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Alois Schöpf
Es war nicht nur die Pianistin!
Über die Bedingungen
eines vollkommenen Konzerts
Notizen

Am Donnerstag letzter Woche ging im Rahmen der Meisterkonzerte im Congress Innsbruck eines der schönsten Konzerte über die Bühne, das ich jemals gehört habe. Auch die Kritikerkollegen der Tiroler Tageszeitung und der Kronenzeitung ergingen sich in höchstem Lob, wobei es ihnen besonders die sehr freizügig gekleidete und vor Musizierfreude nur so sprühende amerikanisch-chinesische Pianistin Yuja Wang samt durchtrainiertem Rücken und langen Beinen angetan hatte.

Dagegen ist denn auch absolut nichts einzuwenden: Yujan Wang, angeblich ein Weltstar unter den Pianisten, war zweifelsfrei das künstlerische Kraftzentrum des ganzen Abends. Dass das Konzert insgesamt jedoch derart bewegte und das Publikum begeisterte, hat auch noch andere Gründe, die im Hinblick auf eine gelungene Programmgestaltung nicht unerwähnt bleiben sollen.


Dramaturgie

Denn selbst die Vorstände der berühmtesten Orchester und viele Dirigenten glauben zuweilen in gefährlicher Selbstüberschätzung, sie seien den ehernen Gesetzen der Dramaturgie enthoben. Auch in Österreich war dies etwa bei so manchem Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker in Schönbrunn zu beobachten, aber auch nach dem fünften aus dem Archiv ausgegrabenen, nur mäßig originellen Werk von Johann Strauß, das für das jeweilige Neujahrskonzert inklusive der auf Novitäten angewiesenen, damit verbundenen CD- und Videoproduktionen ausgewählt wurde.

Jedes klug gewählte Programm sollte das Publikum zuerst verführen, dann herausfordern, um es zuletzt und als Dank für die Zuwendung wieder zu versöhnen.

Genauso hielt es auch Yuja Wang mit den Musikerinnen und Musikern des Mahler Chamber Orchestra. So erklang etwa zwecks Verführung zuerst einmal die wunderschöne Serenade in Es-Dur KV 375 von Wolfgang Amadeus Mozart, sodann präsentierte die Pianistin, begleitet von einer geradezu grotesken Banda aus 3 Posaunen, 1 Tuba, zwei Trompeten und 1 Flöte, ein Capriccio für Klavier für die linke Hand von Leoš Janáček, eine wahrlich nicht leicht zu entschlüsselnde Meditation, die der Komponist für seinen im Ersten Weltkrieg verletzten Komponistenfreund Otakar Hollmann geschaffen hatte.

Nach der Pause erklang sodann die Serenade d-Moll op. 44 für Bläser, Violoncello und Kontrabass von Antonín Dvořák, ein romantisches Werk aus bester böhmischer Provenienz, durch Lyrik und Länge eine Herausforderung sowohl für die Musiker, die Spannungsbögen aufrechtzuerhalten, als auch für das Publikum, diese Spannungsbögen konzentriert mitzuverfolgen.

Als Belohnung für so viel diffizilen Kunstgenuss setzte es dann die Rhapsody in Blue, in der Originalfassung für Klavier und Jazz-Band (1924) von George Gershwin, ein fulminant musizierter, fetziger Rausschmeißer, der das Publikum auch aufgrund des leidenschaftlichen und zuweilen sogar improvisierenden Spiels der Pianistin Yuja Wang endgültig zu Begeisterungsstürmen hinriss. Nicht zu Standing Ovations, die hier durchaus angebracht gewesen wären. Die jedoch in wohltuender Art und Weise aufgrund des hoch anzusetzenden Bildungsniveaus des Meisterkonzerte-Publikums unterblieben. Chapeau!


Musikepochen

Das dramaturgische Prinzip, zu verführen, zu fordern und wieder zu versöhnen, wird am besten auch dadurch verwirklicht, indem das Programm verschiedene Musikepochen miteinbezieht und den eklektizistischen Gepflogenheiten eines heutigen Publikums entgegenkommt, das es gewohnt ist, an einem Abend in eine Barockoper und an einem anderen Abend in ein Jazz- oder in ein Avantgardekonzert zu gehen. So präsentierten auch Yuja Wang und das Mahler Chamber Orchestra neben dem Klassiker Mozart den gemäßigten Modernen Janáček, den Romantiker Dvořák und zuletzt den der amerikanischen Unterhaltungsmusik verpflichteten Gershwin. Besser kann der Horizont des zeitgenössischen Lebensgefühls nicht abgedeckt werden. Man fühlte sich emotional umfassend verstanden.


Musikalität

Dass all dies, vom virtuosen Können und dem energischen, aber auch hauchzarten, also insgesamt inspirierenden Spiel der Pianistin abgesehen, nur gelingen konnte, weil der Solistin ein hochmusikalisches Orchester zur Verfügung stand, liegt auf der Hand. Wobei es sich gerade bei Bläsern, die meist ebenfalls solistisch und nur selten chorisch agieren, durchaus lohnt, auf das Spezifische dieser Musikalität einzugehen. Es existieren am Plattenmarkt nämlich genug Einspielungen von sogenannten Harmoniemusiken, bei denen die noch so brillanten Musiker rücksichtslos vor sich hin spielen, was zur Folge hat, dass die Stücke auseinander fallen und sich nie ein, durchaus wörtlich zu verstehen, Klangkörper bildet. Dieses Ideal der Verschmelzung verschiedener Instrumente und somit verschiedener Individuen, dessen Wirkung im Idealfall die Summe der Einzelstimmen übersteigt, setzt eine gegenseitige Aufmerksamkeit, Wertschätzung, ja eine zumindest auf die Musik bezogene Zuneigung voraus, die sich jeder virtuosistischen Berechnung entzieht. Besonders hervorzuheben sind im konkreten Fall die Dialoge zwischen 1. Klarinette und Oboe, aber auch die im Gesamtklang vollkommen angeglichenen Hörner, sofern sie nicht gerade zu einem brillanten Solo in den Vordergrund zu treten hatten.


Blasmusik

Womit wir bei der längst fälligen Feststellung angelangt sind, dass dieses wunderbare Konzert fast ausschließlich aus Bläserwerken bestand, eine instrumentale Ausdrucksvariante, die vom sonst an klassische Symphonieorchester gewöhnten Publikum kommentarlos zur Kenntnis genommen wurde. Und natürlich auch von der Kritik.

Dass dies einigermaßen befremdlich anmutet, ergibt sich aus der Beobachtung, dass ähnliche Konzerte, die neben zweifelsfrei viel Amateurhaftem und Volksmusikalischem im Innenhof der kaiserlichen Hofburg in Innsbruck alljährlich angeboten wurden und werden, nicht einmal die Schwelle der medialen Wahrnehmung überschreiten, von einer konkreten Konzertkritik erst gar nicht zu reden. Und dies obgleich bei den inzwischen europaweit bekannten und anerkannten Innsbrucker Promenadenkonzerten die Bläser des Concertgebouworkest Amsterdam ebenso auftraten wie das Repräsentationsorchester des Amerikanischen Präsidenten, das Blasorchester der Münchener Philharmoniker ebenso wie die noch von Helmut Schmidt gegründete Bigband der Deutschen Bundeswehr, eine der besten Formationen dieser Art weltweit, um nur einige prominente Beispiele zu erwähnen.

Alle diese Orchester waren der hochmögenden Kulturberichterstattung keine Zeile wert, was vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich beim Innsbrucker Meisterkonzert absolut niemand darüber beschwerte, hier ausschließlich Blasmusik geboten zu bekommen, nur bedeuten kann, dass es nicht das Genre ist, das ignoriert wird, sondern im Sinne des Werks „Die feinen Unterschiede“ des französischen Soziologen Pierre Bourdieu etwas ganz anderes: Nicht die Kultur, die Musik, die Qualität von Kunst steht offenbar im Zentrum des Interesses der Damen und Herren der Kulturberichterstattung, sondern der Status als Repräsentanten des kulturellen Kapitals, der umso strikter nach unten abgeschottet wird, je dürftiger das eigene, streng geheim gehaltene Einkommen ausfällt. Ein offenbar unausrottbares Verhalten, sich zumindest über die abendliche Garderobe dem gehobenen Bürgertum anzubiedern.

Solche Beobachtungen mögen jedoch die Gedanken zu einem großartigen Konzert nicht beschließen. Es sei vielmehr Dankbarkeit, an der überzeugenden Wiedergabe einer Kunst beteiligt gewesen zu sein, die als jener Beitrag des Westens zum Weltkulturerbe zu betrachten ist, für den wir uns vor den anderen Völkern der Welt am wenigsten zu schämen haben: für die großartigen Werke der abendländischen Musik.


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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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