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Alois Schöpf
Ein Orchester und viele Ensembles
Zur Musik

Egomanie und Eitelkeit sind oftmals Eigenschaften, die Kapellmeister und Vorstände daran hindern, das Beste und Erfolgreichste für ihre Vereine zu tun. Ich würde diese gleichsam moralisierende Behauptung niemals aussprechen, wenn ich nicht meine eigenen Erfahrungen gemacht hätte und nunmehr, nach Zeiten der Pandemie belehrt, Selbstkritik zu üben gezwungen bin.

Ich hab es nämlich als künstlerischer Leiter eines in den besten Zeiten 75 Damen und Herren umfassenden symphonischen Blasorchesters nicht gerne gesehen, wenn sich abseits meines Kontrollwahns eigenständige Gruppen bildeten, ob es nun „Böhmische“ waren oder eine für unsere Regionen typische „Weißbacher-Partie“ oder gar ein Saxophonquartett oder ein Blechbläserensemble. Ich hatte nämlich die durchaus berechtigte Angst, dass solche Untergruppen einzelne Musiker zeitmäßig derart binden könnten, dass die Betreffenden nicht mehr verlässlich zu den Proben erscheinen und eventuelle Auftrittstermine mit den Konzerten des großen Orchesters sogar kollidieren würden. Ganz abgesehen davon, dass die Musikerinnen und Musiker kleiner Gruppen nicht selten Honorare erhalten, was für das große Orchester unüblich ist, ein Ungleichgewicht also, das zu erheblichen Irritationen hätte führen können. So vermutete ich es zumindest.

Ich würde auch heute noch nicht behaupten, dass diese meine Bedenken aus der Luft gegriffen waren, muss jedoch hinzufügen, dass das Selbstverständnis unseres Orchesters, unseres Vorstandes und meiner eigenen Person wohl viel zu eng und zu kleinkariert gefasst war. Ich kann nur hoffen, dass viele, die als Obleute, Präsidenten oder Dirigenten derzeit Verantwortung für ein Blasorchester tragen, nicht so wie ich erst auf die Pandemie warten mussten, um sich selbst und die Rolle ihrer musikalisch Schutzbefohlenen zeitgemäßer zu definieren.

„Zeitgemäß“ bezieht sich dabei darauf, dass wir in den letzten Monaten, wenn überhaupt, nur in kleinen Gruppen proben und konzertieren konnten und dabei die Erfahrung machten, dass klein besetzte Ensembles im Hinblick auf die Qualität der Literatur und der Spieler, aber auch in Bezug auf die Musizierfreude eine ideale Voraussetzung für ein leistungsstarkes und transparent klingendes Orchester sein können.

Was ist also zu tun, um einerseits die Befürchtungen im Hinblick auf Zersplitterung der Gruppe, Überforderung von Musikerinnen und Musikern oder finanzielles Ungleichgewicht auszuräumen und zugleich von der Existenz möglichst vieler Teil-Ensembles zu profitieren? Wie schon gesagt: zuallererst gehört das Selbstverständnis der Vorstände geändert und aus dieser Veränderung heraus die Frage gestellt: Besteht der jeweilige Musikverein aus einem einzigen, großen symphonischen Blasorchester oder ist er eher die Dachorganisation vieler verschiedener Untergruppen, die im Hinblick auf terminliche, logistische und finanzielle Fragen einem gemeinsamen Geschäftsführer, dem Obmann, dem Präsidenten, und im Hinblick auf die künstlerische Qualität, die Art und Weise der Auftritte und die Literaturauswahl einem Intendanten, dem Dirigenten des großen Orchesters, unterstehen?

Ein von einem Intendanten und Geschäftsführer geleitetes, aus dem bisherigen Vereinsvorstand hervorgegangenes Orchesterbüro müsste im Sinne dieses neuen Selbstverständnisses die Aufgabe übernehmen, Terminüberschneidungen, Zeitbudgets und Auftritte so zu organisieren, dass die oben genannten Befürchtungen weitgehend eliminiert würden. Was spräche, wenn dies gelänge, sodann dagegen, dass ein Musikverein aus einem großen symphonischen Blasorchester bestünde, das wahrscheinlich nicht mehr als drei bis vier große, künstlerisch hochkarätige Konzerte pro Jahr anbieten würde, zugleich jedoch für kleinere Straßenkonzerte und Stehkonzerte über eine sogenannte hochkarätige „Dorfkapelle“ mit maximal 30 Musikerinnen und Musikern verfügen würde? Was spräche dagegen, dass in dieses eine große sinfonische Blasorchester auch eine eigene Bigband implementiert wäre? Was spräche dagegen, dass aus diesem großen sinfonischen Blasorchester ebenso ein Klarinettenquintett, ein Trio bestehend aus zwei Klarinetten und Fagott, ein Saxophonquartett, eine Harmoniemusik, eine eigenen Brassband, ein Bläserensemble oder eine Böhmische Partie hervorgehen könnte?

Ganz abgesehen davon, dass, wie schon erwähnt, durch das Spiel in kleinen Gruppen die Qualität der einzelnen Spieler massiv verbessert würde, könnte durch solch verschiedene Formationen und damit verbundene Programmangebote das in weiten Teilen der Bevölkerung angeschlagene Image der sogenannten klassischen Blasmusik wesentlich aufgewertet werden. Ebenso könnten durch die Honorare, die an die verschiedenen Untergruppen bezahlt werden und von denen aufgrund von Instrumentenverleih, der Zurverfügungstellung von Probenräumen und Notenarchiven, aber auch aufgrund der Gesamtorganisation ein Teil an den Verein abgeführt werden müsste, die Finanzen desselben aufgebessert werden.

Und es könnte nicht zuletzt auf den Wunsch der jeweiligen Musikerinnen und Musiker, öfter bzw. weniger oft zu musizieren oder aufzutreten, diese Art von Literatur intensiver und jene weniger intensiv zu studieren, punktgenau Rücksicht genommen werden. Ganz abgesehen davon, dass sich durch die Existenz verschiedener Ensembles in einem Orchester die musikalische Toleranz gegenüber den verschiedenen musikalischen Stilrichtungen, Besetzungsformen und Literaturen wesentlich erhöhen würde.

Voraussetzung für all dies wäre jedoch ein Orchestervorstand, der etwas von professionellem Veranstaltungsmanagement versteht, und ein Dirigent, der frei von persönlichen Eitelkeiten und Profilierungsgelüsten, vor allem danach trachtet, in freundschaftlichem Austausch mit den künstlerischen Leitern der verschiedenen Ensembles in seinem Orchester einen hohen Qualitätsanspruch im Hinblick auf die gespielte Literatur, die Qualität des Musizierens, vor allem jedoch im Hinblick auf diesen Ansprüchen gemäße Auftrittsmöglichkeiten, Räumlichkeiten und Anlässe durchzusetzen. Denn so viel ist klar: auch der bescheidenste Auftritt eines Bläsertrios würde in diesem Fall Rückwirkungen auf das Image des gesamten Musikvereins haben, wobei der vielleicht großartige Ruf des großen symphonischen Blasorchesters auch den Auftritten aller Teil-Ensembles den Weg zu einem größeren Publikum ermöglichen würde. Dies gilt natürlich auch umgekehrt!


Mögliche Ensembles je nach Besetzungsgröße aufsteigend:
(ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

Flügelhorn Weisen-Bläser
Bläsergruppe 2 Flügelhörner / 2 Tenöre
Bläsergruppe 2 Trompeten / 2 Posaunen
Hornensemble 4 Hörner
Jagdhornensemble 4 bis 8 Hörner

Klarinettenduo
Klarinettenquintett
2 Klarinetten, 1 Fagott
Volksmusikensemble 3 bis 8 Personen
Saxophonquartett
Holzbläserensemble 5 Personen
Harmoniemusik 8 Personen
Harmoniemusik 13 Personen

Schlagzeug-Ensemble 8 Personen

Blechbläserensemble 12 Personen
Weißbacher Partie ca. 7 Personen
Böhmische Musik ca. 15 Personen
Bigband ca. 19 Personen
Dorfmusikkapelle ca. 30 Personen

Großes Sinfonisches Blasorchester


Erschienen in: Blasmusik Juli/August, Offizielle Verbandszeitschrift des Bundes Deutscher Blasmusikverbände

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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