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Walter Plasil
Ist Babler ein Marxist?
Essay

Spätestens zu Beginn des kommenden Wahlkampfs zur Nationalratswahl wird die Frage von ÖVP und FPÖ wieder ausgepackt. Dabei wird weniger gefragt, sondern mehr geantwortet werden. 

Die Behauptung wird lauten, bei Babler habe man es mit einem Marxisten zu tun. Und ein Marxist ist automatisch ein Kommunist und trägt Mitverantwortung am Schicksal, das Millionen von Menschen ertragen mussten und immer noch ertragen müssen.

Wenn ich mich recht erinnere, hat Andreas Babler zu dieser Frage gesagt, dass der Marxismus eine gute Brille sei, um auf die Welt zu schauen. Auch als Methode. Aber er sei eben Sozialdemokrat.

Ist also jemand, der mit einer solchen Brille auf die Welt schaut, automatisch auch ein Marxist?

Ich denke, um meine Meinung dazu gleich kundzutun. Wenn man schon unbedingt Marxist sein möchte (Marx war ja bekanntermaßen selbst keiner) müsste man auch Kommunist sein.

Und Sozialdemokraten haben sich schon sehr früh von den Zielen und Methoden getrennt, die für Kommunisten Programm waren. In Russland schon zu Zeiten der Revolution im Jahr 1917.

Ja, auch bei den Sozialdemokraten fanden sich seit deren Anfängen programmatische Teile aus dem marxistischen Gedankengut. Sie tun das auch heute noch. Sie sind Teil der sozialdemokratischen Weltsicht.

Aber etwas haben die Sozialisten von Anfang an abgelehnt: Diktatur! Keine Diktatur, von wem auch immer! Weder von den Massen und schon gar nicht eine von der kommunistischen Partei. Die Sozis sind und waren immer Verfechter von Demokratie.

Damit haben sie ein Alleinstellungsmerkmal in der Ideengeschichte der Parteien. Die älteren österreichischen Parteien, ÖVP und FPÖ, weisen in ihren Geschichten aus den Vorgängerzeiten schwere Verletzungen des Demokratie-Gebots auf. Es täte ihnen gut, sich auch immer wieder einmal dazu zu äußern, anstatt den Mantel des Schweigens über ihre Entstehungsgeschichte zu breiten.

Was von Marx vorliegt, ist ein äußerst vielschichtiges Werk. Generationen von Politologen, Philosophen und Wirtschaftswissenschaftler haben Wort für Wort, Zeile um Zeile und These für These seziert. Das gibt es alles schon. 

Die derzeitigen und die nächsten Generationen von Wissenschaftlern werden auf dem bestehenden Wissen aufbauen. Marx wird nicht vergessen werden. Den historischen Stellenwert von Marx würde nur jemand bestreiten, der sich nie ernsthaft mit dessen Gesamtwerk beschäftigt hat.

Das halten eigentlich alle guten Rezensenten so, die zu diesem Thema ihre Stimme erheben. Gemeint sind da jene Leute, die differenzieren können und auch in der Lage sind, Marx Werke hermeneutisch einordnen zu können. 

Wer in seiner Bewertung von Marx die damals herrschenden politischen und sozialen Zustände im ausgehenden 19. Jahrhundert ausblendet, ist an einer ernsthaften Analyse nicht interessiert. Solche Kommentare sind verzichtbar.

Im Gegensatz dazu zitiere ich ein kleines Beispiel aus den unzähligen Stimmen von Leuten, die ich als seriös und wissenschaftlich ausreichend befähigt einstufe. Mit den Aussagen des Autors, den ich hier zitiere, stimme ich jedenfalls überein.

Ich denke, dass auch Andreas Babler so denkt, ohne dass ich ihn dezidiert dazu befragt hätte. Aber aus den kurzen persönlichen Kontakten, die ich mit ihm hatte, schließe ich mit großer Wahrscheinlichkeit, dass dem so ist.


Zitierter Kommentar zu Karl Marx:

Einige der traurigeren Aspekte kommunistischer Regime neigten dazu, Marx‘ Rolle als Herrscher und nicht als Intellektueller, der mit anderen – wie Hume, Voltaire und Rousseau – um die Akzeptanz ihrer jeweiligen Ideen konkurrierte, nur zu deutlich hervorzuheben. Und doch war Marx selbst nicht der politische Herrscher oder Führer irgendeines Staates (ebenso wenig wie Rousseau oder Hume), und Marx‘ Beförderung zur unfehlbaren politischen Führung erfolgte erst nach seinem Tod.

Ich sehe mich als jemanden, der viel von den Ideen und Anliegen von Marx mitgenommen hat, ohne – und das ist wichtig zu betonen – jemals ein Marxist zu werden. Ich habe mich immer frei gefühlt, aus Marx‘ Analyse zu lernen, ohne verpflichtet zu sein, automatisch ein Anhänger zu sein. Selbst als ich sah, dass mein intellektueller Horizont durch die Analysen von Marx erweitert wurde, dachte ich, dass einige seiner Ideen meiner Ansicht nach ernsthaft falsch waren. Ich denke zum Beispiel, dass die Diktatur des Proletariats, die eine unhaltbare Idee ist und eine Art verworrenes Denken von Marx widerspiegelt – eines mit traurigen Folgen für viele.

Aber dieser selektive Ausschluss würde uns nicht dazu zwingen, andere Marxsche Ideen abzulehnen, die mir vernünftig erschienen, wie etwa die objektive Illusion (aus Die Deutsche Ideologie) oder die langfristige Überlegenheit der Verteilung nach Bedarf – wenn möglich (aus Die Kritik am Gothaer Programm).

Interessanterweise ist die Freiheit, die eigenen Prioritäten zu wählen und zwischen ihnen zu unterscheiden, etwas, das Marx selbst sehr gelobt hat. In einer berühmten Passage der Deutschen Ideologie empfiehlt er, die Bedingungen für die freie Entfaltung und Tätigkeit des Einzelnen unter seine eigene Kontrolle zu bringen, und stellt fest:

Marx: [es] macht es mir möglich, heute das eine und morgen das andere zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Vieh zu züchten, nach dem Abendessen zu kritisieren, so wie ich es mir vorstelle, ohne jemals zu werden Jäger, Fischer, Hirte oder Kritiker.

Es ist die Freiheit des Nichtmarxisten, die ich hier hervorhebe – eine Freiheit, die Marx sehr schätzte. Wir können einige von Marx‘ Ideen auswählen und andere ablehnen (mit oder ohne Verwendung von ihnen).

Abgesehen von denen, die eher rein geblieben sind (wie Ausbeutung), sind Marx‘ Konzeptionen, vermischt mit anderen Ansätzen so viel diskutiert worden, dass sie auf unterschiedliche Weise in unsere Gedanken eingedrungen sind (z. B. dass die Idee, dass jeder Mensch viele verschiedene Identitäten hat, schon früh in Marx‘ Kritik des Gothaer Programms auftauchte).

Die Ausweitung sozialer und ökonomischer Analysen kann helfen, die Fruchtbarkeit marxistischer Vorstellungen für einen Nichtmarxisten herauszustellen, der nicht entschlossen ist, Antimarxist zu sein. 

Zum Beispiel stützte sich die Idee des Wohlfahrtsstaats im Europa nach dem Zweiten Weltkrieg auf Marx‘ Priorisierung von Bedürfnissen (die über die lohnende Arbeit hinausgingen) und des sozialen Teilens. Es hatte jedoch auch andere Beiträge, insbesondere aus der empirischen Forschung zu den sozialen Vorteilen des Teilens in Kriegszeiten – ins-besondere von Lebensmitteln und Medikamenten.

Ein anderer – aber verwandter – Punkt zu diesem Kontrast ist, dass marxistische Inspirationen oft auf produktive Weise von Nicht-Marxisten, die zufällig mit einigen Teilen von Marx‘ allgemeiner Argumentation, einschließlich seines Radikalismus, sympathisieren, ziemlich großartig genutzt wurden.

Zitat Ende

Kommentar zum Zitat:
Es handelt sich um Auszüge aus einem Brief des Nobelpreisträgers Amartya Sen an Janos Kornai (+2021) vom 31. Dezember 2020.

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Walter Plasil

Walter Plasil, Jahrgang 1946, geboren in München, aufgewachsen in Wien, seit 1971 in Innsbruck. Führte viele Jahre das INGENIEURBÜRO WALTER PLASIL für Technische Gebäudeausrüstung und Energieplanung und war als Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger tätig. Walter Plasil: „Ich war immer ein Vielschreiber und habe nun, nachdem meine bisherige Tätigkeit dem Ende zugeht, Zeit und Lust dazu, auch zu veröffentlichen. Mein neuer Beruf daher: „Literat.“

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Susanne Preglau

    Der Beitrag von Walter Plasil erweist sich für mich als exzellentes Beispiel, eine aktuelle politische Frage – die in den mainstream-Medien meist nicht so ausdrücklich analysiert wird – von verschiedenen Seiten zu betrachten und damit zu einem besseren Verständnis zu kommen.
    Dies geschieht im schoepfblog in den verschiedensten Beiträgen immer wieder aus oft unerwarteten Perspektiven und macht für mich viel am Interesse für eine regelmäßige Lektüre aus, die mich begleitet beim Versuch, die aktuellen Geschehnisse zu verstehen und bewerten zu können.

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