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Alois Schöpf
Der ORF liegt am Boden!
Vom zufälligen Genuss des Regionalradios
inklusive eines Vorschlags
zur demokratischen Legitimation von ORF-Direktoren
Essay

Radio Tirol wird nicht für Leute wie mich gemacht. Das ist mir schon klar. Warum eigentlich nicht? Ich finanziere den Sender nicht nur mit, sondern lebe am Land, bin also eher ein Landmensch, somit potentielles Publikum, und trage als lebenslänglicher Blasmusikant aktiv zu jener schrägen Identität bei, die jede Stunde mehrfach hinausposaunt wird.

Wenn überhaupt, schalte ich Radio Tirol bestenfalls auf der Autobahn ein, weil mir das gutmenschliche Geschwafel auf Ö1 auf die Nerven geht. Und ich höre zwangsläufig gut zu, wie ich auch gut zuhöre, wenn ich in musikalischen Diensten zweimal pro Jahr eine Kirche betrete, weshalb ich im Folgenden auf die Musikfläche Ö3, bei der es nichts zum genauen Hinhören gibt, erst gar nicht eingehe.

An die letzten beiden Sendungen, die ich anlässlich einer Autobahnfahrt von Radio Tirol zu Gehör bekam, erinnere ich mich mit Schaudern.

Zum einen war es ein Volksmusikformat mit Gesang, Blasmusik und kleineren Gruppen, wobei die Stimmen der Dreigesangs-Damen nicht nur verzweifelt um die richtige Tonhöhe kämpften, sondern auch altersbedingt schepperten, der Harmonikaspieler der sogenannten Volksmusikanten in überzeugender Unmusikalität die Begleitung wie eine spastische Zuckung anlegte und die Musikkapellen ihre schwachsinnigen sogenannten Originalkompositionen in einer Ursuppe aus viel zu viel weitmensuriertem Blech ertränkten.

Aber nicht die Musik war das Schlimmste. Das bestand vielmehr in der Moderation, die damit unmittelbar eine Verbindung zu jener Morgensendung ermöglicht, die ich auf der zweiten Autobahnfahrt zu Gehör bekam.

Es war dieses Anbiedernde, dieses die Dummheit eines fiktiven Tirolers gnadenlos Anhimmelnde, diese Entwürdigung der eigenen Intelligenz im Dienste des Jobs, dieses Getue, als schaue immer noch ein Himmel-Tati auf seine Kinder im Land im Gebirge herunter wie noch vor 150 Jahren zu Zeiten des Kulturkampfs. Schon damals weigerten sich nämlich konservativ-katholische Kreise das kaiserliche Toleranzpatent aus dem Jahr 1781 zur Kenntnis zu nehmen, welches Andersgläubigen ein Existenzrecht einräumte. Wie auch die staatliche Schulaufsicht versuchte, der ihren Nachwuchs als Arbeitssklaven einsetzenden Bauernschaft die schulpflichtigen Kinder zu entreißen, um sie der abendländischen Bildung zuzuführen. Selbige sucht man bei Radio Tirol ebenso vergeblich.

Von Gustav Kuhn stammt der Satz: „Man kann sich an ein schlechtes Orchester gewöhnen.“ Was durch den Ausspruch meines Kollegen Helmuth Schönauer zu ergänzen wäre: „Aus der katholischen Kirche kann man austreten, aus dem ORF nicht.“

Damit ist die Problematik angedeutet. Im Windschatten der Tatsache, dass kein intelligenter Mensch die regionalen Radioprogramme des ORF aushält, weshalb sie auch ungestört von jeglicher Kritik vor sich hin werken können, verzeichnet das wichtigste und mächtigste Medienunternehmen des Landes in den letzten Jahren auch sonst einen beispiellosen Niedergang.

Die allabendlichen Bundesland heute Sendungen sind eine Ansammlung zusammengeschusterter Peinlichkeiten, bei denen auch hier, auf Tirol bezogen, in anbiedernder Weise statt auf Journalismus auf Identitäts-Getue gesetzt wird und die wenigen intelligenten Beiträge in bedeutungsloser Sportberichterstattung, korrupter Kulturberichterstattung, an den Haaren herbeigezogener Human Touch-Stories und provinziell-erotischer Anmache der Moderatorinnen untergehen.

Die Entwicklung von Ö1 wurde bereits angedeutet: der Sender ging in den fixen Besitz des vor allem Wiener Gutmenschentums über, ist Spielwiese der vor allem hauptstädtisch gut vernetzten, vom Staat auch sonst alimentierten Dichterschaft und im Übrigen ganz im Sinne Bourdieus Betätigungsfeld für hochkulturellen Distinktionsgewinn.

Wenn es um einen solchen geht, wird auch im Bereich des Fernsehens nicht nach Quoten gefragt, sondern, etwa am Montag spätabends, der Verhaberung zwischen Kultur und Medium, im Sommer meist im Rahmen der Salzburger Festspiele, Platz eingeräumt. Und was dereinst einmal eine stolze Fernsehspielabteilung war, ist heute zur Fließbandproduktion von immer gleich öden Tatort-Krimis mit ihren immer gleich schlechten Schauspielern heruntergekommen.

Bleibt zuletzt noch eine Nachrichtenredaktion, die ihre teilweise durchaus beachtliche Professionalität dazu verwendet, um in der Innenpolitik selbst mitzumischen und durch klein- bzw. großinquisitorisches Gehabe Regierungen zu stürzen und linkshedonistische Positionen gegen eine über die Spätfolgen der 68er-Revolution zunehmend verärgerte Bevölkerung abzusichern.

Der sogenannte Stiftungsrat, der die Entwicklung des Unternehmens und die Bestellung seiner höchsten Gremien zu überwachen hätte, erweist sich seit Jahren als vollkommen untauglich. Leider besteht er aus einer von den Funktionärscliquen des Landes, die von den Parteien über die Kammern bis zu den Religionsgemeinschaften reichen, rekrutierten Anhäufung bedeutungsloser Damen und Herren, die sich allerdings aufgrund ihrer Berufung in das hohe Gremium sehr wohl für bedeutend halten, weshalb sie es auch nicht wagen, eine eigene Meinung zu entwickeln, um damit nicht ihre weitere Berufung zu gefährden.

Das mit Abstand mächtigste und im Niedergang begriffene Medienunternehmen des Landes, das es übrigens blendend verstanden hat, alle anderen relevanten Medien durch Kooperationen und Auftrittsmöglichkeiten ihres Führungspersonals freundlich zu stimmen, kann also ungestört und nunmehr durch die Haushaltsabgabe auch finanziell abgesichert tun, was es will, und durch Hausberufungen seiner Spitzenpositionen vor allem die eigenen finanziellen Interessen absichern. Die Zeitungen, die ursprünglich einmal eine Rundfunkreform per Volksbegehren erzwangen, stehen im Kampf gegen das Internet mit dem Rücken zur Wand und können keine Energie erübrigen, um an anderes denn an das eigene Überleben zu denken.

Wenn es also stimmt, wie Helmuth Schönauer meint, dass man zwar aus der katholischen Kirche austreten könne, nicht jedoch aus dem ORF, bleibt die Frage, welche gesetzlichen Maßnahmen zu treffen wären, um das Unternehmen endlich zu einer Reform im Dienste eines Publikums zu zwingen, das sich, gemäß Gustav Kuhn, längst an das schlechte Programm gewöhnt zu haben scheint oder zu anderen Anbietern abgewandert ist, was nichts daran ändert, dass dennoch immer noch für den ORF bezahlt werden muss.

Anzudenken wäre etwa, vergleichbar dem französischen Modell eines Bürgerrates (Convention Citoyenne), ein auf statistischer Basis zufällig ausgewähltes Bürgerparlament von Mediennutzern, das nicht nur die jeweiligen Richtlinien des Unternehmens des ORF zu diskutieren hätte, sondern auch bei öffentlichen Hearings alle Kandidaten, die sich für die Spitzenpositionen des Unternehmens beworben haben, befragen und in geheimer Abstimmung zuletzt wählen sollte.

Ebenso könnte überlegt werden, ob nicht das Parlament oder die Landtage bei gleichzeitiger Freigabe des Fraktionszwanges und nach ebenfalls öffentlich übertragenen Hearings in regelmäßigen Abständen die Führungsriege des Unternehmens bestimmen sollten, ein politisch transparenter Vorgang, der heute in der Realität durch intransparentes Gemauschel in Hinterzimmern gelebte Praxis ist.

Die radikalste Methode in Anbetracht der übergroßen Macht des staatlichen Medienunternehmens bestünde natürlich darin, alle 4 Jahre den Generaldirektor des staatlichen Medienunternehmens einer Volkswahl zu unterziehen. Der großartige Helmut Zilk zum Beispiel hätte eine solche Wahl zweifelsfrei gewonnen, ebenso ein Gerd Bacher. Ein Herr Wrabetz oder ein Herr Weißmann eher nicht.

Dass gerade Journalisten diesem populistischen Ansatz skeptisch gegenüberstehen, ergibt sich aus ihrer selbsterwählten Rolle als Prediger und Hüter des Guten und Edlen, die nur dann gerechtfertigt ist, wenn das sogenannte Volk unter den Generalverdacht des stets drohenden Rechtsextremismus gestellt wird. Man solllte ihnen weniger vertrauen als der Demokratie, die den Bürgern Vernunftfähigkeit zubilligt.

So wie jetzt kann es auf jeden Fall mit dem ORF nicht weitergehen.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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