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Alois Schöpf bespricht:
"Bis nächsten Freitag"
von Peter Turrini
Oder:
Nur die Liebe wird uns retten!

Alljährlich darf Peter Turrini für seinen Freund Herbert Föttinger, den Direktor des Theaters in der Josefstadt in Wien, ein Stück abliefern, von dem Margarete Affenzeller in ihrer Premierenbesprechung im Standard vom 17.11.2023 im Untertitel ihres Artikels als einem gescheiterten Versuch in Sachen Alt-Herren-Geschwurbel spricht, also den Lesern des lachsfarbenen Gutmenschenblattes unmissverständlich nahelegt: Auf keinen Fall hingehen!

Gegen eine solch arrogante Empfehlung wäre nichts einzuwenden, wenn Turrinis Stück eines von vielen, sagen wir unter Einbeziehung der Bundesländertheater, eines von etwa 60 neuen Theaterstücken pro Jahr wäre, die, geschrieben von lebenden Autorinnen und Autoren, sich mit dem Heute, dem Zeitgeist, seinen Abgründen und Verlogenheiten auseinandersetzen würden.

Dem ist aber nicht so. Turrini ist einer der ganz wenigen, die es, um in Österreich zu bleiben, neben Handke und Jelinek mit ihren Werken regelmäßig auf professionelle Bühnen schaffen.

Vor diesem Hintergrund bekommt die harsche Aburteilung Affenzellers, die sich als langjährige Theaterfachfrau gemäß den in Österreich kasachischen Verhältnissen in der Kultur naturgemäß mit den von ihr Kritisierten gutstellen muss, da man als Kritiker, nicht nur in Wien, auch zwecks ungestörten Informationsflusses zum inneren Kreis der Szene gehören sollte, eine ganz andere Bedeutung.

Ihre Botschaft lautet im Subtext: Ihr habt schon Recht, liebe Intendanten und Quotenintendantinnen, liebe Regisseure und Quotenregisseurinnen, wenn Ihr euch die Mühe und das Geld für lebende Dichter spart und die Bearbeitungs- bzw. Autorenhonorare gleich selbst kassiert, indem ihr etwaige Klassiker neu übersetzt, neu einrichtet oder gleich so umdichtet, dass Ihr nur noch nach Shakespeare, nach Schiller oder nach Nestroy schreiben müsst. Oder indem Ihr erfolgreiche Filme für das Theater einrichtet oder rechtsfreie Romane wie die von Dostojewski ausplündert und als quasi neues Stück nach Dostojewski verkauft.


„Bis nächsten Freitag“

Zwei alte weiße Männer treffen sich nach Jahren wieder in einem Wiener Beisl zwecks lebensbilanziellen Erfahrungsaustausches. Der eine, Buchhändler und begeisterter Leser, ist ein netter, mitfühlender Gutmensch. Der andere, Romanistik-Dozent, weiter hat er es nicht gebracht, ein Arschloch mit allen entsprechenden, zumindest aus der Sicht einer Standardredakteurin Arschloch-Ansichten zu Politik, Migration, Weibern und Gendern.

Zusammen repräsentieren die beiden Herren die Gesamtheit jenes ideologischen Post-68er-Geistesschrotts, der sich wie Schimmelpilz um die Lagerstätten ihres jeweils enttäuschend mittelmäßigen Lebens angesammelt hat. Diese Bestandsaufnahme der ersten Stunde des Stücks ist mitnichten, um es affenzellerisch zu formulieren, als gescheitert zu betrachten, sondern brillant und vom Lachen des Publikums begleitet.

Ab der Frage des Arschlochdarstellers an die Kellnerin, die von etwas Schönem in ihrem Leben spricht, was denn das Schöne gewesen sei, worauf die Dame ihm die Antwort verweigert, erspart sich der Dichter jedoch jegliche weitere Erforschung des Zeitgeists bzw. der Lebensläufe seiner Helden und doppelt stattdessen das bisher Gesagte durch eine Sauforgie auf, die den beiden Hauptdarstellern Föttinger und Steinhauer jede Menge Gelegenheit zum Outrieren bietet, den Zuschauer jedoch die restlichen 20 Minuten bis zur Pause trotz Unflätigkeit und Theatergekotze unerbittlich zur Langeweile des Redundanten verurteilt.

Leider kehrt Turrini auch nach der Pause nicht zum an sich hochinteressanten Thema zurück, von welch Schönem in ihrem Leben nicht nur die Kellnerin, sondern die beiden alten Herren und somit wohl auch der Dichter selbst zu berichten hätten, wenn sie es nur verraten würden. Statt sich auf solch schwieriges Terrain zu begeben sucht Theaterroutinier Turrini lieber sein Heil in ein paar durchaus unterhaltsamen Anleihen bei Federico Fellini und in der katholischen Pastoraltheologie, wenn er zwei Zwergerln auftreten lässt, die einander lieben, obgleich sie Zwergerln sind, den Gutmenschen nach seinem Abgesang auf das Medium Buch mit der Kellnerin tanzen lässt, die immer noch nicht gesagt hat, was sie Schönes in ihrem Leben erfahren hat, und zuletzt das Arschloch, dessen Prostatakrebs schon vor der Pause präexponiert wurde, mit dem Tod zu tanzen zwingt. Vorhang. Applaus endenwollend.


Bilanz

Für einen Provinzler, dessen Provinztheater gerade von einer neuen Leitung übernommen wurde, deren Hauptqualifikation vonseiten der Politik darin zu bestehen hatte, weiblich zu sein, ist es schon ein ganz besonderes Vergnügen, im dafür berühmten Theater in der Josefstadt noch auf eine gleichsam konservative Theaterkultur zu treffen, die großartigen Schauspielern selbst dann, wenn das Stück fragwürdig wird, die Möglichkeit bietet, ihr Können auszuspielen.

Dies gilt übrigens nicht nur für die beiden Hauptdarsteller, den Bösen, Herbert Föttinger, und den Guten, Erwin Steinhauer, es gilt auch für die Nebenrollen Sascha Schicht und Andrea Mühlbacher als kleinwüchsiges Hochzeitspaar und die Kellnerin Silvia Meisterle. Große Anerkennung auch dem Regisseur Alexander Kubelka, der dem Stück dient und es nicht dazu missbraucht, sich in den Vordergrund zu spielen.

Wobei zuletzt doch die Frage bleibt, weshalb die sicherlich auch im Theater in der Josefstadt siebengescheiten DramaturgenInnen nicht in der Lage waren, ihrem Chef Föttinger bzw. seinem Freund Turrini eine so offensichtliche, 20minütige Länge, wie sie das Publikum vor der Pause zu ertragen hatte, auszureden.


PS:

Auf der Reise nach Wien saß schräg gegenüber im Waggon eine Dame, etwa gleichalt wie die beiden Herren bei Turrini, und ließ, beredt, nicht ungebildet, offenbar zwischen Österreich und den USA hin und her pendelnd , ihre Mitfahrgäste volle zwei Stunden lang an der Summe ihrer Lebensweisheiten teilhaftig werden. Gerade weil ihre unerbetenen Absonderungen gut formuliert und phasenweise gescheit waren, waren sie zugleich unerträglich banal und machten es unmöglich, daneben ein Buch zu lesen. In Salzburg verließ das quatschende Unheil den Zug und wir atmeten alle auf.

Leider währte der Friede nicht lange, denn schon saß an ihrer Stelle eine kleine quirlige Chinesin, die, perfekt Deutsch sprechend , von Verschwörungstheorien bis zu esoterischen Weisheiten und Berichten, wie man vergeblich versucht habe, sie zu begaunern, den Monolog ihrer Vorgängerin in einer anderen Tonart, aber ebenso bar jeder Rücksicht fortsetzte.

Im Gegensatz zur Sprachlosigkeit der Nachkriegszeit scheint es im Medien- und Talk-Show-Zeitalter längst zur eingeübten Kulturtechnik geworden zu sein, sein eigenes Leben als Siegeszug durch die Instanzen der Probleme darzustellen. Selbst von Laiendarstellern wird das ziemlich überzeugend bewältigt, vom Schreibtisch eines erfahrenen Dramatikers aus naturgemäß noch überzeugender.

Bis nächsten Freitag war nicht viel mehr als zwei solche, in diesem Fall sogar durch den Kauf einer Theaterkarte akzeptierte, als Dialog montierte Monologe mit anschließender leitartikelartiger Belehrung. Zu gut gemacht im Verhältnis zum harten Urteil von Frau Affenzeller. Zu banal für die 750.000 Euro Vorlass, die Herr Turrini für die von ihm wieder wiederholte Empfehlung kassierte: Tut euch lieben! 

Das kann heute jeder x-beliebige Fahrgast im Railjet der ÖBB als Bilanz anbieten.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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