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Alois Schöpf
Der neue Klassenkampf
Der Angestellte schickt, wenn es um seine Privilegien geht,
den Freien bedenkenlos
in den Ruin.
Notizen

Die Stadt Hall hat es auf den Punkt gebracht: Sie kürzte die Kultursubventionen rasenmäherartig um 50 Prozent mit der Begründung, dass durch Lohnerhöhungen, die den städtischen Bediensteten aufgrund der hohen Inflationsrate gewährt werden müssten, im Budget zwei Millionen fehlen, die nunmehr durch Einsparungen in der Kultur hereingespielt würden.

Vom Dilettantismus, der durch eine solche Maßnahme das Gute ruiniert und dem Schlechten Ausreden liefert, noch schlechter zu sein, soll in einem eigenen Artikel die Rede sein. Ich habe nämlich unlängst in der Tiroler Tageszeitung(1) den Vorschlag gemacht, statt der Anwendung des Gießkannenprinzips das kulturelle Angebot, vergleichbar der Bewertung durch den Gastroführer Gault Millau, von externen Fachleuten im Hinblick auf Relevanz und Qualität überprüfen zu lassen und danach die Subventionierung auszurichten.

Daraufhin erhielt ich den interessanten Leserbrief eines Herrn Otto Bucher(2) mit der berechtigten Frage, wer diese Fachleute sein sollten, wer sie auswähle und über welche Kompetenzen sie verfügen müssten. Durch einen Anruf in der Redaktion von Gault Millau in Wien konnte dies im Hinblick auf den Gastroführer geklärt werden. Zumindest aus meiner Sicht können damit aber auch ähnliche Vorschläge noch präziser hinsichtlich der Kultur gemacht werden. Dem soll jedoch ein eigener Artikel gewidmet werden.

Vorerst steht ein anderes skandalöses Phänomen im Zentrum: Die bittere Erkenntnis nämlich, die sich angesichts der Vorgänge in Hall jedem Freischaffenden aufdrängt: in diesem Land und in diesem Leben wieder einmal grundsätzlich eine falsche Entscheidung getroffen und den Schalmeienklängen der Freiheit in Sachen Selbstverwirklichung allzu sehr vertraut zu haben.

In so unfreiwilliger Unverfrorenheit hat nämlich noch keine Kommune wie Hall mit ihrer mieselsüchtigen Kleinbürgerlichkeit verlauten lassen, dass sie den gesellschaftlich und gewerkschaftlich geschützten Status ihrer Angestellten durch den Ruin all jener zu erkaufen gewillt ist, die als Prekarier und meist unfreiwillig Selbständige ohnehin mit wenig auskommen müssen und nun endgültig ins Out getrieben werden. Und das, obgleich bei jeder zweiten Eröffnungsrede von unseren gewählten Schwätzern die Kulturnation und die Innovationsfreude und Kreativität der nunmehr Ruinierten beschworen werden.

Um nur ein paar Daten anzuführen, damit den hoffentlich gut situierten Leserinnen und Lesern des schoepfblog klar ist, worum es geht: Während hierzulande Staatstheaterdirektoren fallweise mehr verdienen als der Bundeskanzler und Staatstheaterschauspieler nicht viel weniger, wobei sie monatelang nicht spielen müssen, um in dieser Zeit einen Film zu drehen und dafür ebenfalls tolle Gagen zu kassieren, verdienen Schauspieler in der sogenannten Freien Szene 50 bis 200 Euro pro Abend, Spesen und Fahrten inklusive, für Proben nichts oder bestenfalls eine kleine Pauschale, bei Ausfall der Vorstellung ebenso nichts.

Während unsere fidelnden Hofräte, genannt Wiener Philharmoniker, mit Jahresbezügen von 100.000 Euro exklusive der Zusatzgagen für Platteneinspielungen und Übertragungen nach Hause gehen, spielen ebenfalls professionell ausgebildete Jazzer zwei Stunden um 50 Euro entweder in einem Kaffeehaus oder im Auftrag der Stadt Innsbruck. Ihre Kollegen und Kolleginnen in privaten Symphonieorchestern bringen es immerhin auf 70 Euro für die Probe und 100 Euro für das Konzert.

Bleibt nur noch hinzuzufügen, dass Freie Mitarbeiter beim ORF Sendungen fallweise für einen Stundenlohn von 3 bis 15 Euro gestalten(3), während das Durchschnittsgehalt eines angestellten ORF-Bediensteten, also vom Kabelträger bis zum Direktor 91.000 Euro beträgt (4), der Generaldirektor, dessen Statements immer wieder durch ihre Nichtssagendheit auffallen, bringt es auf 380.000 im Jahr.

Im Lichte dieser Vergleichszahlen wird die Schäbigkeit der Haller Politgrößen erst so richtig deutlich. Wobei das Land Tirol nur um eine Spur besser ist: Hier wurde zwar stolz das Kulturbudget erhöht, aber auch nur, um, „fair pay“ hin oder her, den Landeskulturangestellten von den Museen über  Heerscharen von Bürokraten bis hin zum Landestheater die hohe Inflation abzugelten. Die sogenannte Freie Szene muss darauf verzichten, wird also immerhin zu einem langsameren Hungertod verurteilt und gehört somit in die Reihe jener Leiharbeiter, Prekarier und unfreiwillig Selbstständigen, die in der sogenannten Freien Wirtschaft durch ihre Not und Unsicherheit schon seit Längerem die Privilegien jener sichern, die es ins Licht eines Angestelltendaseins geschafft haben.

Vielleicht hätten die Damen und Herren Kulturschaffenden doch weniger auf Karl Marx und seine Produktionsmittel vertrauen und stattdessen im Sinne Siegfried Krakauers(6) mehr über die viel wichtigere und aktuellere europäische Bürokraten- und Angestelltengesellschaft nachdenken sollen.

(1)
https://schoepfblog.at/alois-schopf-hauben-kultur-fur-tirol-apropos/
(2)
Lieber Herr Schöpf!
Zugegeben, ich habe schon lange nicht mehr geschrieben, obwohl mir Ihre Unverblümtheit sehr oft Lesevergnügen bereitet, so wie auch dieses Mal. Anonyme, nicht im Lande tätige Fachleute für die Kulturförderung, welche Voraussetzungen müssten die denn haben?
Sie müssten links orientiert sein, wissen, was als zeitgeistig korrekt gilt, in allen Bereichen Weibliches bevorzugen, Traditionelles ablehnen, keine Konventionen anerkennen, tabulos und schamlos sein, kurz: grenzenlos sein.
Sollte das zu weit gehen, tauchen viele Fragen auf. Wer wählt die Fachleute aus? Halten wir vorsorglich die schützende Hand über Musikkapellen, Trachtler, Volkstänzer, Landestheater, etablierte Bühnen und Orchester und und und ?
Ich besuche gerne alternative Bühnen und freu mich, dass es einige gibt. Ich vermisse auch Orte, an denen unsere Jungen ohne Konsumzwang abfeiern können . . .
Aber bedeutet „fair pay“, dass alle, die sich berufen fühlen, Kunst zu performen (darstellende, bildende, aktionistische …), aus öffentlichen Töpfen dafür entlohnt werden müssen?
Danke für Ihre Artikel.
Mit freundlichen Grüßen Otto Bucher
(3) https://kompetenz-online.at/2012/03/22/3-euro-stundenlohn/
(4) https://kurier.at/kultur/so-sehen-die-gehaelter-beim-orf-und-in-staatlichen-kultureinrichtungen-aus/402711211
(5) https://www.weekend.at/chronik/orf-generaldirektor-gehalt
(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Angestellten

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Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Helmut Schiestl

    Kann jetzt den Zusammenhang nicht ganz nachvollziehen, wenn Du „von der Unverfrorenheit“ schreibst, „den gesellschaftlich und gewerkschaftlich geschützten Status der Angestellten durch den Ruin all jener zu erkaufen“, die im sogenannten prekären und freien Kunstbereich arbeiten. Ich denke, man sollte die einen nicht gegen die anderen ausspielen. Dass etwa die Angestellten einer Stadt eine der Inflationsrate entsprechende Gehaltserhöhung bekommen haben, mag wohl seine Richtigkeit haben und auch in anderen Kommunen Tirols so gehandhabt werden, so schade für das Kulturleben der Stadt Hall dieser fünfzigprozentige Einschnitt natürlich ist. Wahrscheinlich hat sich die Stadt mit anderen Projekten übernommen, kann vielleicht weniger kommunale Einnahmen lukrieren. Schwaz zum Beispiel, eine Stadt wohl in der gleichen Größe wie Hall, hat ebenfalls ein reges Kulturleben, von dort habe ich bis jetzt zumindest keinen Aufschrei über hohe Einsparungen im Kulturbereich vernommen. Obwohl sie dort gerade die Stadtbrücke komplett sanieren müssen.

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