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Alois Schöpf
Neues vom Turmbau zu Babel
Die künstliche Intelligenz (KI)
wird den  Fremdsprachenunterricht obsolet machen.
Eine Freudenbotschaft

Um bei mir selbst zu beginnen: Ich habe acht Jahre Latein gebüffelt und kann nichts mehr, nicht einmal mehr die ersten Sätze zu Julius Cäsars Mein Kampf, – pardon: De Bello Gallico – die uns eingebläut wurden.

Ebenso hab ich trotz fünf Jahren Unterrichts die wunderbare altgriechische Sprache so vergessen, dass mir nicht einmal mehr ihr Alphabet geläufig ist. Mit meinen drei Jahren Englisch wiederum versteh ich gerade einmal den Text im Booklet einer CD-Aufnahme mit klassischen Symphonien. Und mit meinen zwei Jahren Französisch würde ich mir in Paris nicht einmal einen Café au Lait bestellen können: Hunderte vernichtete Stunden kostbarster, wachster Lebens- und Lernzeit also inklusive jener Selbstmordgedanken, die angesichts der Gefahr aufkamen, diesen ganzen Scheißdreck noch einmal wiederholen zu müssen!

Da bleibt als schwacher Trost wirklich nur noch die Beobachtung, dass beim Übersetzen immer schwierigerer Texte aus dem Latein ein tausendfaches Fragen Was heißt das nun schon wieder? zu einem Training der Analysesoftware im Kopf geführt hat, wodurch ich für den Rest meines Lebens befähigt wurde, frömmlerisches und hohles Geschwätz rascher und genauer zu diagnostizieren als Nichtlateiner.

Ein ähnlicher Effekt wäre aber auch zu erzielen gewesen, wenn man die Frage, was etwas zu bedeuten hat, direkt am Zeitgeist hätte einüben können. Der hätte ja zumindest in meiner Jugend zwischen dem Konzil der katholischen Kirche, den Alt- oder Gesinnungs-Nazis in der Politik und den qua Gnade der späten Geburt unfreiwillig harmlosen Jungtrotzkisten, Maoisten und Leninisten der sogenannten 68er-Revolution inklusive der New Age Bewegung aus den USA einiges hergegeben.

Allerdings ist es nicht Aufgabe der Schule, zu einer solchen Art von Zeitgenossenschaft anzuregen. Ihre Aufgabe besteht vielmehr darin, die Jugend, die man seit dem Ende des agrarischen Zeitalters und in Tirol seit dem Ende des Kulturkampfs nicht mehr zur schweren Arbeit am Feld einteilen kann, bis zu ihrer Eignung als staatliches Kanonenfutter so ruhig zu stellen, auf dass sie der älteren Generation bei ihrer Selbstverwirklichung nicht lästig fällt. Und selbiges wird naturgemäß, um mit Thomas Bernhard zu sprechen, nicht dadurch erreicht, dass man sie zum Selbstdenken, zu aufgeklärten Bürgern erzieht. Mitnichten! Das Ziel ist vielmehr die spießige Scheinaufklärung, deren Produkt anpassungswütige und zugleich eingebildete Leute sind, die sich ihrer Umgebung gegenüber nicht deshalb überlegen fühlen, weil sie gescheiter sind, mehr wissen oder den besseren Durchblick haben, sondern weil sie in etwa den ähnlichen Unsinn, den die Ungebildeten in ihrer Muttersprache oder im Dialekt daherreden, etwas gestelzter und moralinhaltiger in ganzen englischen, französischen oder gar russischen Sätzen von sich geben können.

Das führt bis heute dazu, dass zum Beispiel bei hochmögenden sogenannten internationalen Kongressen deutschsprachige Vortragende zu einem ebenso fast ausschließlich deutschsprachigen Publikum englisch sprechen, was den unglaublichen Vorteil hat, dass sie sich damit einerseits als Weltbürger präsentieren können und sich andererseits der Mühe entheben, auch nur einen einzigen komplexen Gedanken äußern zu müssen. Den würden sie nämlich, wenn sie schon dazu imstande wären, fremdsprachlich niemals formulieren können bzw. kaum jemand würde ihn, wenn sie es ausnahmsweise doch könnten, verstehen.

Dieses Nichtverstehen wiederum wird dabei als kollektives Geheimnis verdrängt und verschwiegen wie das abgründigste Tabu eines Südseestammes. Denn Fremdsprachenkenntnisse repräsentieren in erster Linie nicht so sehr die Kenntnis  fremder Sprachen, sondern den Anschein kulturellen Kapitals, des hündischen Markierens der eigenen Überlegenheit, einer Distinktion also, die der Jugend für die Qualen, über Jahre hinweg Unsinn wie in einer Koranschule Afghanistans gelernt zu haben, als Ausgleich dafür zu dienen hat, sich als etwas Besseres zu fühlen, ohne dafür einen inhaltlichen Leistungsnachweis erbringen zu müssen.

Als Paradebeispiel dafür kann die ehemalige niedersächsische Ministerin und jetzige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gelten, die mit ihrem edlen englischen Upperclass-Akzent ununterbrochen Gemeinplätze von sich gibt und damit die Regel bestätigt: Wenn du nichts zu sagen hast, dann sag es zumindest auf Englisch, denn dann klingt es besser. Was durch die Regel ergänzt werden muss: Wenn du etwas zu sagen hast, das einigermaßen der Komplexität der heutigen Welt entspricht, dann schaffst du das nur in deiner Muttersprache, und auch dann nur, wenn du diese perfekt beherrschst.

Dass solche Anforderungen für die Kommunikation innerhalb der globalen Wissenschaftsgemeinschaft nur beschränkt gelten, hängt schlicht und einfach damit zusammen, dass die eigentliche Sprache der exakten Naturwissenschaften die Mathematik ist und das Verbale lediglich die Funktion hat, eine mehr oder weniger in Stehsätzen festgehaltene Verbindung zwischen den jeweiligen physikalischen oder statistischen Berechnungen herzustellen.

Vor diesem Hintergrund wird nun plötzlich klar, weshalb man der künstlichen Intelligenz eine solche Abneigung entgegen bringt, wird doch ihr zukünftiges Anwendungsgebiet weniger darin bestehen, als selbstdenkende Waffe die Menschheit zu vernichten, wie der aktuelle Zeitgeist sich ängstigt. Sosehr nämlich diese Gefahr in einer fernen Zukunft vielleicht eine realistische und schon heute in Science-Fiction Romanen eine phantastische Version der Apokalypse darstellt, viel näher am Alltag ist die Tatsache, dass die Übersetzungsmaschinen der KI längst einfache Texte, wie sie etwa im Rahmen der Naturwissenschaften verwendet werden, zu übersetzen imstande sind. Ebenso ist es inzwischen längst möglich, einfache Korrespondenzen zum Beispiel zur Organisation einer Veranstaltung in allen nur möglichen Sprachen bis hin zu Mandarin-Chinesisch oder Koreanisch korrekt durchzuführen, wie es auch immer mehr zur Gepflogenheit wird, sich ein Gespräch von Kopfhörer zu Kopfhörer mittels KI simultan übersetzen zu lassen.

Die Perfektionierung dieser maschinellen Übersetzungskünste wird ohne Zweifel in wenigen Jahren einen Standard erreichen, der es ermöglicht, auch immer komplexere Texte und Argumentationsketten von der dem jeweils Denkenden geläufigen und kundig eingesetzten Muttersprache in jede andere Sprache zu übersetzen.

Die Folge einer solchen Entwicklung wird eine Revolution sein, deren gleichsam satirisch grotesker Teil darin bestehen wird, eine millionenfach und weltweit agierende Lehrerschaft dabei zu beobachten, mit welchen scholastischen Argumenten sie auffahren wird, um den Fremdsprachenunterricht, der sich durch KI erübrigt, im Dienste ihres eingeübten Berufes und guten Lebensunterhalts mit allen Mitteln zu verteidigen. Bekanntlich entwickelt der Mensch ja seine höchste Intelligenz dann, wenn es darum geht, Gehaltseinbußen zu verhindern. Die Sache wird also spannend.

Vielleicht kann sie vor dem Hintergrund des massiven Arbeitskräftemangels in den Pflegeberufen dadurch wieder entspannt werden, dass der durch die KI freigesetzten Lehrerschaft inklusive all jener, die Dolmetsch studiert haben, das Angebot gemacht wird, bei gleichem Gehalt als angelernte Pflegefachkräfte in ein Altersheim bzw. in ein Hospiz zu übersiedeln oder die Personalnot in den Kindergärten zu lindern.

Womit nur noch die intellektuelle Herausforderung für unsere Ministerialbeamten, welche die Lehrpläne der Schulen zu erstellen haben, übrig bleibt, mit welchem Unsinn sie in Zukunft den Fremdsprachenunterricht zu ersetzen gedenken, um durch eine neue schulische Scheinbeschäftigung bzw. bildungsmäßige Kasernierung unserer Jugend zu verhindern, dass daraus selbstdenkende emanzipierte Bürger werden, die auch einer noch so hochentwickelten KI gewachsen wären.


PS:
Gegen die vorliegenden Überlegungen kann natürlich ein schwerwiegendes Argument vorgebracht werden. Dass nämlich das Vergessen schulischer Lerninhalte aufgrund von Mangel an durch das spätere Leben erzwungener Übung niemals Maßstab der Lehrpläne sein könne. Denn schließlich vergesse man das meiste, das man in der Schule gelernt hat, woraus nicht gefolgert werden könne, dass all dies umsonst unterrichtet worden sei.

Dem ist entgegen zu halten: Man möge nicht zu rasch vom fragwürdigen Fremdsprachunterricht auf andere Fächer schließen, denn man vergesse weder die deutsche Grammatik noch die Rechtschreibung, man vergesse zwar die Differentialrechnung, aber nicht die Grundrechnungsarten, und man vergesse, wenn man nicht gerade einen Langweiler als Lehrer habe ertragen müssen bzw. trotz guten Unterrichts mutwillig geschlafen habe, weder die Geschichte, noch die Philosophie, noch die Geographie, noch die Biologie, noch die Chemie oder das Singen oder Spielen eines Instruments, alles Wissen, das ein Leben lang in der Politik, im Beruf, beim Reisen, im Umweltschutz, beim Konsum und in den Freuden von Musikvereinen repetiert und daher nicht vergessen werde.

Die elitäre Zumutung des Staates, man müsse nach der Schulzeit jedes Jahr nach Frankreich fahren, um sein Französisch nicht zu vergessen, beweist geradezu, wie notwendig es ist, die Lerninhalte danach auszuwählen, inwieweit sie durch lebenslänglich notwendiges Üben präsent bleiben: dies beinhaltet zwar die Differentialrechnung genauso wenig die Homer-, Racine-, oder Shakespeare-Lektüre in der Originalsprache, sehr wohl jedoch Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, Wirtschaftsmathematik, Steuerrecht, Staatsbürgerkunde, Verfassungskunde, Hygiene, die perfekte Beherrschung der Muttersprache sowie neben noch vielem anderen die Grundlagen der Medizin für eine gesunde Lebensführung.

Wir sollten nichts lernen müssen, von dem wir wissen, dass wir es mangels lebenslänglicher Übung vergessen werden.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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