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Alois Schöpf
Kein Grund zu vertrauen
Das Außerstreitstellen
von Justiz und Gerichtsbarkeit
zeugt von politischer Naivität
und zeitgeschichtlicher Unbildung.
Essay

Kaum erschallte das Triumphgeheul darüber, dass der ehemalige Bundeskanzler und ÖVP-Politstar Sebastian Kurz wegen falscher Zeugenaussage vor dem parlamentarischen Ibiza Untersuchungsausschuss angeklagt wird, versicherten die Verwalter seiner Verlassenschaft in der Regierung mit treuherzigem Augenaufschlag, dass sie dem Walten der Justiz volles Vertrauen entgegenbringen würden.

Ins gleiche Horn stieß, wohl um seinen Richter nicht von vornherein zu verärgern, der unmittelbar Betroffene, obgleich sich nicht nur in seiner konkreten Causa, sondern auch bei einer eher allgemeinen Betrachtung der Zeitgeschichte genügend Anhaltspunkte ergeben, mit solchem Vertrauen vorsichtig umzugehen.

Bekanntlich wurde der russische Oppositionelle Alexei Nawalny von einem russischen Gericht wegen der Delikte, eine extremistische Organisation gegründet und finanziert, zu extremistischen Aktivitäten aufgerufen und Nazi-Ideologie wiederbelebt zu haben, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu weiteren 19 Jahren Straflager verurteilt. Aus den wenigen Bildern, die über den Prozess die Medien erreichten, geht allerdings klar hervor, dass den Vorsitz des Gerichts nicht ein gewisser Herr Putin führte, sondern ein Angehöriger der Justiz, der gemäß russischer Verfassung in gleicher Weise den Menschenrechten, der Gerechtigkeit und der Objektivität verpflichtet ist, wie er es hierzulande wäre.

Ebenso dürfte bekannt sein, dass all jene bedauernswerten Opfer, die im Gottesstaat Iran zum Gaudium des Publikums und begleitet vom Geschrei priesterlicher Indoktrination an Baukränen aufgehängt werden, zuvor in einem Gerichtssaal saßen und von irgendeinem bärtigen namenlosen Richter zum Tode verurteilt wurden, wobei selbstverständlich auch dort das Spiel zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ordnungsgemäß eingehalten wurde.

Schon etwas weniger bekannt ist inzwischen vor allem unter jungen Leuten die Tatsache, dass selbstverständlich auch im Dritten Reich unter der vorbildlichen Ägide des Berliner Volksgerichtshofs mit seinem zu üblen Ausfällen neigenden Strafrichter Roland Freisler all jene, die von den Nazis aufgehängt oder geköpft wurden, zuvor die korrekten Mühlen der Justiz durchliefen, einer Justiz, deren Repräsentanten nach dem Untergang des Dritten Reichs in vielen Fällen ungestört weiterarbeiten durften, ohne jemals von einer wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen durchaus üblichen genaueren Aufarbeitung einer schrecklichen Vergangenheit belästigt zu werden.

Bleibt zuletzt noch ein Blick in die Vereinigten Staaten, wo die Besetzung des Obersten Gerichtshofs mit jeweils konservativen oder progressiven Richtern über die anstehende gesellschaftspolitische Entwicklung des führenden westlichen Staates Auskunft gibt. So ist es jedenfalls in der Praxis, obgleich es der Theorie krass widerspricht.

Oberste Richter, die ja in ihrem Lebenslauf sowohl hohe Fachkompetenz als auch lange Erfahrung nachweisen müssen, wären nämlich, wenn man der Justiz tatsächlich jenes Vertrauen entgegenbringen könnte, wie es unsere naiven ÖVP Politiker derzeit zumindest zu tun behaupten, in einer Weise zur Objektivität verpflichtet, dass die Frage, ob sie nun progressiv oder konservativ eingestellt sind, keine Rolle spielen dürfte.

Dass sie sehr wohl eine Rolle spielt, ist neben den bereits angeführten Beispielen aus Russland, Iran und dem Volksgerichtshof der Nazis ein weiterer Beweis dafür, dass die Justiz nicht nur in Diktaturen, wo sie sich unter Gewalt den politischen Verhältnissen anzupassen und zynische Scheinobjektivität zu repräsentieren hat, sich auch in Demokratien dem jeweiligen Zeitgeist opportunistisch anschmiegt. 

Auch die Justiz ist in den Zeitgeist miteingebunden. Und all jene, die im Sinne des staatlichen Gewaltmonopols davon leben, über andere zu richten, sind vorsichtig genug, um trotz ihrer per Gesetz garantierten Unabhängigkeit nicht durch allzu große Widerborstigkeit aufzufallen und dadurch die umfänglichen Privilegien, die der Staat ihnen gewährt, zu gefährden.

Vor diesem Hintergrund ist der Gerichtsprozess gegen Sebastian Kurz, dessen Aufstieg die gedeihliche Zukunft eines links denkenden, aber rechts handelnden Spießertums gefährdet hätte, das nach einem halben Jahrhundert sozialdemokratischer Dominanz die staatsnahen Medien-, Kultur- und Bildungseinrichtungen okkupiert hat, von höchster Brisanz.

Eine angesichts des geringen Vergehens aufgeblasene, von Vernichtungswillen gekennzeichnete Anklageschrift und daraus resultierend eine überlange Verfahrensdauer beweisen schon heute, dass auch in diesem Fall die zeitgeistige Anforderung, hier im Dienste des Systemerhalts einzuschreiten, nicht unerhört bleiben und seitens der Justiz in stiller Intrige alles darangesetzt wird, um einen Wiedereinstieg des bürgerlichen Hoffnungsträgers in die Politik vor den nächsten Wahlen unter dem Motto Kurz muss weg! zu verhindern.


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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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