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Alois Schöpf
Kritik des reinen Parlamentarismus
Die Live-Übertragung
der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse
ist eine demokratiepolitische Chance.
Essay

In welcher Blase leben eigentlich unsere Politiker in Wien, der Hauptstadt der Operette, wenn sie glauben, dass es gut für ihren Ruf ist, erneut, und in diesem Fall gleich zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse dazu zu missbrauchen, sich bis zur nahenden Wahl gegenseitig mit Schmutz zu bewerfen? 

Und das schon wieder auf Basis eines illegal aufgenommenen, mittels Alkohol illuminierten Tischgesprächs. Es ist nicht mehr zum Aushalten!

Zumal die Medien wieder brav mitmachen, und zwar auch jene, die sich noch, wie etwa der ORF, den Luxus leisten könnten, Journalisten zu beschäftigen, die sich mit ausreichend Zeit in ein wirklich relevantes Thema einarbeiten könnten, statt unter auslaugendem Produktionsdruck die Moralkeule zu schwingen und Predigten zu verfassen, eine literarische Form, zu deren Produktion Geübte im katholisch sozialisierten Österreich nicht mehr als eine Viertelstunde brauchen. Hofsoziologe Filzmaier und seine beiden Ersatz-Sterndeuter:innen Hofer und Stainer-Hämmerle schaffen es mit noch geringerem Aufwand.

Was man zum Verfassen einer Predigt allerdings benötigt, ist ein Empörungsgefälle, das es dem voyeuristischen Konsumenten erlaubt, sich durch die fiktive Korruption des Anderen über die eigene reale hinweg zu lügen. Und es braucht ein Opfer, das gemäß den Erkenntnissen des französischen Philosophen René Girard als Sündenbock zu fungieren hat, um eine in Blasen auseinander driftende Gesellschaft wie die unsere im Hass durch die Eucharistiefeier der abendlichen Fernsehnachrichten zu einer Einheit zusammenzuführen.

Nach Strache und Gudenus, deren Rauschnacht in Ibiza zwar keine strafrechtliche Relevanz hatte, aber immerhin für einen moralistischen Putsch der vereinigten Linksgrünen aus Politik und Medien ausreichte und einen um den Anstand in der Politik besorgten Wiener Rechtsanwalt einen Betrag verdienen ließ, dessen Höhe der geschädigte Gudenus per Gerichtsentscheid nicht erfahren darf, kamen Kurz und Blümel an die Reihe, worauf auch Frau Köstinger, ohne an die Reihe gekommen zu sein, in mütterlicher Weisheit das Handtuch warf.

Kurz ist inzwischen am Weg zum Freispruch, gegen den die WKStA garantiert Einspruch erheben wird, um ihn bis zur nächsten Wahl von der Politik fernzuhalten, und verdient trotz Benko hoffentlich genug als Geschäftsmann. Blümel, weiterhin unbescholten, schiebt den Kinderwagen unter Polizeischutz durch Wien und ist für das österreichische Infotainment aufgrund seines Humors ein echter Verlust.

Jetzt ist Wolfgang Sobotka an der Reihe, als Orchesterdirigent lebenslänglich im Umgang mit Irren geübt und folgerichtig einer der wenigen Steher unter den konstitutionell zu Opportunismus neigenden Bürgerlichen. Ausgerechnet er soll nun mit der schwächsten aller Geschichten zu Fall gebracht werden, mit jener des angeheiterten Herrn Pilnacek, an den der Beschuldigte mit dem Begehr herangetreten sein soll, gegen die linken Putschisten der WKStA etwas zu unternehmen. Recht hätte er gehabt, sofern er es tatsächlich getan hat.

Pilnacek ist allerdings anständig geblieben, wie er behauptet, und hat nichts unternommen! Woraus sich die Frage ergibt, worin Herr Nehammer eigentlich eine Störung der Totenruhe sieht, was ihn zu einem Gesichtsausdruck der Betroffenheit veranlasste, den selbst der getreueste Freund der katholischen Sonntagspflicht unter der Rubrik Marketing entsorgen sollte.

Sind sie im Operettenwien jetzt wirklich alle verrückt geworden? Auch die Grünen, denen es zwischen Macht und Moral endgültig die Sprache verschlagen hat und die daher die Empörung über den Herrn Parlamentspräsidenten jener Dame von den NEOS überlassen müssen, die außer schimpfen nichts kann, das aber gut.

Leider bleibt es einem als Staatsbürger verwehrt, eine Partei zu wählen, die sich diesen peinlichen und provinziellen Schlammschlachten verweigert und sich relevanten Themen zuwendet, von denen wir derzeit allzu viele hätten. Und leider machen sie alle mit! Und bewerfen einander mit Dreck wie in einem von Hundstrümmerln versauten Sandkasten vor dem Gemeindebau oder am Strand in Jesolo, wenn die Eltern gerade nicht hinschauen. Und man kann, wie Kollege Schönauer immer wieder betont, zwar aus der Kirche, aber nicht aus dem ORF austreten, aus diesem mächtigsten Verwerter des politischen Drecks, was dortselbst für kritischen Journalismus gehalten wird.

Dieses Dilemma scheint nun auch die ÖVP in einem Anfall von Restzynismus begriffen zu haben, wenn sie der Liveübertragung von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, von denen, wie schon erwähnt, gleich zwei auf den Bürger warten, zustimmt.

Die besondere Fragwürdigkeit der Untersuchungsausschüsse ergab sich bislang nämlich daraus, dass die Medien in ihrer selbsternannten Rolle als sogenannte Gatekeeper, was man in ehrlicheren Zeiten schlicht und einfach als Zensur bezeichnet hätte, aus den oft sechs- bis achtstündigen Befragungen nur das herauspickten, was ihnen für ihre elende Dramaturgie, die Zuschauer- bzw. Leserzahlen unter allen Umständen, und sei es durch den Verkauf der eigenen Großmutter, bei Laune zu halten, geeignet erschien. Auf diese Weise wurde selbstverständlich der Missbrauch einer Kontrollinstanz durch die parlamentarische Minderheit niemals thematisiert, da er sowohl im Interesse der Oppositionsparteien lag, die Regierung madig zu machen und unliebsame, weil zu erfolgreiche Politiker, in die Falle zu locken, als auch im Interesse der Medien, billig Sendezeit, dies bedeutet: Skandale mit anschließenden Diskussionsrunden zu produzieren.

Durch die Liveübertragung besteht nun die Chance, dass der Bürger sich selbst ein Bild machen kann, wie ein Herr Sobotka sich verteidigt und wie sich Größen vom Format eines Herr Krainer, einer Frau Krisper, einer Frau Tomaselli und, in seiner Rolle als bürgerlicher Racheengel, eines Herrn Hanger abseits des rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens zu Inquisitoren aufschwingen, auf dass zuletzt, wenn der politisch Interessierte nach Stunden der Langeweile den Fernseherkasten abdreht, die Frage übrig bleibt: Haben diese hochbezahlten Damen und Herren wirklich nichts Besseres zu tun? 

Und wer von all diesen in der Blase der Wiener Operettenpolitik sich mit Schmutz Bewerfenden ist da noch der Anständigste, der Vernünftigste, der am wenigsten mit Hass, Missgunst und moralistischer Überheblichkeit Erfüllte und somit der bei der nächsten Wahl wählbarste?

Nur diese Frage wird es sein, die aus den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, wenn überhaupt, das machen kann, wozu sie eigentlich eingerichtet wurden: eine Kontrolle der politischen Qualifikation, der Regierung durch die Opposition und der Opposition selbst durch das Niveau ihrer Kritik an der Regierung.

Literatur: René Girard. Der Sündenbock. Benziger 1998

 

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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