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Literarische Korrespondenz:
Albert Schwarzmann an Alois Schöpf
Betrifft:
Gehört die Tiroler Volkskultur der ÖVP?
Ergänzende Analyse

Lieber Alois,

in deiner Kolumne vom letzten Samstag in der Tiroler Tageszeitung zur Vereinnahmung der Volkskultur durch die ÖVP finde ich grundlegende Übereinstimmungen mit meinen Wahrnehmungen, denke jedoch, dass der äußerst knappe Platz einer Kolumne diese Thematik nicht ausreichend beleuchten kann und die Gefahr in sich birgt, dass er mehr als ein Anpatzen denn als konstruktive Kritik gesehen wird. 

Darum erlaube ich mir folgende Ausführungen und Vertiefungen:

Dass verschiedene Vereinigungen prominente Personen an ihre protokollarische Spitze setzen, um davon zu profitieren, sei es durch deren öffentliche Präsenz, sei es durch Netzwerken und Zugang zu finanziellen Mitteln oder sonstige Gründe ist per se nicht verwerflich. 

Wenn Vereine sich als überparteilich deklarieren, sollte ein Präsident, der Parteipolitiker bzw. gar Parteichef ist, eigentlich kein Thema sein. Franz Fischler war nicht Parteichef und bereits Politiker a.D., als er Präsident des Tiroler Blasmusikverbandes wurde. Ich habe ihn in dieser Funktion nie als ÖVP-Politiker wahrgenommen. Anders Günther Platter: Ganz ungeniert hat er als Landeshauptmann und ÖVP-Chef die oberste Repräsentanz von Trachtenverband, Schützen und Blasmusikverband in Tirol übernommen und vermutlich, ohne den historischen Kontext zu kennen, drei wesentliche Elemente des ehemaligen NS-Standschützenverbandes von Gauleiter Franz Hofer in seiner Personalunion wiedervereinigt: Hofer hatte mit dieser Konstruktion die ganze Volkskultur Tirols unter einem Dach zusammengefasst, um die traditionsaffinen Tiroler effizient für die Ziele des NS-Regimes kanalisieren zu können.

NB: Sepp Tanzer hat für diesen Verband damals seinen Standschützenmarsch komponiert und nicht für die Standschützen des 1. Weltkriegs, wie viele glauben und auch ich lange glaubte, weil man es mir so erzählt hatte. Tanzer hat diesen Marsch dem Gauleiter Hofer gewidmet und diese Widmung bis zu seinem Tod 1983 nie widerrufen.

Platter nutzte seine Präsidentschaft durchaus, um im Blasmusikverband Akzente in Richtung einer katholisch-konservativen Gesellschaft zu setzen, also um Gesellschaftspolitik in seinem politischen Sinne zu machen. Ich denke hier an die früher gar nicht so üblichen Landesüblichen Empfänge, die historisch, soweit es die Musikkapellen betrifft, nicht so stattgefunden haben, wie das über den Verband implementiert wurde.

Dass Platter den derzeitigen Landeskommandanten der Schützen zum Protokollchef des Landes machte, dürfte ebenfalls gesellschaftspolitische Methode haben. Wacht der doch über die zeremoniellen Abläufe aller Veranstaltungen des Landes und unter anderem darüber, wer in welcher Reihenfolge wie zu begrüßen ist. Somit ist sichergestellt, dass übernommene gesellschaftliche Rangordnungen unabhängig von realen gesellschaftlichen Entwicklungen weiterhin von oben in der beabsichtigten Art und Weise kommuniziert werden. 

Ich denke da z. B. an die hohe Geistlichkeit, was in mir noch immer den Anschein weckt, als lebten wir in einem feudalen Ständestaat, und der Katholizismus wäre Staatsreligion. Platter hat hier durchaus bemerkbare Arbeit für seine konservativ-katholische Klientel geleistet.

Bei Trachtenverband und Schützen bin ich kein Insider, vermute jedoch, dass sich außer den angesprochenen katholisch-konservativen Kreisen kaum andere gesellschaftliche Gruppierungen angesprochen fühlen dürften, womit der Zugriff der ÖVP von vornherein eine Art Heimspiel wäre. Einzig die FPÖ wird sich hier ausgebootet fühlen.

Bei der Blasmusik, die sich gerne dafür rühmt, verschiedene gesellschaftliche Schichten und Gruppen über die Musik zusammenzuführen, sehe ich Platters Agieren allerdings als schweres Foul von hinten, weil hier nicht mit offenem Visier gekämpft wird, sondern über verdeckte Aktionen versucht wird, Menschen, die eigentlich nur einer schönen und sinnvollen Freizeitbeschäftigung nachgehen und gesellschaftliches Miteinander wollen, in die von ihm gewünschte gesellschaftliche Richtung zu instrumentalisieren.

Ein Beispiel dafür ist die Tracht: Ich mag Tracht als schöne Kleidung für bestimmte festliche Anlässe, entscheide jedoch selbst, wann, wo und in welcher Zusammenstellung ich sie trage. Ich habe grundsätzlich auch kein Problem damit, als Mitglied einer Musikkapelle Tracht zu tragen als Form einer einheitlichen Bekleidung bei Auftritten, solange sie die Haupttätigkeit, gute Musik zu machen, nicht behindert. Hier beginnt die Problematik: eine Tracht wurde ursprünglich nicht für das Musizieren erdacht, vor allem nicht für einen Konzertsaal oder um darin stundenlang bei großer Hitze und praller Sonne herumzustehen und dabei noch zu spielen. 

Wenn nun das Tragen einer Tracht ideologisch beladen wird wie bei einer militärischen Uniform, was deren Träger zu Attributen wie Ehre, Treue, Pflichtbewusstsein oder Gehorsam gegen Höherrangige verpflichtet, gibt es sofort jemand, der den Trachtenträgern Vorschreibungen macht, wie sie sich zu verhalten haben. Die hier angesprochenen Begriffe sind per se positiv, deren Pervertierungen wie Nibelungentreue oder Kadavergehorsam zeigen, wie missbräuchlich an sich positive Eigenschaften eingesetzt werden können und auch wurden. 

Den Satz Es ist eine Ehre, die Tracht tragen zu dürfen. habe ich in meinen jungen Jahren so häufig gehört und vernehme ihn manchmal noch heute. Dieser geniale Satz hat wohl zwei Absichten: Zum einen wird suggeriert, dass der Träger eine Ehrenperson ist, die von vornherein Respekt und Vertrauen verdient. Zum anderen wird damit dem Träger suggeriert, dass er sich im Sinne derer, die ihm dieses Gewand verliehen haben, zu verhalten habe, um als ehrbare Person anerkannt zu werden. Im militärischen Bereich mag das alles seine Berechtigung haben, eine funktionierende Befehlskette ist hier häufig essenziell. Aber in der Blasmusik?

Ich habe das Tragen einer Tracht nie als Ehre empfunden, eine Ehre war mir, wenn schon die Mitgliedschaft in einem Verein und das Zusammenwirken mit bestimmten Persönlichkeiten. Aber Bekleidung? Wie das Messgewand eines Priesters?

Abgesehen davon haben viele Tiroler Musikkapellen, vor allem jene, die vor 1900 entstanden sind, oft längere Perioden ohne Tracht existiert, Trachten wurden häufig erst im späten 19. Jahrhundert oder früheren 20. Jahrhundert angeschafft und orientierten sich nicht unbedingt an historischen regionalen Vorbildern, sondern waren in der Auswahl der Teile und Accessoires auch mal sehr frei und willkürlich. Das heute bekannte strikte Reglement von Trachten fällt wiederum in die NS-Zeit und manifestierte jenen einer militärischen Uniform äquivalenten Fokus. Soll genau das nun die Grundlage unserer diesbezüglichen Tradition sein? 

Der Umgang und die Äußerungen zahlreicher Funktionäre zu diesem Thema könnten es immer wieder einmal suggerieren. Die lebensfremde Kleiderordnung bei manchen Musikfesten oder die Bekleidungsüberprüfung und Bewertung bei Marschwertungen weisen zumindest in diese Richtung. Ich zweifle, ob die Aussage, dass junge Städter wegen der Tracht keiner Musikkapelle beitreten möchten, nicht doch eher einer subjektiven Wahrnehmung entspringt. Meine Vermutung ist vielmehr, dass die skizzierte ideologische Aufladung der Tracht und die verbundenen Verhaltenserwartungen der eigentliche Grund dafür sind.

Die Tracht ist eng mit Tradition und Traditionsliebe verbunden. Tradition beschreibt ein Ritual, eine Handlung oder Tätigkeit, die wiederholt über einen langen Zeitraum gesetzt wird und mit zunehmender Dauer nicht mehr bezüglich ihrer Sinnhaftigkeit hinterfragt wird, sondern einfach meist aus einem positiven Zugang heraus praktiziert wird. 

Eine Tradition wird deshalb nicht in Frage gestellt, weil die Gründe, die zu ihrer Etablierung geführt hatten, implizit als weiterhin gültig und maßgeblich angesehen werden. Wenn man feststellt, dass diese Gründe nicht mehr gegeben sind oder sich ethische und moralische Aspekte dazu grundlegend verändert haben, wird eine Tradition durchaus auch wieder aufgegeben. 

Mir imponiert dazu der Satz: Eine gute Tradition hält es aus, in Frage gestellt zu werden.

Leider kann auch mit Traditionen Missbrauch getrieben werden. Deren unbewusste Opfer sind dann meist die Menschen, die Traditionen lieben. Jemand, der eine Handlung oder Veranstaltung institutionalisieren und einen Diskurs darüber vermeiden möchte, erklärt diese zur Tradition. Tradition wird mit dem Nimbus von etwas fast Heiligen umgeben, dessen Infragestellung als Ungebührlichkeit und Provokation wie eine Ketzerei gebrandmarkt wird. 

Wer nach der Frage des Grundes einer Handlung sich nicht mit der Begründung Das ist Tradition! zufriedengibt, muss sich darauf einstellen, mindestens als Querulant und Störenfried verunglimpft zu werden. In Bezug auf Tracht und nicht nur dazu habe ich das wiederholt erlebt und beobachtet. Dabei sind die Grundlagen mancher Tradition ausgesprochen willkürlich gesetzt worden, und manche Tradition beruht gar auf historischen Unwahrheiten oder Halbwahrheiten, wurde aber immer wieder wiederholt, dass es schließlich fast alle glauben.

Dass die Tracht für den Trachtenverein das wichtigste Element ist und auch bei den Schützen als Pendant zu einer militärischen Uniform zentrale Bedeutung hat, stelle ich hier nicht in Frage.

Für eine Musikkapelle sehe ich eine Tracht zunächst auch unter historischen Gesichtspunkten nicht als Notwendigkeit, sondern einfach als Form einer einheitlichen Bekleidung, die ich meist schön finde, ohne dabei jede Einzelheit zu reglementieren. Vor allem sollte sie den musikalischen Aufführungsgegebenheiten untergeordnet und angepasst werden und ihre Träger nicht bei ihrer wichtigsten Tätigkeit, dem Musizieren, behindern oder beeinträchtigen. Die Tracht passt aber nicht unbedingt zu jedem Auftritt und auch nicht zu jeder Art von Musik. Ein entspannterer Zugang und etwas Flexibilität vor allem auf der Funktionärsebene täte dem Ganzen sicher gut.
Beste Grüße

Albert Schwarzmann

Albert Schwarzmann: Langjähriger Kapellmeister der Musikkapelle Zirl, Dozent für Blasorchesterleitung an der Hochschule Mozarteum Salzburg, International gefragter Arrangeur, unter anderem exklusiv für Salzburg Wind Philharmonic.

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Lieber Albert,
    vielen Dank für Deine Analyse, Du hast diese für die Tiroler Musikkultur so wichtigen Sachverhalte sehr präzise und unaufgeregt dargestellt.
    Mit herzlichen Grüßen

    Hannes Sprenger

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