Alois Schöpf
„Le dégoûtant“
Oder:
Die Republik auf Selbstverblödungskurs
Essay

Erstaunlich viele, mit denen ich gesprochen habe, antworteten auf die Frage, ob sie das Sommergespräch mit Herbert Kickl im ORF gesehen hätten, mit der Bemerkung, der Kerl stoße sie ab bzw. sie hätten nur kurz hineingeschaut, sie seien schließlich nicht Sympathisanten der rechtsextremen FPÖ.

Ich mach es mir jetzt einfach und sage: Genau deshalb hab ich mir das Interview angeschaut, weil immer wieder Leser dieses Blogs, aber auch Leser meiner wöchentlichen TT-Kolumne mich ins rechte Eck zu stellen versuchen.

Das geht soweit, dass um das geistige Klima im Lande besorgte KollegInnen aus der Kultur dem Verleger des Limbus Verlages Bernd Schuchter ins Gewissen redeten, nicht weiterhin Bücher von mir zu publizieren, ganz abgesehen davon, dass ich natürlich in Sachen Einladungen zu Lesungen oder Diskussionen nicht links, sondern in diesem Fall rechts liegen gelassen werde.

Ein typischer zum Bürgertum aufgestiegener oder elternbedingt schon länger dort aufhältiger Zeitgenosse, der als zeitgeistiger Spießer links zu denken pflegt, wenn es um die Welt im allgemeinen, und rechts handelt, wenn es um sein Bankkonto im konkreten geht, ersetzt Argumente eben lieber durch kulturelles Kapital.

Selbiges erlaubt es ihm in Gefolgschaft seiner Vorbeter und Hofsoziologen im ORF die Umfrageerfolge der FPÖ auf die Dummheit der Abgehängten und Zukurzgekommenen zurückzuführen, ganz abgesehen davon, dass, beiseite gesprochen, Herr Kickl, dieses Männlein, schon allein aufgrund seines Aussehens (Der Haider war immerhin ein fescher Kampel!) von sehr vielen nicht ernst genommen wird, obgleich sie solche Inkorrektheiten nie laut zu sagen wagen würden.

Es fragt sich nur, ob man mit Antipathie und Abtun Wahlen gewinnt bzw. die FPÖ vom Kanzleramt fernhält. Ja, es stellt sich überhaupt die für jede Demokratie lebenswichtige Frage, ob wir medial schon so verblödet sind, dass sich unser Wahlverhalten nach Geschmack, Sympathie, Nettigkeiten, Aussehen und Charme ausrichtet und der Austausch von Argumenten, auf dem der Glaube an die sogenannte deliberative, also durch ununterbrochenes Debattieren gescheiter werdende Demokratie aufbaut, als etwas Gestriges, der Buchkultur Verhaftetes vergessen werden kann.

Kickl zwingt hier zu einer Entscheidung, denn in Sachen Sympathiewerte ist er tatsächlich weder sympathischer als der amikale Werner Kogler und etwa gleichauf mit der besserwisserischen höheren Tochter Meinl-Reisinger. In Sachen viriler Seriosität wiederum hat er gegen Nehammer ebenso wenig Chancen wie gegen den lockeren Andreas Babler, der gerade versucht, die Sozialdemokratie durch Händeschütteln vor dem Niedergang zu retten.

Apropos Babler: Wenn man dessen verworrene Suada im Rahmen des dieswöchigen ORF-Sommergesprächs genauer analysiert, beschleicht einen der Verdacht, dass der Mann möglicherweise tatsächlich nicht viel gescheiter ist als er daherredet. Bei Kickl hingegen stellte sich nach dem Sommergespräch, bei dem er erfolgreich verhinderte, dass man ihn vom komplexen Denken abhielt, die gleichsam entgegengesetzte Frage: Welcher Teufel ihn eigentlich reitet, wenn er sich im Bierzelt in einer Weise künstlich verblödet und nicht davor zurückschreckt, wissentlich unredlich zu argumentieren? Kämpft hier ein gescheiter Mensch mit charakterlichen Problemen?

Allein, was er bei aller berechtigten Kritik, in Sachen Corona von sich gegeben hat, hat durch massenhaften Zweifel an der Effektivität der Impfungen ganz konkret Menschenleben gekostet. Seine Haltung zum Ukrainekonflikt ist so unklar wie zu Russlands Aggression und zu Amerikas und Europas für die Ukraine überlebensnotwendigen Waffenlieferungen.

Selbst wenn man nun einwendet, dass viele dieser Positionen von seiner Seite deshalb so verwerflich klingen, weil man ihm nie Gelegenheit gab und gibt, komplexe Probleme komplex darzustellen, bleibt die fundamentale Kritik, dass er genau das wissen muss und es ihm offenbar gleichgültig ist, wenn die sich selbst zu Philosophen hochstilisierenden Halbgebildeten dieser Republik kraft seiner zynischen, ans Kabarett grenzenden Schimpftiraden in ihrem Hass gegen das System und die Eliten bestätigt fühlen.

Herbert Kickl erwies sich im Sommergespräch, und wer dies leugnet, leidet an Realitätsverlust, als ein überaus beredter, gebildeter, zu komplexem Denken befähigter Politiker, über dessen Existenz man eigentlich angesichts der übergroßen Schar intellektueller Flachwurzler froh sein sollte. Stattdessen setzen die politischen Gegner, aber auch die Medien auf den in Österreich immer erfolgreichen, weil traditionsreich-katholischen Antiintellektualismus, gehen auf Kickls Kritik an einer weltfremd, demokratisch nur unzureichend legitimierten EU, wovon wir etwa in Tirol mit Transit am Brenner, Tamariske in Osttirol und Wölfen auf der Dorfstraße ein Lied singen können, bis hin zum Arbeitskräftemangel in gewissen Branchen nicht weiter ein, sondern schmettern alles, was er darzulegen versucht, mit vornehm gespreiztem kleinen Finger als „dégoûtant“ ab.

Dass der ÖVP als Partei der bürgerlichen Mitte, deren CV-Kohorten jahrzehntelang Gesellschaftspolitik, Ethik und Philosophie der in Missbrauchsfällen versinkenden Kirche überließen, zu Kickl nicht mehr einfällt als ihn als Sicherheitsrisiko hinzustellen, ist dabei besonders peinlich.

Einmal, weil viele Argumente, die Kickl vorbringt, deshalb, weil er es tut, erst gar nicht zur Kenntnis genommen, und all jene, die es dennoch tun, ins rechte Eck gestellt werden, obgleich sie dort nicht hingehören, sondern sich lediglich um eine redliche Argumentation bemühen.

Dies betrifft, wie ich bereits eingangs bemerkt habe, nicht nur mich persönlich, sondern auch andere Autoren dieses Blogs: Jene zum Beispiel, die an gewissen fast schon als Religion einzustufende Dogmen des Klimawandels zweifeln. Da auch Kickl es tut, sind sie nicht kritisch, sondern rechts, wenn nicht rechtsextrem. Ähnliches gilt auch für Kritik am Multikulturalismus, dem gerade modischen Transsexualismus, an dem sogar eine Alice Schwarzer, die nun wahrlich nicht im Verdacht steht, rechtsradikal zu sein, vehemente Zweifel anmeldet. Es gilt aber auch für jede Kritik an der EU, die hinter der Fassade einer großartigen Idee in vielen Bereichen längst zu einem unerträglichen Gouvernantentum neigt. Es versteht sich, dass auch sie sakrosankt zu sein hat, weil Kickl sie kritisiert.

Diese auf Faulheit und Feigheit (Kant) und vor allem auf Opportunismus basierende Weigerung, einem Intellektuellen öffentlich mit Argumenten entgegenzutreten, hat unter anderem dazu führt, dass Österreichs Debattenkultur aufgehört hat zu existieren und an ihre Stelle der Versuch getreten ist, im Kampf gegen ein Denken, das aus dem Mainstream ausschert, lieber die Justiz für sich arbeiten zu lassen, was, wie Kickl beim Sommergespräch spöttisch feststellte, bei ihm keinen Erfolg haben wird, weil er „clean“ sei.

Können wir uns eine solche Selbstverblödung leisten? Gibt es etwas, das der Republik mehr schadet, als auf die schwierigen Herausforderungen der Zeit lediglich mit Marketingphrasen und geschmäcklerischer Abneigung gegenüber Andersdenkenden zu reagieren? Und zuletzt noch eine solche Denk- und Argumentationsverweigerung heilig zu sprechen, weil Kickl sie mit seinem Spruch „Wird dir der Bürger unbequem, punziere ihn als rechtsextrem“ ebenfalls kritisiert?

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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