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Alois Schöpf
Drohen und Ermahnen
Nicht die Sozialen,
sondern die klassischen Medien
machen die Gesellschaft verrückt
und gefährden die Demokratie.
Ein Verdacht

Haben Sie schon einmal ein die primitivsten Instinkte der Leserschaft ansprechendes Revolverblatt erlebt, in dem der Chefredakteur schreibt: Ich als Chefredakteur eines die primitivsten Instinkte der Leserschaft ansprechenden Revolverblatts? 

Oder haben Sie schon einmal einen kommerziellen Fernsehsender erlebt, in dem der Moderator offen zugibt: Wenn die Chance besteht, 1 Prozent mehr Zuseher zu akquirieren, legen wir uns unter dem Vorwand praktizierter Meinungsfreiheit auch mit Esoterikern, Impfgegnern, Wissenschaftsfeinden und Putinverstehern ins Bett?

Nein, das haben Sie alles noch nicht gehört. Wie Sie auch nicht gehört haben, dass der korrupte Redakteur eines korrupten Staatssenders jemals eingestehen würde, dass er seine Monopolstellung mit Genuss ausnützt, um Leute, die ihm in den Arsch kriechen, etwas werden zu lassen, und solche, die nicht verheimlichen, dass sie ihn für ein kleines Kirchenlicht halten, so lange als möglich vom Markt der Aufmerksamkeit fernzuhalten.

Dafür, dass Sie das alles nicht gehört haben, durften Sie jedoch über Jahre hinweg mitverfolgen, wie vor allem die Printmedien die sie betreffenden Ergebnisse der halbjährlich veröffentlichten Media-Analyse immer von neuem als großartigen Erfolg verkaufen, auch wenn die Daten bei genauerem Hinschauen nichts anderes als einen stetigen Niedergang dokumentieren.

Nicht zu reden von unserem Staatsfunk ORF, der nicht so bezeichnet werden möchte und der kraft seiner Monopolstellung und seiner Zwangsgebühren Konkurrenz erst gar nicht aufkommen lässt, indem er sämtliche brauchbaren Frequenzen mit Spartenmüll abdeckt und seit des großen Gerd Bachers Zeiten auf jede Art von Kritik statt mit Selbstreflexion mit augenblicklicher und überschießender Aggressivität reagiert.

Aus all dem resultiert der eindeutige Befund: Unsere klassischen Medien sind zur Selbstkritik, obgleich sie dringend notwendig wäre, noch wesentlich weniger bereit und fähig als die Politiker, mit denen sie sich in hassliebender Umarmung umfangen halten.

Alljährlich repräsentativer Ausdruck dieser sadomasochistischen Beziehung ist die Festspielzeit, zu deren verlogenen Eröffnungen die Schreiberlinge aus kleinbürgerlichen Verhältnissen auf Großbürger machen und Politiker und Sponsoren ihren pastoralen Schleim zur Lage der Welt absondern dürfen.

Dabei wird, um das ältliche und verstrittene Ehepaar „Medien und Politik“ nicht nur körperlich im edlen Anzug oder Abendkleid glänzen zu lassen, regelmäßig auf die sogenannten Sozialen Medien, die angeblich am Niedergang der Kultur, der Umgangsformen und der Kunst des Argumentierens Schuld tragen, eingedroschen. 

Erstaunlicherweise gehören die meisten derer, die da großzügig einen Schuldigen ausgemacht zu haben glauben, Alterskohorten an, die nun ganz bestimmt nicht die eifrigsten Nutzer von Facebook, Twitter, Instagram, Tinder oder TikTok sind. Womit sich die Frage erhebt, aufgrund welcher persönlichen Erfahrungen oder aufgrund welcher wissenschaftlichen Erkenntnisse sie ihre Beschuldigungen vorbringen?

Und vor allem, warum sie es tun?

Was die wissenschaftliche Aufarbeitung des Einflusses der Sozialen Medien auf die Politik und den Zeitgeist betrifft, fehlen valide Daten und eine wissenschaftliche Aufarbeitung in einem erschreckenden Ausmaß. Einschlägige Recherchen führen bestenfalls zu moralisierenden Leitartikeln, die in der Befürchtung gipfeln, dass unsere Gesellschaft von Fake News und Hasstiraden im Internet bedroht sei. 

Horrorgeschichten von russischen Troll-Fabriken oder die Aktivitäten des ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten Donald Trump werden als Beweis für die Gefährdung der Demokratie angeführt, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Medienlandschaft Mitteleuropas, vor allem der deutschsprachigen Länder Schweiz, Österreich und Deutschland mit der Medienlandschaft der Vereinigten Staaten oder eines Mafiastaates wie Russland nicht zu vergleichen ist.

Aber auch das Phänomen des sogenannten Hasses im Netz wird immer nur unklar und verschwommen umschrieben. Dadurch drängt sich der Verdacht auf, dass mit solchem Gejammer lediglich für ein immer umfangreicheres Verbotsgesetz geworben werden soll, um prononciert formulierte Meinungen, die nicht mit dem Mainstream übereinstimmen, ohne Gegenargument auf Basis einer rein emotional bedingten Betroffenheit aus dem Verkehr zu ziehen.

Diskret geschieht dies heute schon dadurch, dass bei den einen, etwa im Jahr 2022, österreichweit Inserate im Wert von 201 Millionen € von Seiten der öffentlichen Hand geschaltet werden, die anderen jedoch den unsäglichen Satz zu hören bekommen: Das Land Tirol fördert keine Blogs!

Die naheliegende Erkenntnis, dass die Sozialen Medien, wie sie in Mitteleuropa von Millionen Usern verwendet werden, eher als harmlos einzuschätzen und besser unter das Motto des Predigers aus dem Alten Testament: „Ihr Leben war wie Geschwätz“ einzustufen sind, widerspricht leider diametral einem Feindbild, das von Politik und klassischen Medien dringend benötigt wird, um auf Kompetenz basierende sachliche Diskussionen durch arbeitsbefreites in Meterware und Kilomaßen abrufbares Drohen und Ermahnen zu ersetzen.

Die angebliche Verrohung der Sitten in den Sozialen Medien, die von immer mehr Menschen benützt werden, was zur Folge hat, dass die Werbebudgets der Wirtschaft zunehmend zu ihnen umgeleitet werden, wird zum Vorwand genommen, um die von einem fiktiven Feindbild angeblich praktizierten und daher notwendigerweise durch den Konkurrenzdruck nachzuahmenden üblen Geschäftspraktiken zu rechtfertigen. Der Abschied von einem seriösen Journalismus erfolgt zugunsten einer ununterbrochenen Skandalisierung, was wiederum zu einem alarmierenden Ansehensverlust der Politik und einem Mangel an tauglichem Nachwuchs führt.

Ergänzt wird diese Skandalisierung durch die tägliche Panikmache, die von der Klimakatastrophe über die Pandemie, die Inflation und die Lebensmittelpreise bis hin zu einem möglichen Atomkrieg reicht und weder auf die zunehmende psychische Zerrüttung der Gesellschaft noch auf die Entwicklung der Demokratie Rücksicht nimmt. Diese gerät als Staatsform in den Verdacht des Versagens.

Durch Drohen und Ermahnen in immer ausgedünnteren Redaktionen sollen Publikum und Politik so zugerichtet werden, dass die einbrechende Nachfrage am Markt durch Zwangsgebühren mittels Haushaltsabgabe, staatlicher Presseförderung und durch Inserate der öffentlichen Hand ausgeglichen wird. 

Statt, um auf Werner Koglers Rede anlässlich der Eröffnung der Salzburger Festspiele anzuspielen, im biederen Dienste an einer vom Vizekanzler geforderten Neuen Aufklärung einen längst fälligen radikalen medialen Neustart anzugehen, wird träge das Heil in der Verfluchung des Internet, im Priestertum des Guten und Edlen und in einer säkularen Eschatologie, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, gesucht.

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

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