Kirche hat zu dieser Blasphemie kein Wort verloren. Die sogenannte feine Gesellschaft und unsere politischen Vertreter haben sich bei diesen perversen Aktionen ein Stelldichein gegeben und auch noch mit Steuergeldern hoch subventioniert. Noch abartiger ist aber das Hofieren des zu jahrelanger Gefängnisstrafe verurteilten Kinderschänders Otto Mühl durch die sogenannte bessere Gesellschaft Wiens. Es gibt noch einige derartige Beispiele.
    Und wenn man sich die verschandelten Inszenierungen der diversen Festspiele anschaut, muß ich sagen, daß ich lieber als Banause gelte als solche Abartigkeiten und Perversitäten hochzujubeln.
    Wenn die Sonne der Kunst und Kultur im Sinken ist (und das gilt für Österreich), dann werfen auch Zwerge große Schatten.
    Danke für Ihre Aufmerksamkeit und Danke für Ihre treffenden Kommentare.

    1. Hans Pöham

      In Gotteshäusern aber, da ebben die stehenden Ovationen schon deutlich ab. Die sogenannten Gläubigen, die wenigen verbliebenen, die bleiben in den Bänken anständig. Das kann Hoffnung machen. Es sind dies doch Mut machende Schritte gewonnener Kritikfähigkeit. Ob es das Ende der Blendung vor den Perversionen unterm Kreuz bedeutet? Wer weiß? Jedenfalls die Sonne scheint im Steigen, diese düsteren Schatten scheinen zumindest zu verschwinden.

  2. Reinhold Webhofer

    Sg Hr Schöpf, ich muss Ihnen wieder mal zustimmen, auch im Bereich der Kultur wird oft nur konsumiert wie beim Essen oder auch beim Sport in den Bergen.
    Die tiefere Auseinandersetzung fehlt, gefördert auch durch soziale Medien etc.

  3. Richard Mayr

    Hallo Herr Schöpf,
    ich kann Ihrem Nachbarpfarrer nur beistimmen. Ich bin beim Lesen des Apropos AUFGESTANDEN.
    Beste Grüße

  4. Magnus Roth

    Standing ovations for you !!!!
    Der Nachbarpfarrer

  5. Ingelies Zimmermann

    Lieber Herr Schöpf!
    Wie immer habe ich mit viel Vergnügen Ihren Beitrag in der T.T. gelesen. Was Applaus betrifft, so haben sie einen ganz wesentlichen Grund übersehen. Nämlich den, dass manche Konzertbesucher nach einer mehr oder minder erfreulichen musikalischen Darbietung so froh und erleichtert sind, dass sie sich endlich etwas Luft verschaffen können. Sei’s auch nur durch Applaus, aber besser als nichts!

  6. Christine Holzner

    Sehr geehrter Herr Schöpf,
    absolut d‘accord, dass nicht alles Gold ist, was glänzt bzw. mit übertriebenem Gehabe zu Gold hochgejubelt wird. Einer der Begründungen, woran das liegen könnte, kann ich aber nicht zustimmen. Die wird der Qualität der heimischen Musikkapellen, der dörflichen Theatergruppen und des örtlichen Kirchenchors nämlich nicht gerecht. Ich würde im Gegenteil sogar die These aufstellen, dass die „Standing Ovations People“ gerade keine Gelegenheiten genutzt haben, ihre Sinne bei Aufführungen dieser Art zu schulen. So wie das früher üblich war.

Schreibe einen Kommentar