Print Friendly, PDF & Email

Alois Schöpf
Ein Drogenhändler als Investigativ-Journalist
Der sogenannte Ibiza-Aufdecker Julian Hessenthaler
wird nach seiner Haftentlassung
als verfolgter Dissident gefeiert.
Essay

Die ganze Angelegenheit erinnert verdächtig an den Serienmörder Jack Unterweger, der von der heimischen Dichterschaft dereinst als leuchtendes Beispiel von Rehabilitation im Sinne Christian Brodas und von gelungener Wiedereingliederung in die Gesellschaft gefeiert und zu Lesungen eingeladen wurde, die er dann dazu benützte, um auf der Fahrt von einem Auftritt zum anderen schnell eine weitere Frau umzubringen.

Der Fall Julian Hessenthaler liegt strafrechtlich natürlich vollkommen anders. Hier geht es nicht um Mord, sondern vorerst einmal um gewöhnlichen Kokainhandel und Urkundenfälschung, weswegen Julian Hessenthaler im März 2022 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Im März dieses Jahres wurde er nun vorzeitig aus der Haft entlassen und fand umgehend, insbesondere in ostösterreichischen Qualitätsmedien wie dem Standard, aber auch in den Fernsehsendern oe24.TV und 3sat empathische Aufnahme und Gelegenheit, über seine Erfahrungen in der Haft und seine Zukunftspläne Auskunft zu geben.

Auch das durch drastischen Abonnentenschwund aktuell konkursgefährdete Wiener Volkstheater ließ es sich nicht nehmen, dem neuen Helden des Österreichischen Widerstands einen Abend zu widmen, der in Folge erneut im Standard vom 21. April 2023 mit Genugtuung und dem abschließenden Bild vom inhaftierten, unbeugsamen Dissidenten zusammengefasst wurde:

Auf dem Podium saß mit ihm (Hessenthaler – Anm. d. A.) Jean Peters, Investigativjournalist vom Recherchezentrum Correctiv. Er hatte Hessenthaler schon während dessen Haft besucht und die Akten seines Falles studiert. Er sprach auch über den umstrittenen Prozess, in dem Hessenthaler ohne forensische Beweise aufgrund von Zeugenaussagen wegen Kokainhandels zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Nach ihm betrat Hessenthaler unter tosendem Beifall das Podium, über dem zuerst ein großes, fast anachronistisch wirkendes Schwarz-Weiß-Bild des im matten Schein einer edlen Lampe über einen Schreibtisch gebeugten schreibenden Hessenthaler prangte.

Aber nicht nur die Bobo-Medien im Osten Österreichs scheinen jeglichen Überblick über die moralischen Grundsätze journalistischen Handelns verloren zu haben, auch die Tiroler stehen bekanntlich, wenn es um die Nachahmung flagranter Dummheit geht, nicht nach und laden daher Julian Hessenthaler zu ihrem Journalistenfest vom 12. bis zum 14. Mai nach Innsbruck ein, wobei sie den Auftritt des neuen Kollegen einfühlsam mit den Worten ankündigen:

„Die Ibiza-Affäre“ ist heute Buchtitel, Serie und geflügelter Begriff – und ein gigantischer Zufall. In dieser Live-Aufzeichnung von „Inside Austria“ berichtet Ibiza-Drahtzieher Julian Hessenthaler, wie viele Unmöglichkeiten dem Video vorausgingen und wie oft die Aktion um ein Haar aufgeflogen wäre. Wir erfahren: Die Veröffentlichung des Videos stand auf des Messers Schneide.

Vor lauter Sensationsgeilheit in Kombination mit politischer Korrektheit scheint dem blauäugigen Organisator der ansonsten mit einem beachtlichen Programm aufwartenden Veranstaltung Benedikt Sauer nicht aufgegangen zu sein, dass er durch die Seligsprechung eines simplen Kriminellen die tatsächlichen Kämpfer für die Freiheit in realen und nicht nur eingebildeten Diktaturen desavouiert.

Leute, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen gegen das Strafrecht verstoßen und Unschuldigen und Nichtwissenden eine Falle stellen, auf die Heldenebene eines von der schwedischen und englischen Justiz tatsächlich niederträchtig behandelten Julian Assange zu heben, ist entweder der Gipfel ideologischer Verblasenheit oder zeitgeistiger Opportunismus: mit seriösem Journalismus hat beides ebenso wenig zu tun wie die kühne Behauptung des Wiener Anwalts Mirfakhrai und seines Gehilfen Hessenthaler, aus zivilgesellschaftlichem Engagement heraus den sogenannten Ibiza-Skandal eingefädelt zu haben.

Dabei sei es ihnen darum gegangen, statt weiterhin langweilige scheidungsrelevante Ehebrüche zu dokumentieren, zwecks Rettung der Republik der Pestilenz der Marketingmaschine Sebastian Kurz und seiner rechtsradikalen Unterteufel ein Ende zu bereiten.

Was bei diesem Unternehmen tatsächlich herausgekommen ist, dürfte hinlänglich bekannt sein: Im Hinblick auf Gudenus und Strache konnte trotz eingehender Untersuchungen durch die Staatsanwaltschaft kein strafrechtlich relevantes Verhalten nachgewiesen werden. Ein solches wäre wohl auch nicht nachweisbar gewesen, wenn die aufgrund des sogenannten Ibiza-Skandals erfolgte Anlassgesetzgebung, die zu einer Verschärfung der Antikorruptionsbestimmungen führt, bereits in Kraft gewesen wäre. Die unter Verletzung der Persönlichkeitsrechte und des Menschenrechts auf ein unbeobachtetes Leben erfolgte Aufzeichnung alkoholisierten Macho-Geschwafels würde nämlich in keinem demokratischen Staat der Welt besondere strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Dennoch gelang es, aus den Aufzeichnungen des insgesamt banalen und Stunden währenden Ibiza-Kammerschauspiels einen 5-Minuten-Spot zusammen zu schustern, der zwar von den politischen Gegnern der FPÖ in vorausschauender Weisheit, aber auch aus Gründen simplen Anstands abgelehnt, dann jedoch von österreichischen und deutschen Medien im Dienste der politischen Korrektheit, allen voran vom ORF, mit Begeisterung aufgegriffen wurde, um einer ungeliebten und für die Einkommensverhältnisse sozialdemokratisch formatierter und privilegierter Eliten in Zukunft möglicherweise gefährlichen konservativen Regierung den Garaus zu machen.

Dass dies – für alle Beteiligten überraschend – derart erfolgreich war, hängt natürlich auch mit der hysterischen und unprofessionellen Reaktion Heinz Christian Straches zusammen, der Angst haben musste, dass sein erst später ans Licht gekommenes Doppelleben mit zwei Frauen ebenso ruchbar würde, was mit Sicherheit das augenblickliche Ende seiner Promi-Ehe zur Folge gehabt hätte, wie es ja auch einige Zeit später tatsächlich geschah.

Und es gelang, weil der die Lage falsch einschätzende Kanzler Sebastian Kurz Herbert Kickl als Innenminister loswerden wollte, wobei er die Solidarität der FPÖ mit diesem offenbar ungeliebten und ihm intellektuell gefährlich werden könnenden Minister krass unterschätzte, wodurch das Ende der Koalition besiegelt war.

Und es gelang, weil es auch unserem grünen, agnostischen, marxistischen und neuerdings wieder protestantischen Staatskaunertaler in der Hofburg durchaus gelegen kam, die türkisblaue Koalition loszuwerden statt ihren Bestand im Dienste der Wahlergebnisse durch eine ordentliche Kopfwäsche der beiden unbesonnenen Streithanseln Kurz und Kickl abzusichern.

Wie dies alles durch die Übergabe von 600.000 € in Krügerrand von wem auch immer an wen auch immer und durch die Einmischung ausländischer Medien in inländische österreichische Angelegenheiten überhaupt möglich war, wobei durch die ganze Aktion immerhin der Marktpreis bekannt wurde, der für einen mittels Medien herbeigeführten Staatsstreich in unserer Bananenrepublik zu bezahlen ist, wurde bis heute nicht geklärt, obgleich es der letzte entscheidende Baustein eines Kriminalfalls wäre, der außer zerstörten Karrieren und schwer geschädigten Personen strafrechtlich nichts hinterlassen hat.

Woraus im Hinblick auf die Inthronisierung Julian Hessenthalers als Widerstandskämpfer und verfolgter Dissident folgt:

1. Ein Journalismus, der unter Zuhilfenahme krimineller Methoden zu seinen Ergebnissen kommt, widerspricht wie jeder andere kriminelle Akt der Rechtsordnung, die sich eine Gesellschaft gibt, um ein friedliches Zusammenleben zu gewährleisten, und opfert den inneren Frieden einer Ideologie oder wertfrei dem Skandal.

2. Das Überschreiten gesetzlicher Bestimmungen kann nur in äußerst seltenen Fällen Arbeitsmethode der journalistischen Arbeit sein, es muss sich jedoch sowohl ethisch als auch vor ordentlichen Gerichten durch die außerordentliche und für eine Gesellschaft segensreiche Bedeutung einer Recherche rechtfertigen können und im Falle auch eine Verurteilung in Kauf nehmen.

3. Die mediale Bobo-Szene ist unter Federführung der mit außerordentlichen Privilegien und hohen Gehältern gesegneten Prominenz des staatlichen ORF bis heute der Ansicht, dass durch das orchestrierte Hochspielen des sogenannten Ibiza-Skandals trotz Rechtsverletzungen Segensreiches für das Land geleistet wurde, was hinreichender Grund zu sein scheint, aus einem verurteilten Drogenhändler nunmehr einen verfolgten Heilsbringer zu machen.

4. Wie dieses Heil inzwischen politisch ausschaut, ergibt sich aus den Tatsachen, dass der als Oberunterteufel vom Pferd gestoßene Herbert Kickl nach einer Serie gewonnener Wahlen vor den Türen des Kanzleramts steht, die altehrwürdige SPÖ sich gerade selbst zerstört und in unsäglicher Weise von Kommunisten substituiert wird, die grünen Träumer zunehmend auf ihre kleberverliebte Stammwählerschaft zusammenschrumpfen, die Liberalen unter der Führung ihrer keifenden Parteichefin dem politischen Aus entgegensteuern und die ÖVP unter Karl Nehammer trotz monatelanger Bemühungen, der Partei systematische Korruption nachzuweisen, wieder allein und halbwegs intakt übrigbleibt, sodass als kleineres Übel, das ja eigentlich hätte verhindert werden sollen, in Zukunft nur noch eine Koalition mit den die ÖVP hoffentlich nicht überholenden Blauen übrig bleiben wird.

Selbst wenn man also unter radikaler Ausschaltung des gesunden Menschenverstandes und aller Erfahrungen, die sich aus einer jahrzehntelangen Beobachtung der Innenpolitik ergeben, der kecken Behauptung der Ibiza-Drahtzieher Glauben schenken würde, sie hätten tatsächlich im Dienste der Republik gehandelt, so muss wertfrei festgestellt werden:

1. Sie haben bei ihrem Handeln Gesetze übertreten,
2. sie haben durch diese Gesetzesübertretungen Menschen ruiniert und
3. den Sturz einer von einer großen Mehrheit der Bevölkerung gewählten Regierung mitverursacht,
4. im Gegensatz zu dem, was sie politisch erreichen wollten, genau das Gegenteil erreicht, und sie sind
5. trotz aller manipulativen Versuche bei ihren kriminellen Recherchen zu keinem Ergebnis gekommen.

Wahrlich eine großartige Leistung! Die wäre doch zumindest jenen Journalistenpreis wert, mit dem eine Branche, über die gerade die Götterdämmerung hereinbricht, bereits die beiden Investigativ-Journalisten Bastian Obermayer und Fredrik Obermaier geschmückt hat.


Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Andreas Niedermann

    Unterweger für den „Fall“ Hessenthaler heranzuziehen, nur um „linke Intellektuelle“ zu desavouieren, das, lieber Alois, geht nicht.
    Das ist Bullshiting.
    Und by the way: Niemand musste Kickel, wie du schreibst „vom Pferd stoßen“, jede und jeder konnte sehen, dass der Burschi nicht reiten kann.

    1. Dass sich mit dem „Fall Unterweger“ einige Intellektuelle blamiert haben (aus welchen Gründen auch immer), mag wohl niemand bestreiten, der seine fünf Zwetschken noch beisammen hat. Trotzdem: Der Vergleich geht nicht. Weder in der Ursache noch in der Wirkung. Ein „Fall“ verursachte einen qualvollen Tod von einigen Frauen, der andere bescherte uns eine funktionierende Regierung (Bierlein). Zumindest für eine Weile.
      Offenbar sind Sie so gut mit Kickl bekannt, dass Sie seine Lesegewohnheiten kennen. Mir aber ist völlig blunzen, was er, wie ein Wiener Ober, ned amol ignoriert.
      Und zu Ihren hellseherischen Fähigkeiten (Die nächste Wahl gegen Leute, die einfach zu gut sind für diese Welt, gewinnt er sowieso.) kann ich nur gratulieren!

  2. Susanne Preglau

    Nach der Lektüre der beiden Beiträge im schoepfblog der letzten Tage
    Alois Schöpf – Ein Drogenhändler als Investigativ-Journalist (28.4.) und
    Werner Schandor – Männerschlachten für Fortgeschrittene (26.4.)
    sind mir folgende frappierende Parallelen aufgefallen:
    Ob es um die Inthronisierung des sogenannten Ibiza-Aufdeckers Julian Hessenthaler als verfolgter Dissident oder um die Mordgelüste an Männern in den Texten der Wiener Band „Bipolar Feminin“ auf der Leipziger Buchmesse geht –
    in beiden Fällen ist die Legitimation der handelnden Personen zur Vertretung der angeblich „guten Sache“ sehr in Frage zu stellen.
    Weder die Überschreitung krimineller Grenzen zur Aufdeckung angeblicher Korruption
    noch die Androhung brachialer Gewalt zur angeblichen musikalischen Erbauung
    kann in einem Rechtsstaat, der nach Ausgleich und Versöhnung strebt, akzeptiert werden.

    PS: Zum Kommentar von c.h.huber vom 28.4.
    Meiner Erinnerung nach wurde weder bei „Delilah“ noch bei „Jeanny“ Mord und Totschlag „gefordert“, sondern jeweils eine Geschichte von Mord und Totschlag erzählt – wie in jedem Krimi.

Schreibe einen Kommentar