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Alois Schöpf
Das Sterbeverfügungsgesetz muss verbessert werden.
Die ÖGHL zieht mit einer Individualklage erneut
vor den Verfassungsgerichtshof.
Notizen

Das im Jahre 2022 in Kraft getretene Sterbeverfügungsgesetz ist zweifelsfrei ein gesellschaftspolitischer Meilenstein in Richtung einer an den Menschenrechten orientierten Liberalisierung Österreichs.

Der Gesetzgeber hat ein klug austariertes Gesetz vorgelegt, das einerseits dem Recht eines jeden Menschen, die Art und den Zeitpunkt seines Todes selbst zu bestimmen, berücksichtigt, andererseits jedoch Missbrauch vorzubeugen versucht.

Dass diese Angst vor Missbrauch gerade in einem sehr stark von pseudowissenschaftlichen christlichen Doktrinen beherrschten Land zum Vorwand genommen wird, um Sterbehilfe in der Realität unmöglich zu machen, ist eine Tatsache, die sich nunmehr nach eineinhalb Jahren der Praxis deutlich herausstellt.

So sollen in der zurückliegenden Zeit, sofern Daten überhaupt verfügbar sind, in Österreich lediglich 111 Personen eine Sterbeverfügung errichtet haben, wohingegen es, als Vergleichszahl, berechnet auf Basis der Sterbehilfemöglichkeiten in den Niederlanden oder in der Schweiz, in Österreich 800 bis 3000 Personen sein könnten, die von ihrem Recht auf ein selbstbestimmtes Ende Gebrauch machen würden, wenn sie nur ausreichend aufgeklärt und die Hürden, selbstbestimmt sterben zu können, nicht bewusst zu hoch angesetzt wären.

Um diesen Missständen (Bürger können ihr Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht umsetzen. Der Staat betreibt Geheimniskrämerei anstatt transparent korrekte Zahlen einsehbar zu machen.) Abhilfe zu schaffen und Verbesserungen zu erwirken, zieht die Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) mit ihrem Rechtsanwalt Wolfram Proksch und mit Unterstützung der schweizerischen Dignitas erneut vor den Verfassungsgerichtshof.

1. Aufhebung des rigiden Werbe- sprich Informationsverbots
Ein rigides Werbeverbot, das zum Beispiel einen Verein wie die ÖGHL mit einer ruinablen Geldstrafe von 35.000 € bedroht, verunmöglicht es, Hilfesuchenden, die mit den komplizierten gesetzlichen Bestimmungen nicht zurechtkommen, professionelle Hilfe anzubieten. Ebenso ist es unmöglich, Sterbewillige persönlich zu begleiten, obgleich sie gerade in ihrer äußerst schwierigen Lebenssituation eine professionelle Unterstützung dringend benötigen würden.

2. Zwang zum frühzeitigen Suizid
Durch das weiterhin gültige Verbot der aktiven Sterbehilfe werden Personen, die aus Krankheitsgründen nicht mehr in der Lage sind, das todbringende Mittel Natrium-Pentobarbital selbst einzunehmen, im Endeffekt dazu gezwungen, bereits in einem noch einigermaßen gesunden Zustand aus dem Leben zu scheiden, um diesen Akt selbst durchführen zu können, da jegliche Hilfeleistung durch Dritte verboten ist.

3. Bürokratischer Hürdenlauf
Zur Errichtung einer Sterbeverfügung benötigen Sterbewillige im schlimmsten Fall vier Ärzte: Einen, der zwar nicht bereit ist, ein Aufklärungsgespräch durchzuführen, sich aber immerhin bei der Ärztekammer nach einem aufklärungswilligen Arzt erkundigt. Einen aufklärungswilligen Arzt. Einen zweiten aufklärungswilligen Arzt mit Palliativ-Qualifikation. Und zuletzt einen Arzt, der bereit ist, bei der Einnahme des todbringenden Mittels anwesend zu sein, um dem Freitodwilligen Sicherheit zu geben.

4. Die Weltanschauung
Ärzte dürfen sich aus weltanschaulichen Gründen weigern, an der Errichtung einer Sterbeverfügung mitzuwirken. Dies führt in katholisch geführten Hospizen, Altersheimen und Kliniken zu einer flächendeckenden Verweigerung eines grundsätzlichen Menschenrechts, dessen Verwirklichung darüber hinaus noch durch sogenannte Hausordnungen unterbunden wird: Ein Skandal, auf den etwa die kanadische Regierung insofern reagierte, als sie öffentliche Zuschüsse davon abhängig macht, dass in den jeweiligen Institutionen, auch wenn sie konfessionell geführt werden, Sterbehilfe möglich sein muss.


Der nächste Schritt ist nicht der letzte.

Wolfgang Obermüller, Initiator der Petition „Mein Ende gehört mir“, die inzwischen über 104.000 Personen unterschrieben haben, und ausgewiesener Fachmann in Sachen Sterbeverfügungsgesetz und Freitodhilfe international, betrachtet den neuerlichen Individualantrag vor dem Verfassungsgerichtshof noch keineswegs als den letzten Schritt, der notwendig sein wird, um einen sanften und selbstbestimmten Tod allen entscheidungsfähigen Bürgern zu ermöglichen.

Er fordert für die Zukunft aus menschenrechtlicher Sicht drei wesentliche weitere Verbesserungen des Sterbeverfügungsgesetzes ein, die in liberalen Ländern schon Realität geworden sind.

1. Menschenrechte gelten auch für Gesunde
Das Recht, die Art und den Zeitpunkt seines Lebensendes selbst zu bestimmen, hat nichts mit einer schweren todbringenden Krankheit zu tun (wie das deutsche Bundesverfassungsgericht es in seinem historisch bedeutsamen Urteil 2020 ausführlich begründet hat), die derzeit in Österreich Voraussetzung ist, um überhaupt eine Sterbeverfügung errichten zu können. Es muss jedem entscheidungsfähigen Menschen überlassen bleiben, sein Leben, aus welchen Gründen auch immer, etwa auch aus Gründen des Alters oder aufgrund einer persönlichen Lebensbilanz zu beenden.

2. Für Menschenrechte gibt es keine Altersgrenze.
Ein Menschenrecht endet nicht an einer Altersgrenze, da das Menschsein sich von der Geburt bis zum Tod erstreckt. In diesem Sinne ist die Altersgrenze von 18 Jahren, wie sie in Österreich notwendig ist, um eine Sterbeverfügung zu errichten, zu hinterfragen, zumal eine Patientenverfügung bereits von mündigen Minderjährigen (also ab dem 14. Lebensjahr) wirksam errichtet werden kann.

Zweifelsfrei ist dies ein äußerst heikles Thema, das jedoch nicht dazu geeignet ist, die Tatsache zu verdrängen, dass auch Kinder und Jugendliche schwerstem Leiden mit voraussehbarem letalen Ende unterworfen sein können. Jegliche Verweigerung, diesem Leiden, selbstverständlich in Übereinstimmung mit den entscheidungsfähigen Betroffenen und den ebenso entscheidungsfähigen Erziehungsberechtigten, ein Ende zu bereiten, ist nicht zu rechtfertigen.

3. Warum nur Österreicher?
Es ist zweifelsfrei eine der ganz großen humanitären Leistungen der Schweiz, dass sie es auch Ausländern ermöglichte, die Dienste etwa von Dignitas in Anspruch zu nehmen. In diesem Sinne war die Schweiz in den letzten Jahren für viele Leidende die letzte Hoffnung, ihrem schweren Schicksal selbstbestimmt ein Ende zu bereiten.

Vor dem Hintergrund dieses Vorbildes wäre es ein wertvoller weltbürgerlicher Beitrag, wenn auch Österreich Ausländern und Personen, die nicht in Österreich dauerhaft wohnen, die Möglichkeit eröffnen würde, eine Sterbeverfügung zu errichten und sie dann auch in Östererich umzusetzen.

Diese drei Punkte sollten nach Ansicht Wolfgang Obermüllers im Interesse der Menschlichkeit und vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung auch in Österreich, wahrscheinlich durch einen weiteren Individualantrag am Verfassungsreichtshof, gesetzlich verankert werden.


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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Rainer Haselberger

    Danke für die bündige Darstellung des Status Quo!

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