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Alois Schöpf
Gehört die Tiroler Volkskultur der ÖVP?
Apropos

Was denken sich eigentlich Trachtler, Volkstänzer, Blasmusikanten, Chorsänger oder Schützen, die nicht schwarz, sondern blau, rot, grün oder pink wählen, wenn sie hören müssen, dass Landeshauptmann Anton Mattle weitermacht wie sein Vorgänger und sich gerade zum Präsidenten der Tiroler Trachtenvereine wählen ließ? 

Als Blasmusikant seit Jahrzehnten kann ich nur sagen, dass etwa die Präsidenten des Blasmusikverbandes EU-Kommissar a.D. Franz Fischler oder Landeshauptmann a.D. Günther Platter in der Tracht echt fesch ausgeschaut, aber, mit Verlaub, zur musikalischen Entwicklung des Blasmusikwesens nichts beigetragen haben.

Angesichts solch überschaubarer Verdienste drängt sich die inzwischen österreichweit sprichwörtliche Frage auf: Und was war und ist dann die Leistung der so volkskulturverliebten ÖVP-Prominenz? 

Könnte es sein, dass sie seit jeher darin besteht, sich als Bewahrer einer rückwärtsgewandten, konservativen Welt von gestern aufzuspielen, weil man zur Welt von heute kaum noch etwas zu sagen hat, wie sämtliche Wahlergebnisse im urbanen Bereich bestätigen.

In Tirol hat die Instrumentalisierung der Volkskultur, die man besser mit dem Begriff „Breitenkultur“ bezeichnen sollte, seit Jahrzehnten bestens funktioniert. Wer sich als Mitglied eines Kulturvereins in die Tracht warf, marschierte im Blickfeld seiner Präsidenten unfreiwillig auch als Mitglied einer im weitesten Sinn ÖVP-Vorfeldorganisation mit. 

Was unter anderem erklärt, warum in der Stadt die Verpflichtung, eine Tracht anzuziehen, bei Jugendlichen und ihren Eltern der Hauptgrund ist, keinesfalls einer Musikkapelle beizutreten.

Die notorische Anbiederung an das Wählerpotential in Tracht durch Polit-Prominenz im Dauerwahlkampf-Modus hat zudem auf Seiten der Vereine zur künstlerischen Stagnation geführt. Wem immer nur vorgegaukelt wird, er sei der Beste, der glaubt es zuletzt!

Erschienen in der Tiroler Tageszeitung am 27.04.2024

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Otto Riedling

    Daß Politiker – egal aktiv oder a.D. – zu Ehrenpräsidenten gewählt werden, ist ja nichts Neues. Außerdem ist mir der Kapellmeister, Schützenhauptmann etc. sowieso näher. Und außerdem – für die Kassa sind diese Herrschaften ja auch nicht ganz schlecht.

  2. Robert Muskat

    Wenn ich die Politszene betrachte, dann gehört ganz Österreich der ÖVP. Abgesehen von der Fragwürdigkeit der Trachten ( mehr Touristenattraktion als Kulturgut) sieht man andauernd die hochnäsigen Köpfe vom Innenminister ( wie schreibt man genau das Wort Lächeln?), von der Edtstadler (die für alles zuständig ist), dem Sobotka (Ich als zu Befragender bleib trotzdem Vorsitzender des Ausschusses!) und den Stocker. Und alle bestimmen alles, auch was der Koalitionspartner zu tun hat und wer wann was erfahren darf oder auch nicht. Aber sich dann wundern,dass man schon auf Platz drei gefallen ist. Wie wär’s denn mit einer Nachdenkpause am Jakobsweg? Aber bitte mit 6 Jahren Aufenthalt in Santiago!

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