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Alois Schöpf
Nicht das Predigen,
sondern nur die Aufklärung hilft!
Über die Kompetenz von Anti-Antisemiten
Essay

Imagine there’s no countries
It isn’t hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion, too
John Lennon

Ist uns bewusst, wie seltsam dieses Verbot einer Analyse ist?
Slavoj Žižek

Seitdem ich lebe, und das ist zum Glück schon lange, werde ich belehrt und es heißt: Du sollst nicht! Du darfst nicht!

Da ich immer schon ein ethischer Skrupulant war, hätte ich auf diese Art fast meine Erstkommunion verpasst, weil ich der Ansicht war, dass ich nach der ersten Beichte meines Lebens noch einmal unzulässiger Weise eine Süßigkeit zu mir genommen hatte, was ich als schwere Sünde und damit als Ausschlussgrund empfand, zur Kommunion zu gehen.

Auch das Onanie-Verbot, das meine jesuitischen Erzieher nie ganz klar aussprachen, aber doch bei einer bewusst gegen Gott ausgeübten Selbstbefriedigung als schwere Sünde definierten, nahm ich sehr ernst, was zuletzt in einer Art vertrackter sexuellen Theologie zur segensreichen Abkehr vom Christentum und der Religion insgesamt führte, da ich folgerichtig schloss, ein Gott, der ein großes Vergnügen schafft und es zugleich verbietet, könne nur ein übler Zyniker sein, mit dem ich nichts zu tun haben will.

Verboten wird naturgemäß von den katholischen Priestern bis heute die Abtreibung, der voreheliche Geschlechtsverkehr und vor allem die Homosexualität, was noch bis vor kurzem aufgrund des Einflusses der Kirche auf die Gesetzgeber zu skandalösen Gerichtsurteilen führte, für die sich Justizministerin Alma Zadić dieser Tage öffentlich entschuldigte und deren Opfer sie mit einer zumindest symbolischen Wiedergutmachung bedachte.

Gerade was die allgemein akzeptierte Homosexualität betrifft, ist daran zu erinnern, dass kirchliche Instanzen, speziell nach der Corona-Pandemie, zu der die Religionen insgesamt absolut nichts zu sagen hatten, in Sachen Moral und Ethik auch noch den letzten Rest jener Kompetenz eingebüßt haben, der ihnen nach all den unzähligen Missbrauchsskandalen verblieben ist.

Durch diesen Abmarsch der christlichen Priester in den Bühnenhintergrund der österreichischen Debattenkultur wurde ausreichend Platz frei für den Auftritt ihrer säkularen Ersatzleute, als da wären vor allem die Künstler, welche aus spätromantischem Größenwahn heraus der Ansicht sind, sie hätten aufgrund ihrer Fähigkeit, Bücher zu schreiben, Bilder zu malen oder die Texte gescheiterer anderer Leute in Szene zu setzen oder nachzusprechen auch die Kompetenz, die Bevölkerung vom Podest eines säkularen Priestertums herab in Sachen richtigen Denkens und Verhaltens zu belehren.

Zur erinnern ist dabei an die Ermahnungen des mit alemannischem Fleiß seine Karriere instrumentierenden Schriftstellers und Märchenerzählers Michael Köhlmeier, der offenbar hofft, auf seinen Altenteil hin die Rolle eines weisen österreichischen Yedi-Ritters im Kampf gegen die finsteren Mächte des Bösen einzunehmen und anstelle unseres zunehmend gebrechlichen Kardinal Schönborn und dem nicht minder gebrechlichen Herren Bundespräsidenten als Festredner mäßig aufwändige Nebenverdienste bei gleichzeitiger Steigerung des Bekanntheitsgrades zu lukrieren.

Zu erinnern ist aber auch an die Anti-Antisemitismus-Resolution der GAV (Grazer Autorinnen Autorenversammlung), des PEN-Club und der ununterbrochen Resolutionen absondernden IG Autorinnen und Autoren, wobei sich die Frage erhebt, ob all jene, die, obgleich Kolleginnen und Kollegen, nicht die Gelegenheit hatten, die edlen Ausführungen der Resolution zu unterschreiben, sich nun als Antisemiten zu betrachten haben. Oder ob die Auswahl der Namen eher der Tatsache geschuldet ist, dass der Kampf um das Gute in der Welt immer noch die billigste Methode ist, dem Einbrechen des Belletristik-Marktes doch noch ein paar verkaufte Exemplare mehr abzuringen. Es versteht sich, dass zum Privileg einer solchen Marketing-Aktion viele berufen, aber nur wenige auserwählt sind.

Endgültig grotesk wird das Resolutions-Theater, wenn die Leitungsgremien der österreichischen Bundesländer-Theater, selbstverständlich ungefragt stellvertretend für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Feststellung treffen, dass in Österreich jüdisches Leben möglich sein müsse und sie gegen jede Form des Antisemitismus seien, eine wirklich beispiellos edle Selbstverständlichkeit, die so gar nicht zur Selbstverständlichkeit von Intrigen, Egomanie, Rücksichtslosigkeit, Freunderlwirtschaft, Übergriffigkeit, Unhöflichkeit und Missachtung des geistigen Eigentums anderer passt, wie es zu den täglichen Gepflogenheiten im Theaterbereich gehört.

Ein ethisches und moralisches Anliegen kann gar nicht groß genug, wichtig genug, bedeutend genug und richtig genug sein, als dass ich es all jenen abkaufen würde, die, wie schon erwähnt, aus Gründen größenwahnsinniger Selbstüberschätzung und/oder des zugleich damit einkalkulierten Aufmerksamkeitsgewinns an die Öffentlichkeit treten, um vor dem Antisemitismus zu warnen. Eine allfällige Resolution des österreichischen Installateur- oder Skiverbands erschiene mir diesbezüglich wesentlich glaubwürdiger.

Aber ich gestehe ein, das ist mein privates Problem, das sich aus der intrinsischen Kenntnis der katholischen Kirche ergibt, die ihre Herrschaft, ihre Paläste und die Privilegien ihrer meist nichtsnutzigen Bediensteten über Jahrhunderte darauf aufbaute, sich selbst, ganz wie der deutsche Philosoph Odo Marquard es brillant beschrieben hat, auf den Richterstuhl zu setzen, um den Rest der Welt in der Sünde schmoren zu lassen.

Um zu den Beispielen von zu Beginn zurückzukehren: Es ist nicht deshalb eine Sünde, zu viele Süßigkeiten zu sich zu nehmen, weil die Lust nach dem Süßen und die Lust überhaupt an sich schlecht wären, sondern weil man, wie die Ernährungswissenschaften inzwischen erkannt haben, damit nicht nur die Gesundheit der Zähne gefährdet, sondern durch die Zerstörung der Darmflora und durch Fettleibigkeit die Gesundheit insgesamt gefährdet werden kann.

Was die Onanie betrifft, ist schon vor Jahren eine australische Untersuchung an 260.000 Männern zum Ergebnis gekommen, dass frühzeitige geschlechtliche Betätigung das Risiko eines späteren Prostatakarzinoms um 40 % reduzieren kann. Sexualwissenschaftler wiederum sind der Ansicht, dass das Onanieren die Funktionsweise, wie, ob bei Mann oder Frau, ein Orgasmus zustande kommt, individuell erkennbar macht und die Fähigkeit dazu stärkt, womit sämtlichen diesbezüglichen religiösen Verboten die Grundlagen entzogen sind. Dies gilt übrigens auch für viele andere sexualmoralische Vorstellungen der Religionen, welche auf einem Menschenbild beruhen, das mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen der Gegenwart nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen ist.

So sehr die hier zitierten ethischen Fragen und Debatten in Bezug auf die Sexualmoral heute bei den meisten Zeitgenossen nur noch ein mitleidiges Lächeln auslösen, so zeigen sie doch, dass Probleme, und die waren es jahrhundertelang und betrafen alle Menschen in geradezu quälender Art und Weise, nicht durch die angeblichen Weisheiten der Prediger gelöst werden können, sondern, wenn überhaupt, durch ihre rationale und auf Wissenschaft basierende Analyse, Diskussion und Aufarbeitung, kurz und gut, wenn überhaupt: durch das Instrumentarium der Vernunft und der Aufklärung!

Dabei kann am Beginn aller Bemühungen um ein Verständnis des derzeitigen Konflikts zwischen Israel und der Hamas bzw. den Palästinensern und der arabischen Welt nur das Eingeständnis im Vordergrund stehen, dass für den gesamten Westen und somit vor allem für uns Europäer die Frage nach der Existenzberechtigung von Religion, die Frage des Monotheismus, die Frage nach der Beziehung von Judentum und Christentum, die Frage nach dem jüdischen Krieg, wie Josephus Flavius ihn schildert, die Frage der Erhebung einer marginalen Sekte zur Staatsreligion durch Kaiser Konstantin und die Frage nach darauf folgenden, mörderischen Attacken der zur Macht Gekommenen gegen die Machtlosen, die in dem vom Katholiken Adolf Hitler befohlenen Holocaust ihren unüberbietbaren Höhepunkt bzw. Tiefpunkt fanden – dass also der zur Zeit wieder aufflammende sogenannte PalästinaKonflikt mit dem schrecklichen Terror der Hamas und dem schrecklichen Kampf Israels dagegen das Symptom eines der zentralen und immer noch nicht gelösten Probleme unserer westlichen Welt seit Christi Geburt ist.

Predigten gegen den Antisemitismus sind in diesem Zusammenhang obszöne Anti-Aufklärung, wie es Predigten schon immer waren. Dass dabei die Rede des renommierten Philosophen Slavoj Žižek anlässlich der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse, in der er sich authentisch und auf höchstem Niveau um eine intellektuelle Annäherung an das Problem bemühte, so viel Empörung auslöste, ist ein beschämendes Zeugnis dafür, wie weit die Seuche des Predigertums im deutschen Geistesleben und seinen provinziellen Ablegern in Österreich bereits um sich gegriffen hat.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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